Die nationalsozialistischen Konzentrationslager
Terror und Verfolgung waren ebenso charakteristisch für das NS-Regime wie die unentwegte Propaganda. Während viele „Volksgenossen“ ihren „Führer“ Adolf Hitler bejubelten, ließ der Deutschland mit einem dichten Netz von Konzentrationslagern (KZ) überziehen, die Stätten brutalster Willkür waren. Mit der am 28. Februar 1933 erlassenen „Reichstagsbrandverordnung“ schufen sich die Nationalsozialisten eine erste formaljuristische Handhabe zur rücksichtslosen Verfolgung ihrer Gegner. Seit März 1933 wurden von der Sturmabteilung (SA) und der Schutzstaffel (SS) wie in Oranienburg „staatliche Konzentrationslager“ errichtet, in denen Gefangene misshandelt und häufig ermordet wurden. Jede*r auch nur potentielle Gegner*in musste damit rechnen, in „Schutzhaft“ genommen zu werden, was zum Synonym für staatlichen NS-Terror wurde.
Eingang zum Konzentrationslager Auschwitz in Polen nach der Befreiung durch Truppen der Roten Armee im Januar 1945. Im Vordergrund zu sehen sind von den Wachmannschaften zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände. Foto: Stanislaw Mucha © Bundesarchiv, B 285 Bild-04413, CC-BY-SA 3.0
Nach den Novemberpogromen 1938 wird eine Kolonne jüdischer Männer zur „Schutzhaft“ ins Konzentrationslager gebracht, Baden-Baden, November 1938. © Bundesarchiv, Bild 183-86686-0008, CC-BY-SA 3.0
Immer mehr und neue Opfergruppen wurden in den Terror einbezogen: Den Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen und Juden und Jüdinnen, die unmittelbar nach der Machtübernahme in die KZ verschleppt wurden, folgten bald Mitglieder religiöser Sekten und Orden, Pfarrer beider Konfessionen, Sinti und Roma sowie Homosexuelle, später Kriegsgefangene. Zahllose „Asoziale“ wurden im Zuge einer „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ inhaftiert. Nach den als „Reichskristallnacht“ bekannt gewordenen Novemberpogromen von 1938 stieg die Zahl der KZ-Häftlinge auf rund 60.000 Personen an. Die Häftlinge wurden von der SS in verschiedene, um bessere Lebensbedingungen konkurrierende Gruppen eingeteilt. Damit wurden bewusst Gegensätze wie zwischen den „Roten“, den politischen Häftlingen, und den überwiegend vorgeblich kriminellen „Grünen“ geschürt. Benannt waren die KZ-Insassen nach farbigen Stoffdreiecken, die sie zur äußerlichen Kennzeichnung auf ihrer Kleidung tragen mussten und die ihnen die Stellung in der Rangordnung des Lagers zuwiesen. Weiter unten in der „Häftlingshierarchie“ standen Juden (gelber Winkel), Homosexuelle (rosa Winkel), Sinti und Roma und „Asoziale“ (schwarzer Winkel) sowie die als „Bibelforscher“ bezeichneten Zeugen Jehovas (lila Winkel).
Wer in ein Konzentrationslager eingeliefert wurde, hatte es schwer, seine Freiheit wiederzuerlangen. Das war zwar möglich – tatsächlich wurden insbesondere vor dem Krieg Menschen auch nach Jahren aus der KZ-Haft entlassen – aber es war rein von staatlicher Willkür abhängig. Fluchtversuche endeten in der Regel tödlich. Die Lebensumstände in den Lagern waren menschenunwürdig. Kahlgeschoren, registriert und nummeriert und nur mit einer Häftlingsuniform bekleidet, hatten die Menschen ihre äußere Individualität und jegliche Rechte verloren. Sie lebten in ständiger Todesangst und waren der Willkür ihrer Bewacher ausgeliefert.
Nach Kriegsbeginn 1939 wurden bis März 1944 neben den sieben bestehenden Hauptlagern im Reich noch insgesamt 22 neue Lager mit 1.200 Außenlagern im besetzten Europa errichtet. Seit Frühjahr 1942 unterstanden alle Lager dem Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS unter Oswald Pohl. Um die Kriegsproduktion zu steigern, wurden die KZ-Häftlinge nun der „Vernichtung durch Arbeit“ preisgegeben. Gewinnbringend organisierte Pohl die rücksichtslose Ausbeutung ihrer Arbeitskraft in den kriegswichtigen Produktionsstätten namhafter deutscher Industrieunternehmen. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 1943 starben rund 60.000 der insgesamt rund 220.000 Häftlinge an Auszehrung und durch Seuchen. Bewacht von rund 40.000 SS-Angehörigen, war die Zahl der registrierten KZ-Insassen im August 1944 auf über 500.000 gestiegen, im Januar 1945 lag deren Zahl über 700.000. Rund 90 Prozent von ihnen waren keine Deutschen. Bis zu 450.000 Menschen starben bis 1945 allein in den Lagern im Reichsgebiet an Gewalt, Unterversorgung, Krankheit oder durch Zwangsarbeit. Insgesamt gab es in den Jahren zwischen 1933 und 1945 zwischen 2,5 und 3,5 Millionen KZ-Häftlinge.
Entrechtet, ausgehungert, von Krankheiten geplagt und zur Zwangsarbeit gezwungen: Insassen des KZ Buchenwald in ihrer Baracke, fotografiert am 16. April 1945, fünf Tage nach der Befreiung des Lagers durch US-Truppen. Foto: Private H. Miller. (Army) Quelle:National Archives and Records Administration, (NAID) 535561, gemeinfrei.
Burkhard Asmuss
© Deutsches Historisches Museum, Berlin
Text: CC BY NC SA 4.0
Die Bücherverbrennung
Wie auf dem Berliner Opernplatz am 10. Mai oder am Hamburger Kaiser-Friedrich-Ufer am 15. Mai, so wurde in vielen anderen deutschen Universitätsstädten in den Maitagen 1933 „undeutsches Schrifttum“ verbrannt. Diese makabren Veranstaltungen waren nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Höhepunkt der Kampagne „Wider den undeutschen Geist“, die vom Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft vorbereitet worden war. Teil dieser Aktion waren „Schwarze Listen“ für die Säuberung öffentlicher und privater Bibliotheken von „zersetzendem Schrifttum“, aber auch Veröffentlichungen in der Tagespresse mit Namen „nicht tragbarer“ Autor*innen sowie die Nennung der Plätze für die nächtlichen Verbrennungen.
10. Mai 1933: Bücherverbrennung auf dem Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, in Berlin. Foto: Georg Pahl © Bundesarchiv, Bild 102-14597, CC-BY-SA 3.0
Höhepunkt der von der Deutschen Studentenschaft vorbereiteten Kampagne „Wider den undeutschen Geist“: nationalsozialistische Studenten und andere NS-Anhänger mit „undeutschen“ Büchern und Schriften auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, kurz vor deren Verbrennung, 10. Mai 1933. Foto: Georg Pahl © Bundesarchiv, Bild 102-14598, CC-BY-SA 3.0
Von „Feuersprüchen“ begleitet wurden Werke von Philosoph*innen, Wissenschaftler*innen, Lyriker*innen, Romanautor*innen wie politischen Schriftsteller*innen den Flammen übergeben. Unter Beteiligung von Rektoren und Professoren verbrannten auf riesigen Scheiterhaufen unter anderem die Bücher von Karl Marx, Heinrich Heine, Sigmund Freud, Thomas Mann, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Alexandra Kollontay, Carl von Ossietzky und Alfred Kerr.
In Berlin begleitete Goebbels die Bücherverbrennung – die in Deutschland zumeist mit Gleichgültigkeit aufgenommen wurde – im Rundfunk mit einer Schmährede gegen die „verfemten“ jüdischen, sozialistischen und demokratischen Autor*innen, die in der NS-Kunst und Kultur keinen Platz finden sollten. Bei der „Säuberung“ öffentlicher Bibliotheken wurden allein in Berlin bis Ende Mai 1933 rund 10.000 Zentner Literatur beschlagnahmt. Ein Jahr später umfassten die „Schwarzen Listen“ mehr als 3.000 Titel verbotener Bücher und Schriften.
Flugblatt der Deutschen Studentenschaft vom 12. April 1933 mit den zwölf antisemitischen, antidemokratischen und völkischen Thesen „Wider den undeutschen Geist
Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei
Burkhard Asmuss
© Deutsches Historisches Museum, Berlin
Text: CC BY NC SA 4.0
Kinder polnischer Juden aus dem Gebiet zwischen Deutschland und Polen erreichen im Februar 1939 per Schiff London. © Bundesarchiv, Bild 183-S69279, CC-BY-SA 3.0
Hilfe zur Flucht
Im Rahmen der Kindertransporte – einer der größten Rettungsaktionen für Verfolgte des NS-Regimes – gelangten zwischen 1938 und 1939 tausende Kinder nach Großbritannien. Auf Betreiben der Quäker und einiger einflussreicher britischen Jüdinnen und Juden hatte der britische Innenminister Samuel Hoare am 21. November 1938 der Einreise „einer ganzen Generation“ zugestimmt. Dafür musste die jüdische Gemeinde 50 Pfund pro Kind als Garantie hinterlegen, die als Umsiedlungskosten verwendet werden sollten; zudem war die Gemeinde zur Verteilung der Kinder überall im Land sowie zu deren Ausbildung verpflichtet. Am 28. November 1938 wurde der damalige britische Botschafter in Berlin, Neville Henderson, über die Einreiseaktion in das Vereinigte Königreich informiert.
Der erste Zug der Kindertransporte verließ am 30. November in den späten Abendstunden den Schlesischen Bahnhof (Ostbahnhof), passierte den Bahnhof Friedrichstraße und fuhr weitere 16 Stunden bis zur Grenzkontrolle in Venlo in den Niederlanden. Am 2. Dezember wurde die Kindergruppe gemeinsam mit einer weiteren aus Hamburg auf britischem Boden begrüßt.
Hunderte weitere Kindertransporte folgten nach Großbritannien, Belgien, die Niederlande, Schweden, Frankreich und die Schweiz. Viele der nach Großbritannien geflüchteten Kinder kämpften später in den Reihen der britischen Armee und leisteten damit einen Beitrag zur Niederlage des NS-Regimes und zur Verteidigung der Demokratie. Am Bahnhof Friedrichstraße steht heute ein Denkmal, das an die Kindertransporte erinnert.
Etwa 6000 junge Frauen und Männer, die mit den Kindertransporten Deutschland verlassen hatten, meldeten sich später freiwillig zur britischen Armee. So auch Raymond Newland alias Raimund Neumeyer (1. Reihe links), der 1939 als 14-Jähriger aus Dachau nach Großbritannien kam. Hier posiert er 1947 mit seinen Kameraden der Sonderermittlungsabteilung der britischen Militärpolizei in Hamburg. Viele der Freiwilligen verloren bei den Kämpfen ihr Leben und bezahlten damit einen hohen Preis für die Befreiung der Heimat, die sie aufgrund des nationalsozialistischen Terrors zuvor verlassen mussten. © Privat
Nicht weit entfernt, in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor, befand sich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg die Britische Botschaft in der Wilhelmstraße 70. Die zuständige Pass- und Visumsbehörde, in der viele Jüdinnen und Juden Visa beantragten, um das Deutsche Reich zu verlassen, befand sich in der Tiergartenstraße 17. Geleitet wurde sie in den 1930er-Jahren von Frank Foley, der mit dieser offiziellen Funktion seine Tätigkeit im britischen Auslandsgeheimdienst tarnte. Er und weitere in Berlin stationierte britische Beamt*innen – darunter George Ogilvie-Forbes, Cecil Insall und Margaret Reid – verhalfen tausenden Menschen zur Flucht. Foley legte bei der Visabewilligung britische Vorschriften großzügig aus, half bei der Beschaffung gefälschter Papiere und versteckte sogar Jüdinnen und Juden in seiner eigenen Wohnung. Unterstützung erhielt er von zuverlässigen Freunden wie dem jüdischen Unternehmer und MI6-Mitarbeiter Hubert Pollack, der über exzellente Informationskanäle zur Gestapo verfügte, und Wilfrid Israel, dem Vorsitzenden des jüdischen Hilfsvereins.
Heute erinnern am Gebäude der britischen Botschaft in der Wilhelmstraße eine Inschrift und eine Plakette an die Verdienste des damaligen Botschaftspersonals. © Britische Botschaft
Heute erinnert eine Gedenktafel im Innenhof der Britischen Botschaft an Foleys Verdienste. Der im Jahr 2000 von Queen Elizabeth II. eingeweihte Neubau der Botschaft befindet sich am historischen Ort in der Wilhelmstraße 70. Seit Mai 2020 erinnert eine weitere Plakette der Association of Jewish Refugees an der Außenfassade der Botschaft an Konsularbeamte wie Frank Foley und Margaret Reid, deren Einsatz tausendfach Menschenleben rettete.
Lisa Sophie Bechner, M.A.-Studentin Touro College Berlin, und Evelin Meier, Britische Botschaft Berlin
Hungrige Berliner zerlegen einen Pferdekadaver auf offener Straße, während im Hintergrund zwei sowjetische Soldaten vorbeifahren, Mai 1945. Foto: Iwan Schagin © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Iwan Schagin
Hungrige Berliner zerlegen einen Pferdekadaver auf offener Straße, während im Hintergrund zwei sowjetische Soldaten vorbeifahren, Mai 1945. Foto: Iwan Schagin © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Iwan Schagin
Versorgung, Infrastruktur, Wiederaufbau
Wenn etwas bis zum Ende der NS-Herrschaft noch funktionierte, dann waren es die Standgerichte und ihre Henker, die „Verräter“ aller Art ermordeten und die Leichen öffentlich zur Schau stellten. Den Alltag hingegen bestimmte das Selbermachen. So dienten Kreideaufschriften auf Häuserwänden als Telefon und Zeitung, Stahlhelme wurden zu Kochtöpfen, und manche Rasenfläche zum Gemüsegarten.
Denn Essen war 1945 Mangelware. Zugeteilt wurde es über Lebensmittelkarten, Schwerarbeitern stand am meisten zu: 2.600 Kalorien, davon 600 Gramm Brot und 100 Gramm Fleisch pro Tag. Alte und Kinder erhielten lediglich die Hälfte. Wer sich hingegen als Ingenieur, Wissenschaftler, Künstler oder hoher Beamter „verdient“ gemacht hatte, erhielt die höchsten Rationen. Am wenigsten erhielten die Flüchtlinge: Sie durften sich nicht länger als 24 Stunden in Berlin aufhalten und wurden mit einer Suppe und 100 Gramm Brot abgespeist.
Straßenhandel nahe dem Alexanderplatz, Juni 1945. Lebensmittel – oder wie hier: Gemüsepflanzen – waren sehr begehrt, da die auf Bezugskarten zugeteilten Mengen kaum zum Überleben reichten.
Foto: Eva Kemlein© Stiftung Stadtmuseum Berlin
Foto: Eva Kemlein© Stiftung Stadtmuseum Berlin
Auch alle anderen Dinge des täglichen Bedarfs gab es auf Bezugskarte: Schuhe, Brot, Zucker, Kleidung, Benzin, Kaffee-Ersatz oder Kohle. Schon kurz vor dem Krieg waren Lebensmittel und Benzin, dann Kleidung und später alles, was es überhaupt noch gab, staatlich rationiert worden. Die Karten waren also keine Erfindung der Besatzungsmacht. Da für jeden Einkauf eine Marke der Bezugskarte abzugeben war, waren die Karten selbst begehrte Tauschobjekte. Der Schwarzmarkt blühte. Dort traf man auch auf alliierte Soldaten, die – trotz Verboten und drohender Strafen – die heiß begehrten Karten gern gegen technische Geräte wie Fotoapparate eintauschten.
So knapp die Versorgungslage auch war, Arbeit gab es hingegen im Überfluss. Die Besatzer verpflichteten schon unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen die arbeitsfähige Berliner Bevölkerung – darunter auch Jugendliche und die sprichwörtlich gewordenen Trümmerfrauen –, die Straßen von Schutt frei zu räumen. Auch wenn die Banken zunächst zu ruhen hatten und an Lohn- und Gehaltszahlungen ohnehin nicht zu denken war, gingen doch viele Berliner wie gewohnt zur Arbeit – was oft stundenlange Fußmärsche bedeutete.
Autor*in: Bjoern Weigel
Metallteile und Schrott gehörten nach dem Krieg nicht zur Mangelware. Fähige Hände, um daraus Küchengeräte herzustellen, schon eher. Foto: Eva Kemlein, Berlin, Juni 1945. © Stiftung Stadtmuseum Berlin
Die eingestürzte Warschauer Brücke im Bezirk Friedrichshain blockiert auch die S-Bahn- und Eisenbahngleise. Foto: Timofej Melnik, Ende April 1945
© Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Sammlung Timofej Melnik
© Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Sammlung Timofej Melnik
Berlin zu Fuß und ohne Strom
Ein alltäglicher Weg von A nach B sah im Frühjahr 1945 etwa so aus: Auf der Straße lagen Berge an Schutt und Trümmern eingestürzter Gebäude, Krater taten sich allenthalben auf. Die meisten Brücken waren gesprengt oder unpassierbar, bestenfalls besorgte ein alter Kahn den Fährbetrieb. Die Straßenbahn, einst das wichtigste Verkehrsmittel Berlins, fuhr nicht, weil die Oberleitungen längst als „Metallspende“ dem sinnlosen Krieg geopfert waren. In einen Bus steigen zu können glich einem Lottogewinn, denn nur 18 Fahrzeuge hatten den Krieg überstanden. Bei S- und U-Bahn verhinderten die bombardierten Gleise und eingebrochenen Tunnel ihre Fahrt. Den S-Bahn-Tunnel der Nord-Süd-Bahn hatte die SS am letzten Kriegstag gesprengt – direkt unter dem Landwehrkanal. Von A nach B kommen hieß in der Regel: Laufen, egal wie weit, egal bei welchem Wetter.
Doch auch andere, für das tägliche Leben wichtige Infrastruktur existierte nicht mehr: Die Strom- und Gasversorgung war weitgehend zusammengebrochen, Wasser gab es oft nur nach langem Anstehen an öffentlichen Pumpen an der Straße. Ebenso lag der Fernmelde- und Postverkehr darnieder, von der Müllabfuhr ganz zu schweigen. Dieser Aderlass war jedoch nicht nur auf Kriegszerstörungen zurückzuführen: Bereits kurz nach der Einnahme Berlins begann die sowjetische Besatzungsmacht, funktionstüchtige Industrie- und Versorgungsanlagen zu demontieren. Sie waren als Reparationen für die durch deutsche Soldaten verursachten Verwüstungen gedacht – ihr Abtransport in die Sowjetunion scheiterte allerdings oft genug an der zerstörten Verkehrsinfrastruktur …
Autor*in: Bjoern Weigel
Fließend Wasser gab es nur nach langem Anstehen an den Pumpen auf der Straße. Foto: Abraham Pisarek, Berlin, Juni 1945. © Stiftung Stadtmuseum Berlin
Eroberung von Berlin durch die Rote Armee und polnische Streitkräfte: Panzer mit polnischer Besatzung in der Berliner Straße, April 1945. Foto: Georgi Petrussow © akg-images / Sputnik
Eroberung von Berlin durch die Rote Armee und polnische Streitkräfte: Panzer mit polnischer Besatzung in der Berliner Straße, April 1945. Foto: Georgi Petrussow © akg-images / Sputnik
Schlacht um Berlin
Am 16. April 1945 begann die Rote Armee den Angriff auf Berlin. Nach Überwindung der Seelower Höhen an der Oder überschritt sie am 21. April im damaligen Bezirk Weißensee die Stadtgrenze; am 26. April stand sie am S-Bahn-Ring. In den nun folgenden schweren Straßenkämpfen kämpften sich die Soldaten weiter vor bis in das Stadtzentrum. Parallel dazu schloss am 25. April die Rote Armee den Belagerungsring um Berlin. Für Deutschland war der Krieg schon lange verloren, doch auf Befehl Adolf Hitlers gingen die Kämpfe weiter. In Halbe, südlich von Berlin, tobte bis zum 28. April eine Kesselschlacht mit tausenden Toten. Bis zum 29. April versuchte die Wehrmacht, die Belagerung Berlins zu durchbrechen.
Eine sowjetischer Granatwerfer-Bedienung im Gefecht am U-Bahnhof Bülowstraße, Berlin-Schöneberg, Ende April 1945. Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Erst nach Hitlers Suizid am 30. April zeigte die deutsche Seite Verhandlungsbereitschaft. Doch auch Propagandaminister Joseph Goebbels und der Generalstabschef des Heeres Hans Krebs konnten sich nicht zu der bedingungslosen Kapitulation durchringen, die die Rote Armee forderte. Beide begingen am 1. Mai Selbstmord. Am frühen Morgen des 2. Mai begab sich General Helmuth Weidling, der so genannte Kampfkommandant von Berlin, in das sowjetische Hauptquartier in Berlin-Tempelhof. In einer Wohnung im Schulenburgring 2 verfasste er den Befehl zur Einstellung der Kämpfe.
Die Schlacht um Berlin war Teil einer Großoffensive der Roten Armee auf der gesamten Länge zwischen der Ostsee und Görlitz. Den etwa zwei Millionen Rotarmist*innen standen eine Million deutsche Verteidiger gegenüber, von denen ein Viertel jugendliche Flakhelfer, ältere Männer als so genannter Volkssturm und Reservisten der Wehrmacht waren.
Berlin, das zudem mit rund 370 Angriffen die am stärksten bombardierte deutsche Stadt war, lag bei Kriegsende in Trümmern. 70 Prozent des Stadtzentrums waren zerstört.
Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Sowjetische Selbstfahrlafette SU 152 in der Oranienburger Straße, Berlin-Mitte, Ende April/Anfang Mai 1945. Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Wettlauf nach Berlin
Bereits zwei Jahre vor Kriegsende war die Wehrmacht in der Defensive. Nach der Schlacht von Stalingrad Anfang 1943 wurden die Siege der Roten Armee immer häufiger. Im Juli 1944 hatte sie ihr Land von der deutschen Besetzung befreit. Nahezu zeitgleich, am 6. Juni 1944, gelang den westalliierten Truppen mit der Landung in Nordfrankreich die Eröffnung der so genannten Zweiten Front. Ebenso entscheidend war die Landung amerikanischer Truppen an der Südspitze Italiens bereits im Sommer 1943.
Soldaten an einem Unterstand im Schlamm, Stalingrad 1942/43. © picture alliance/arkivi
Aus militärischer Sicht hatte es damit viele Momente gegeben, die eine Kapitulation erfordert hätten. Wie sich spätestens nach dem Scheitern der Ardennen-Offensive 1944 gezeigt hatte, brauchte Adolf Hitler nicht einmal Erfolge der Wehrmacht, um den Widerstand bis zum Letzten einzufordern. Es war der NS-Fanatismus, verkörpert vor allem durch Hitler, der völlig entkoppelt von jeder rationalen militärischen Bewertung der Lage, den Kampf bis zur Selbstopferung als einzigen Weg pries. Mit der Ausrufung des „Totalen Krieges“ und ganz zum Schluss seinem so genannten Nerobefehl vom 19. März 1945 verlangte er von allen Deutschen, den Kampf ohne Rücksicht auf Verluste so lange wie möglich weiterzuführen. Der Anti-Hitler-Koalition war damit klar, dass der Beschluss von Casablanca 1943, das Kriegsende nur durch einen vollständigen militärischen Sieg herbeiführen zu können, der einzige gangbare Weg war. Berlin, wo sich Adolf Hitler seit Mitte Januar 1945 verschanzt hatte, musste erobert werden.
Die Eroberung der deutschen Hauptstadt hatte vor allem Stalin seinen Soldat*innen vor Augen gehalten, um deren Kampfgeist nicht erlahmen zu lassen. „Nach Berlin“ war ein von der sowjetischen Propaganda sorgsam in Szene gesetzter Schlachtruf. Aber es gab auch die politische Dimension: Vor allem der britische Regierungschef Winston Churchill wollte mit Blick auf die Nachkriegszeit den sowjetischen Einfluss in Ostmitteleuropa eindämmen. Er drängte den US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, die Reichshauptstadt nicht allein der Roten Armee zu überlassen. Dieser aber ließ sich von militärischen Überlegungen leiten. Das schloss auch die Vermeidung der zweifelsohne großen Verluste ein, die die Einnahme Berlins fordern würde. Amerikanische und britische Truppen blieben an der Elbe stehen. Am 25. April gab es in Torgau das propagandistisch wirkungsvoll in Szene gesetzte „Treffen an der Elbe“. Erstmals begegneten sich amerikanischen und sowjetischen Truppen auf deutschem Gebiet.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Rote Armee bereits Berlin eingekreist. Eilig kämpften sich die sowjetischen Soldat*innen bis zum Stadtzentrum vor. Ganz bewusst hatte Stalin die Oberkommandierenden der beiden angreifenden Heeresgruppen in einen Wettlauf um den Sieg geschickt. Rücksichtslos trieben sie ihre Truppen voran. Am Ende war es eine Marschall Georgi Schukow unterstehende Einheit, die als Symbol des Sieges die rote Fahne auf dem Reichstag hisste. Schukow ernannte Nikolaj Bersarin zum ersten Stadtkommandanten von Berlin und ging in die sowjetische Geschichtsschreibung als der Sieger im „Großen Vaterländischen Krieg“ ein.
Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Auf der zerstörten Elbbrücke in Torgau begrüßten sich am 25. April 1945 drei amerikanische und drei sowjetische Soldaten. Dieses Treffen ging als “Treffen an der Elbe” in die Geschichtsbücher ein.
© picture alliance / Photo12
© picture alliance / Photo12
Befreite „Ostarbeiterinnen“ am Brandenburger Tor, vermutlich mit einem Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte, Berlin Mai 1945.
Foto: Gerhard Gronefeld © Deutsches Historisches Museum
Foto: Gerhard Gronefeld © Deutsches Historisches Museum
Befreite „Ostarbeiterinnen“ am Brandenburger Tor, vermutlich mit einem Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte, Berlin Mai 1945.
Foto: Gerhard Gronefeld © Deutsches Historisches Museum
Foto: Gerhard Gronefeld © Deutsches Historisches Museum
Zwangsarbeit in Berlin 1938–1945
Rund 3.000 Sammelunterkünfte gab es in Berlin. Aber nicht nur in Barackenlagern, auch in Schulen, Kinos, Theatern und Ausflugslokalen waren Zwangsarbeiter*innen untergebracht. Fast an jeder Ecke Berlins befand sich ein Lager – unübersehbar für die Bevölkerung.
Schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges hatten die NS-Behörden verschiedene Berliner Bevölkerungsgruppen zur Zwangsarbeit eingesetzt: Jüdinnen und Juden, Sinti*zze, Roma*nja sowie als „asozial“ Diskriminierte. Zwangsarbeit war hier ein Mittel der Verfolgung und nur eine Vorstufe bis zur Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager.
Zeichnung des polnischen Zwangsarbeiters Jerzy Bukowiecki: Flucht aus einem brennenden Splitterschutzgraben in Berlin-Köpenick, 1944.
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit/Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit/Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
Im Verlauf des Krieges sind immer mehr Menschen aus dem besetzten Europa zur Zwangsarbeit nach Berlin verschleppt worden. Rund 500.000 Männer, Frauen und Kinder mussten Zwangsarbeit leisten: in der Rüstungsindustrie, in kleineren und mittleren Betrieben, für die Kirchen, den Magistrat und die Bezirke, in Privathaushalten.
Besonders schlecht behandelt wurden die osteuropäischen Zwangsarbeitskräfte, die in der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus als besonders „minderwertig“ angesehen wurden. Für sie galten strenge Regeln; beim geringsten Abweichen wurden polnische und sowjetische Zwangsarbeiter*innen durch die Gestapo drakonisch bestraft. Kinder von Frauen aus Osteuropa starben oft an Unterernährung, Schwangere wurden zur Abtreibung gezwungen.
Westeuropäische Zwangsarbeiter*innen hatten grundsätzlich mehr Bewegungsfreiheit und waren weniger harten Bestimmungen unterworfen. Trotzdem sind viele von ihnen im Verlauf des Krieges wegen geringfügiger Delikte in Gestapo-Straflager eingewiesen oder auch von den Berliner Gerichten zum Tod verurteilt worden.
Erst im Jahr 2000 sind Zwangsarbeiter*innen offiziell als NS-Opfer anerkannt worden und erhielten somit – unter gewissen Umständen – Anspruch auf finanzielle Entschädigungen.
Viele Orte der Zwangsarbeit sind in Berlin nicht mehr sichtbar. In den letzten Jahren gerieten im Rahmen von Bauvorhaben jedoch wichtige Lager- und Arbeitseinsatzorte wieder in den Blick. Seitdem wird diskutiert, wie die Berliner Geschichte der NS-Zwangsarbeit stärker sichtbar gemacht werden kann.
Autor*in: Christine Glauning / Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Das Gelände des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit.
Foto: A. Schoelzel © Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Foto: A. Schoelzel © Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Rotarmisten begrüßen ehemalige sowjetische Zwangsarbeiterinnen, Mai 1945.
Foto: akg-images © picture alliance/akg-images
Foto: akg-images © picture alliance/akg-images
Befreiung der NS-Zwangslager
Als am 2. Mai 1945 die Stadt Berlin vor der Roten Armee kapitulierte, befanden sich rund 370.000 Zwangsarbeiter*innen im ganzen Stadtgebiet. Tausende nutzten das Chaos bei Kriegsende zur Flucht aus den Lagern oder vom Arbeitsplatz. Verstöße gegen die Anordnungen der NS-Führung, Fluchtversuche oder Diebstahl wurden jedoch bis zuletzt hart bestraft. Aus Angst vor Widerstand oder Rache kam es noch in den letzten Kriegstagen zu gezielten Mordaktionen an ausländischen Zwangsarbeitskräften in Berlin und im Umland.
Bei Kriegsende befanden sich die meisten der zur Zwangsarbeit verschleppten Frauen und Männer nach wie vor an ihren Einsatzorten. Viele von ihnen erlebten den Mai 1945 als Befreiung. Für andere hingegen begann mit dem Ende des Krieges eine Zeit der Ungewissheit und des Wartens. Die große Zahl sogenannter Displaced Persons – Menschen, die in die Heimat zurückkehren wollten oder durch den Krieg heimatlos geworden waren – stellte die alliierten Militäradministrationen vor enorme Herausforderungen.
Die meisten Deutschen wollten „die Ausländer“ möglichst schnell loswerden. Geprägt durch Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und den Nachhall der NS-Propaganda befürchteten sie Übergriffe und Plünderungen. Die Angst vor Rache- und Vergeltungsaktionen durch befreite Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge war weit verbreitet.
Viele ehemalige „Zivilarbeiter*innen“ aus West- und Südeuropa konnten noch im Sommer 1945 alleine oder mithilfe der Rückführungstransporte der Alliierten in ihre Heimatländer zurückkehren.
Andere Befreite versuchten, sich der Rückführung zu widersetzen. In einigen Ländern standen die Rückehrenden unter dem Verdacht des Verrats und der Kollaboration mit den Deutschen. So wurden unzählige ehemalige „Ostarbeiter*innen“ sowie Kriegsgefangene in so genannten „Prüf- und Filtrationslagern“ des sowjetischen Geheimdienstes umfangreichen Verhören unterzogen. Nicht wenige wurden in Straflager verschleppt. Andere wiederum rekrutierte die Rote Armee noch vor Ort in die eigenen Reihen.
Die Geschichte der Befreiung der NS-Zwangslager in Berlin ist bis heute nicht umfassend aufgearbeitet. Aktuell widmet sich das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit dem Thema in einem Rechercheprojekt. Auf der Website „Zu Ende, aber nicht vorbei. NS-Zwangslager in Berlin 1945“ und in den Sozialen Medien werden mehrmals die Woche Tagebuchauszüge, Erinnerungsberichte und Dokumente aus dem Frühjahr 1945 vorgestellt: www.zwangslager-berlin-1945.de #zwangslager1945
Autor*in: Niels Hölmer / Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Sowjetische Soldaten vor einer Baracke im befreiten „GBI-Lager 75/76“ (heute Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit), Berlin-Schöneweide, Juli 1945.
© Privatbesitz
© Privatbesitz
Übergabe der Bezirke Reinickendorf und Wedding aus britischer in französische Verwaltung: Abnahme einer Parade französischer Truppen durch General Jeoffroy de Beauchesne (rechts), den ersten Befehlshaber des Sektors, und Brigadegeneral Spurling (links) am Weddingplatz, 12. August 1945. © ullstein bild – ullstein bild
Übergabe der Bezirke Reinickendorf und Wedding aus britischer in französische Verwaltung: Abnahme einer Parade französischer Truppen durch General Jeoffroy de Beauchesne (rechts), den ersten Befehlshaber des Sektors, und Brigadegeneral Spurling (links) am Weddingplatz, 12. August 1945. © ullstein bild – ullstein bild
Frankreich: die „verspätete“ Siegermacht
Vier Jahre lang war Frankreich von deutschen Truppen besetzt. Kollaboration und Widerstand hinterließen eine tief gespaltene französische Gesellschaft. Doch zum Kriegsende wurde Frankreich in den Kreis der alliierten Sieger- und Besatzungsmächte aufgenommen. Im Juni 1940, nach sechswöchigen Gefechten, errichtete die Wehrmacht in Nordfrankreich und an der Atlantikküste ein Besatzungsregime. Der Süden des Landes blieb zunächst unbesetzt. Er unterstand der in Vichy ansässigen autoritären Regierung von Philippe Pétain. Das Vichy-Regime kollaborierte eng mit den Besatzern und half bei der Deportation von 76.000 Juden. Im November 1942 marschierte die Wehrmacht dann auch in die Südzone ein.
Die französische Stadt Caen in der Normandie ist nach ihrer Befreiung am 19. Juli 1944 völlig zerstört.
Foto: Captain E.G. Malindine, No 5 Army Film & Photographic Unit, public domain
Foto: Captain E.G. Malindine, No 5 Army Film & Photographic Unit, public domain
Sowohl in Frankreich als auch im Exil organisierten sich französische Widerstandsbewegungen gegen die Besatzungsmacht. Die von ihnen verübten Anschläge wurden mit brutalen Vergeltungsaktionen beantwortet.
Im Juni 1944 begann mit der Landung der Alliierten an der Küste der Normandie die Befreiung Frankreichs. Wenige Tage zuvor hatte sich unter der Führung von Charles de Gaulle die „Provisorische Regierung der französischen Republik“ gebildet. Dadurch sollte eine alliierte Militärregierung für Frankreich verhindert werden. Der Vormarsch der alliierten Streitkräfte wurde durch französische Widerstandskämpfer und Soldaten unterstützt. Von 1940 bis 1945 kamen etwa 230.000 Soldaten und 350.000 Zivilisten durch Kampfhandlungen sowie bei alliierten und deutschen Bombenangriffen ums Leben.
Große symbolische Bedeutung hatte die Befreiung von Paris im August 1944. Doch erst im Februar 1945 war das gesamte französische Territorium befreit. Der Jubel über das Ende der deutschen Besatzung wich schnell dem Druck gewaltiger politischer Probleme. Dazu gehörten der wirtschaftliche Wiederaufbau, die politische Neugestaltung des Landes und die Aussöhnung der gespaltenen Gesellschaft. Viele französische Soldaten blieben mobilisiert, nachdem Frankreich schließlich mit amerikanischer und britischer Unterstützung an der Besatzung Deutschlands beteiligt worden war.
Autor*in: Uta Birkemeyer / AlliiertenMuseum
Die französische Bevölkerung säumt die Champs Élysées und bejubelt nach der Befreiung von Paris einziehende französische Soldaten, 26. August 1944.
Foto: Jack Downey, U.S. Office of War Information, United States Library of Congress’s Prints and Photographs ID fsac.1a55001, public domain
Foto: Jack Downey, U.S. Office of War Information, United States Library of Congress’s Prints and Photographs ID fsac.1a55001, public domain
„Einladung zum Tanz“: Ein Leierkastenmann unterhält Frauen während einer Pause ihres Arbeitseinsatzes an der Friedrichsgracht in Berlin-Mitte. Im Hintergrund sieht man die Jungfernbrücke und das Gebäude der Reichsbank, in dem heute das Auswärtige Amt sitzt. Fotograf unbekannt, vermutlich Juni 1945. © ullstein bild – Schirner
„Einladung zum Tanz“: Ein Leierkastenmann unterhält Frauen während einer Pause ihres Arbeitseinsatzes an der Friedrichsgracht in Berlin-Mitte. Im Hintergrund sieht man die Jungfernbrücke und das Gebäude der Reichsbank, in dem heute das Auswärtige Amt sitzt. Fotograf unbekannt, vermutlich Juni 1945. © ullstein bild – Schirner
Kulturelles Leben in Ruinen
„Berlin kommt wieder – wer hätte das von uns gedacht?“ Brigitte Mira trug den textlich abgewandelten Schlager „Berlin bleibt doch Berlin!“ erstmals am 1. Juni 1945 vor – und ihr Optimismus war notwendig. Denn nach NS-Diktatur und Krieg war Berlin auch kulturell ein Trümmerfeld.
Wie bedeutsam kulturelle Infrastruktur war, zeigt schon der erste Befehl des Stadtkommandanten Bersarin vom 28. April 1945: Während im Zentrum noch gekämpft wurde, erlaubte er für die besetzen Bezirke den Betrieb von Kinos und Theatern, aber auch Sportveranstaltungen. Das Gefühl von Normalität, das kulturelle Veranstaltungen und Fußballspiele ermöglichten, war von großer Bedeutung. Sie boten der Bevölkerung Zerstreuung und geistige Nahrung, sollten aber auch der jahrelangen antisowjetischen Propaganda der Nationalsozialisten entgegenwirken und politischen Einfluss ausüben.
Theaterruinen: Während der Zuschauerraum und die Bühne des Deutschen Theaters den Krieg nur leicht beschädigt überstanden, traf es die unmittelbar angrenzenden Kammerspiele umso härter. Foto: Eva Kemlein, Mai 1945. © Stiftung Stadtmuseum Berlin
Schnell wurde das Kunst- und Kulturleben wieder in Gang gebracht: Keine zwei Wochen nach der Kapitulation rief Bersarin Künstler zusammen, die den geistigen Wiederaufbau in Ruinen organisieren sollten. Da hatte das erste Kammerkonzert bereits stattgefunden, auch der Rundfunk sendete wieder, Kleinkunstdarbietungen boten den Berlinern Unterhaltung. Eilig instand gesetzte Kinos zeigten Filme aus sowjetischer Produktion, Tanzlokale und Nachtklubs wurden geöffnet, die ersten Kabarett- und Varieté-Programme auf die Bühne gebracht. Schon am 27. Mai wurde im Renaissance-Theater das erste Stück der Nachkriegszeit gegeben. Im Juli öffneten die erste Kunstausstellung, der Zoo und die Trabrennbahn Karlshorst.
Doch Kunst war vor allem Broterwerb. Kriegsversehrte spielten Musik auf der Straße, Leierkastenmänner luden zum spontanen Tanz. „Kunst- und Kulturschaffenden“ wurden von den sowjetischen Besatzern – wie Schwerarbeitern – die höchsten Lebensmittelrationen zugesprochen. Damit war es nicht immer Ausdruck einer edlen Gesinnung, Kunst zu schaffen. Für viele Künstler, die sich zuvor im NS-Regime eingerichtet hatten, bedeutete es nun vor allem die Chance, auch unter den Besatzern ein Auskommen zu finden.
Autor*in: Bjoern Weigel
Not macht erfinderisch: Ein Kriegsversehrter spielt Musik auf selbstgebauten und auf seiner Krücke montierten Instrumenten. Die Aufmerksamkeit der Passanten zu erregen war schwierig, doch ihre milde Gabe sicherte oft das Überleben. Foto: Friedrich Seidenstücker, Berlin 1945. © bpk/Friedrich Seidenstücker
Überlebt – und nun?
Was ist ein Friedensanfang?
Wenn der Krieg zu Ende ist, hat der Frieden noch nicht begonnen. Die Waffen schwiegen, es gab keinen Luftalarm mehr und die meisten – Einheimische wie Soldaten oder vom NS-Regime nach Berlin Verschleppte – erlebten die ersten „ruhigen“ Nächte seit langem, wenn sie diese auch wie bisher in einem Keller verbringen mussten. Doch für die meisten Berliner wurde die Erleichterung, überlebt zu haben, von der Angst abgelöst, wie die Sieger sich nun ihnen gegenüber verhalten würden. Verfolgte des NS-Regimes wie beispielsweise Juden, die im Untergrund überlebt hatten, fürchteten vor allem, doch noch von Fanatikern aufgespürt und ermordet zu werden. Und auch die Soldaten der Roten Armee konnten nicht vor Schüssen aus dem Hinterhalt sicher sein. Für sie alle begann die Friedenszeit meist erst mit der schrittweisen Normalisierung des öffentlichen Lebens – nicht zuletzt mit den Gulaschkanonen der Roten Armee, die vielerorts das Überleben sicherten und einen Weg des Zusammenlebens signalisierten.
Den Alltag meistern: Eine Frau regelt den Verkehr an einer Trümmerbahn. Mit solchen Loren, die auf provisorischen Schienen verkehrten, wurde der Schutt abgefahren.
Foto: Eva Kemlein, Berlin, Mai 1945 © Stiftung Stadtmuseum Berlin
Foto: Eva Kemlein, Berlin, Mai 1945 © Stiftung Stadtmuseum Berlin
Ruinenstadt: Der Rauch der letzten Kämpfe ist in der Friedrichstraße noch nicht verzogen.
Foto: Timofej Melnik, Anfang Mai 1945 © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Foto: Timofej Melnik, Anfang Mai 1945 © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Kann ich den Alltag meistern?
Von einem Tag zum anderen zu leben und außergewöhnliche Lösungen für Probleme zu finden, war für die Berliner*innen bereits jahrelange Routine. Welche der bewährten Überlebensstrategien weiterhin anwendbar waren, wie die Besatzer nun die Stadt, ihre Einrichtungen und die Gesellschaft organisieren würden, wusste jedoch keiner. Wer zahlte fortan ihre Gehälter? Wo bekamen sie Brot? Oder ärztliche Hilfe? Nicht leichter hatten es die Tausende nach Berlin verschleppten Zwangsarbeiter*innen, die in einer fremden Stadt weitgehend auf sich allein gestellt waren – ohne nennenswertes persönliches Netzwerk, ohne Familie und oft genug ohne deutsche oder russische Sprachkenntnisse. Orientierung fehlte ihnen allen. Auch und gerade den Besatzern, die gestern noch im Häuserkampf ihr Leben riskieren mussten und heute eine Millionenstadt zu regieren hatten.
Autor*in: Bjoern Weigel/Christian Mentel
Deportation von Sinti und Roma in Asperg, 22. Mai 1940.
© Bundesarchiv, Bild R 165 Bild-244-48
© Bundesarchiv, Bild R 165 Bild-244-48
Deportation von Sinti und Roma in Asperg, 22. Mai 1940.
© Bundesarchiv, Bild R 165 Bild-244-48
© Bundesarchiv, Bild R 165 Bild-244-48
Der Genozid an den Sinti und Roma
Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wurden von 1933 bis 1945 Hunderttausende Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern als „Zigeuner“ verfolgt. Die größten Gruppen in Europa waren die Sinti und Roma. Ziel des NS-Staates und seiner Rassenideologie war die Vernichtung dieser Minderheit: Kinder, Frauen und Männer wurden verschleppt, an ihren Heimatorten oder in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet.
Luftbild des Lagerkomplexes Auschwitz-Birkenau. Das sogenannte Zigeunerlager ist rot unterlegt. Quelle: British Government, public domain
Nicht erst seit 1933 wurden Sinti und Roma diskriminiert. Doch in der NS-Zeit wurde Antiziganismus zur Staatsdoktrin. Es erfolgten erste Einweisungen von Sinti und Roma in Konzentrationslager und ab 1934 Zwangssterilisationen, schließlich die Einrichtung von Zwangslagern. In Berlin wurden Hunderte Menschen zwei Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in ein solches Lager im Stadtteil Marzahn eingewiesen. Die Lager dienten der Festsetzung und Erfassung, der Isolierung sowie der Rekrutierung zur Zwangsarbeit.
Und nicht zuletzt der Demütigung der Opfer: Mit den Nürnberger Gesetzen war 1935 ein rassistisches Sonderrecht etabliert worden, das für die Betroffenen unter anderem Eheverbote sowie Ausschluss aus Berufen oder der Wehrmacht bedeutete. Von wen dies gelten sollte, machte Reichsinnenminister Wilhelm Frick im Januar 1936 klar: „Zu den artfremden Rassen gehören alle anderen Rassen, das sind in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner.“
Schließlich wurde beim Reichskriminalpolizeiamt eine zentrale Stelle eingerichtet, die die Erfassung und Verfolgung der Sinti und Roma steuerte und koordinierte. Die Rassenhygienische Forschungsstelle in Berlin-Dahlem fertigte bis Kriegsende nahezu 24.000 „rassenkundliche Gutachten“ an, die eine wesentliche Grundlage für die Deportationen in Vernichtungslager bildeten. Die Anzahl der als „Zigeuner“ verfolgten Menschen, die im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich dem Völkermord zum Opfer fielen, wird sich wohl nie genau bestimmen lassen. Schätzungen reichen bis zu 500.000 ermordeten Männern, Frauen und Kindern.
Antiziganismus bekämpfen!
Roma lebten bereits vor über tausend Jahren in Europa. Ihre je nach Herkunftsstaaten und Regionen in vielen Varianten gesprochene Sprache heißt Romanès. Als Sinti bezeichnen sich die seit über 600 Jahren im deutschen Sprachraum Beheimateten, als Roma viele im Osten Europas. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Selbstbezeichnungen wie Manouche, Lalleri, Ashkali oder Lovari. Zusammen bilden sie die größte europäische Minderheit.
Demonstration vor dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden um gegen die fortgesetzte Sondererfassung der Minderheit zu protestieren, 1983.
© Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
© Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Ihre Lebenswelten sind sehr vielfältig. Seit Generationen Bürger ihrer jeweiligen Heimatländer, sprechen sie die dortigen Nationalsprachen und gehören meist den Mehrheitsreligionen an. In ihrer Jahrhunderte währenden Geschichte beeinflussten die Roma und Sinti ihrerseits Kultur und Wirtschaft. Landerwerb und Zugang zu vielen Berufszweigen blieben ihnen lange verwehrt. Viele Sinti und Roma reagierten darauf indem sie in Tätigkeitsfelder wie Handel oder Unterhaltung auswichen. Sie besetzten diese wirtschaftlichen Nischen teils mit großem Erfolg. Als deutsche Staatsbürger kämpften Sinti in beiden Weltkriegen für Deutschland. Im Ersten Weltkrieg erhielten sie teils hohe Auszeichnungen, im Zweiten Weltkrieg wurden sie schließlich aus „rassepolitischen Gründen” aus der Wehrmacht entlassen.
Nach dem von den Nationalsozialisten und ihren Verbündeten verübten Völkermord erleben Sinti und Roma in ganz Europa bis heute Vorurteile, Ausgrenzung und Benachteiligung. Der Rassismus gegen Sinti und Roma wird zumeist unter dem Begriff Antiziganismus gefasst. Er greift auf Jahrhunderte alte Denkmuster zurück, die europaweit verbreitet sind und sich stetig verändern. Diejenigen, die diese eigene Form des Rassismus trifft, haben selten Möglichkeiten, diese Feindbilder aufzubrechen. Die Folgen für den einzelnen sind erheblich. Viele Sinti und Roma verschweigen aus diesem Grund ihre Herkunft. Der Rassismus gegen Sinti und Roma ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Ein Bewusstsein hierüber ist kaum vorhanden. In den vergangenen Jahren hat er auf dem gesamten Kontinent eine neue Dimension erreicht – bis hin zu gewalttätigen Übergriffen und rassistischem Mord. Auch in Deutschland sind die seit vielen Generationen hier beheimateten Sinti, die in den letzten Jahrzehnten zugewanderten und die derzeit asylsuchenden Roma Rassismus in allen Lebensbereichen ausgesetzt. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe roma- und sintifeindliches Denken und Handeln zu benennen, zu verurteilen und die Betroffenen zu schützen und zu stärken. Aufgrund der historischen Verantwortung Deutschlands muss der Kampf gegen Antiziganismus Richtschnur politischen und gesellschaftlichen Handelns sein!
Reinhold Laubinger
Lichtbilder der Kriminalpolizei Berlin, 1940.
© Landesarchiv Berlin, GuMS-Pr.Br.Rep.030-02-03, Nr.74, S.8
© Landesarchiv Berlin, GuMS-Pr.Br.Rep.030-02-03, Nr.74, S.8
Reinhold Laubinger wurde am 22. August 1920 in Repplin, im Kreis Pyritz der Provinz Pommern, geboren. Er ging nach Berlin und war als Tiefbauarbeiter tätig. Offenbar war Laubinger einer der rund 600 Sinti, die die Polizei im „Zigeunerlager“ – offiziell „Rastplatz“ – Marzahn festhielt. Sie hatte das Lager anlässlich der Olympischen Spiele im Juli 1936 – Sinti sollten zu den Spielen im Stadtbild nicht mehr sichtbar sein – auf freiem Feld eingerichtet. Im Rahmen der „Aktion ›Arbeitsscheu Reich‹“ nahm die Kriminalpolizei Laubinger fest, verurteilte ihn am 18. Juni 1938 als „Asozialen“ und wies ihn in das KZ Sachsenhausen ein, obwohl er keinerlei Vorstrafen hatte. In Sachsenhausen missbrauchten Ärzte ihn für Fleckfieberversuche. Reinhold Laubinger meldete sich mit fünf weiteren Sinti nach Bombenangriffen auf Berlin „freiwillig“ zum Entschärfen von Blindgängern. Als Anerkennung befahl Reichsführer-SS Himmler am 2. Dezember 1940, die sechs aus Sachsenhausen in das „Zigeunerlager“ Marzahn zu überstellen. Laubinger fand im Wohnwagen seiner Mutter Adelheid Unterkunft. Die hygienischen Zustände waren katastrophal. In der Nachbarschaft befanden sich Rieselfelder. Laubinger nahm eine Arbeit in einer Berliner Möbelfabrik auf. Im Herbst 1940 begann Hitlers Propagandaregisseurin Leni Riefenstahl, ihren Film „Tiefland“ zu drehen. Ab April 1942 fanden die Aufnahmen in den Babelsberger Studios statt – ausschließlich mit Komparsen aus dem Marzahner Lager, darunter Reinhold Laubinger. Am 27. März 1943 wurden er und seine Mutter in das „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau verschleppt und unter den Nummern Z-5591 und Z-4610 registriert. Um die Deportierten aus bevorstehenden „Judentransporten“ aus Ungarn unterzubringen, wollte die SS am 16. Mai 1944, das „Zigeunerfamilienlager“ aufzulösen. Die Betroffenen setzten sich jedoch zur Wehr. Die SS zog sich zurück. In den folgenden Wochen sammelte sie alle arbeits- und zum Widerstand fähigen Häftlinge heraus und verschleppte sie in andere Konzentrationslager. Laubinger kam nach Dachau, wo er im April 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurde. Reinhold Laubinger starb 1986.
Johann Wilhelm Rukeli Trollmann
Hannover, 1928: Norddeutscher Meister der Amateure beim Verein »Herus«.
© wikipedia / gemeinfrei
© wikipedia / gemeinfrei
Johann Wilhelm Rukeli Trollmann, geboren am 27. Dezember 1907 in Wilsche bei Gifhorn, wuchs zusammen mit acht Geschwistern in der Altstadt Hannovers auf. Früh begann er zu boxen. Am 9. Juni 1933 wurde Trollmann in der Bockbrauerei in Berlin-Kreuzberg Deutscher Meister im Halbschwergewicht. Der Verband deutscher Faustkämpfer entzog ihm acht Tage darauf wegen „armseligen Verhaltens“ den Titel. Er drohte Trollmann mit Entzug der Boxlizenz, wenn er seinen „zigeunerisch tänzelnden“ und „undeutschen“ Boxstil beibehalte. Aus Protest trat Trollmann daraufhin mit blond gefärbten Haaren und weiß geschminktem Gesicht – als Karikatur eines „arischen“ Boxers – in den Ring. Wenige Monate darauf verlor Trollmann seine Boxlizenz. Am 1. Juni 1935 heiratete er im Standesamt Berlin-Charlottenburg seine Freundin Olga Frieda Bilda, mit der er seit März 1935 die gemeinsame Tochter Rita hatte. Offenbar wurde er anschließend unter dem Namen Heinrich Trollmann für mehrere Monate im Berliner Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg festgehalten. Der Direktor des Hauses beantragte eine Zwangssterilisation, das zuständige Erbgesundheitsgericht stimmte zu. Am 23. Dezember 1935 musste sich der junge Mann der Operation zur Unfruchtbarmachung unterziehen. Trollmann ließ sich scheiden, um seine Familie zu schützen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges im Herbst 1939 zog die Wehrmacht Trollmann als Soldat ein. Er wurde später an der Ostfront verwundet. Im Oktober 1942 entließ man ihn als „wehrunwürdigen Zigeuner“ und lieferte ihn in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg ein. Dort musste Rukeli Trollmann schwerste Zwangsarbeit leisten. Von den Wachmannschaften wurde er als ehemaliger erfolgreicher Boxer in Schaukämpfen mit SS-Männern gezielt gedemütigt. Anfang 1944 erschlug ein Kapo, der Trollmann zum Boxkampf herausgefordert und gegen ihn verloren hatte, ihn im Außenlager Wittenberge. Er war 36 Jahre alt. 2003 erhielt Johann Wilhelm Rukeli Trollmann posthum seinen Meistertitel aus dem Jahr 1933 zurück.
Erna Unku Lauenburger
Erna Unku Lauenburger kam am 4. März 1920 in Berlin-Reinickendorf zur Welt. Dort lernte sie Ende der 1920er-Jahre die Schriftstellerin Grete Weiskopf kennen. Unter dem Künstlernamen Alex Wedding veröffentlichte diese 1931 den Roman „Ede und Unku“, in dem sie Ereignisse aus Erna Lauenburgers Leben verarbeitete. Das Buch über die Freundschaft einer Sinteza mit einem Arbeiterjungen war damals und später in der DDR ein großer Erfolg. In den 1930er-Jahren zog die Familie Lauenburger nach Magdeburg. Dort machte der Pressefotograf Hanns Weltzel, der Romanès – die Sprache der Sinti – konnte, Aufnahmen ihres Alltags.
Erna Lauenburger heiratete Otto Schmidt aus Luckenwalde. Sie lebten – wie auch Ernas Mutter und Großmutter – zusammen im „Zigeunerlager“ Magdeburg-Holzweg. Schmidt wurde am 13. Juni 1938 während der „Aktion ›Arbeitsscheu Reich‹“ verhaftet, in das KZ Buchenwald deportiert und dort am 20. November 1942 getötet. Zuvor hatten Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts Fleckfieberversuche an ihm durchgeführt.
Am 25. August 1938 wurde beider Tochter Marie geboren. Am 12. April 1939 lud die Kriminalpolizei Erna Lauenburger vor, vernahm und registrierte sie erkennungsdienstlich. Mit Kriegsbeginn 1939 wurde Magdeburg-Holzweg ein Sonderlager der SS. Im Juli 1941 „untersuchte“ Robert Ritter von der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ in Berlin Erna Lauenburger und stufte sie in seiner „Gutachterlichen Äußerung“ als „Zigeuner-Mischling (+)“ ein. Im Februar 1943 kam er erneut, um seine Unterlagen über die Sinti im Lager für die bevorstehende Deportation zu ergänzen. Am 1. März 1943 wurde das „Zigeunerlager“ Magdeburg-Holzweg von Polizei und Gestapo aufgelöst, alle 160 Sinti – darunter 125 Kinder – in das „Zigeunerlagerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau verschleppt. Erna Lauenburger erhielt die Häftlingsnummer Z 633, ihre Tochter Marie die Z 635. Wenige Wochen später kam die 24-jährige Erna Lauenburger dort ums Leben.
Am 27. Januar 2011 wurde in Berlin-Friedrichshain ein Weg nach „Ede und Unku“ benannt.
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma
Das nationale Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas erinnert an bis zu eine halbe Million Menschen, die in den Jahren 1939 bis 1945 als „Zigeuner” umgebracht wurden.
Denkmal für die ermordeten Sinti und Romas Europas. Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Auch im Deutschland der Nachkriegszeit erfuhren Sinti und Roma erhebliche rechtliche und gesellschaftliche Ausgrenzung. Eine Entschädigung als Überlebende einer Verfolgung aus rassistischen Gründen wurde ihnen lange verwehrt. Für die Betroffenen bedeutete es die Verweigerung finanzieller Unterstützung und erforderte einen jahrzehntelangen, schmerzlichen und zermürbenden Kampf um Anerkennung. Grundlage der Ablehnungen waren oftmals personenbezogene Akten aus der Zeit des Dritten Reiches. Nach einem jahrelangen bürgerrechtlichen Kampf engagierter Sinti und Roma erfolgte 1982 die offizielle Anerkennung der Verbrechen als Völkermord. Im Zuge der Debatten um ein nationales Denkmal für die ermordeten Juden Europas in den 1990er-Jahren wurde auch ein Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma gefordert – vor allem von Angehörigen der Minderheit selbst. 1992 äußerte die Bundesregierung erstmals die Absicht, einen solchen Gedenkort zu schaffen. Der Berliner Senat schlug 1994 den Standort am Rande des Tiergartens neben dem Reichstag vor. Am 20. Dezember 2007 sprach sich der Bundesrat für die Umsetzung des Denkmals nach dem Entwurf des israelischen Künstlers Dani Karavan aus. 2008 wurde mit seinem Bau begonnen. Eröffnet wurde das Denkmal schließlich am 24. Oktober 2012.
Es besteht aus einer Wasserfläche mit einer Blume, die täglich erneuert wird. Den Rand des Beckens fasst das Gedicht „Auschwitz” des italienischen Rom Santino Spinelli ein. Auf Steinplatten rings um das Wasser sind Namen von Orten des Völkermordes zu lesen. Das Denkmal wird durch einen Geigenton, dem Stück „Mare Manuschenge” von Romeo Franz, umrahmt und durch eine Chronologie ergänzt. Das Denkmal wird von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut.
Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Chronologie am Denkmal
Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wurden von 1933 bis 1945 Hunderttausende Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern als „Zigeuner“ verfolgt. Die meisten von ihnen bezeichneten sich selbst nach ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen beispielsweise als Sinti, Roma, Lalleri, Lowara oder Manusch. Die größten Gruppen in Europa waren die Sinti und Roma. Ziel des nationalsozialistischen Staates und seiner Rassenideologie war die Vernichtung dieser Minderheit: Kinder, Frauen und Männer wurden verschleppt, an ihren Heimatorten oder in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. Von Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren auch Angehörige der eigenständigen Opfergruppe der Jenischen und andere Fahrende.
Sinti und Roma werden verschärft diskriminiert, zunehmend entrechtet und aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Es erfolgen erste Einweisungen in Konzentrationslager und ab 1934 Zwangssterilisationen.
In vielen Städten des Deutschen Reiches werden Zwangslager eingerichtet. In Berlin werden Hunderte Menschen zwei Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in ein solches Lager im Stadtteil Marzahn eingewiesen. Die Lager dienen der Konzentration, Festsetzung und Erfassung, der Isolierung sowie der Rekrutierung zur Zwangsarbeit.
Nach den „Nürnberger Rassengesetzen“ (1935) verfügt Reichsinnenminister Wilhelm Frick im Januar 1936: „Zu den artfremden Rassen gehören alle anderen Rassen, das sind in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner.“ Auf dieser Basis wird ein rassistisches Sonderrecht etabliert, das für die Betroffenen unter anderem Eheverbote sowie Ausschluss aus Berufen oder der Wehrmacht bedeutete.
Über 2.000 Sinti und Roma aus Deutschland und Österreich, darunter Kinder ab zwölf Jahren, werden bis 1939 nach Dachau, Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück, Mauthausen und in andere Konzentrationslager verschleppt. Auf Weisung des „Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei“, Heinrich Himmler, wird in Berlin beim Reichskriminalpolizeiamt eine zentrale Stelle eingerichtet, die die Erfassung und Verfolgung der Sinti und Roma steuert und koordiniert. Im Dezember ergeht ein grundlegender Erlass Himmlers, „die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen“, mit dem Ziel der „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage“. Die mit der Erfassung beauftragte „Rassenhygienische Forschungsstelle“ fertigt bis Kriegsende nahezu 24.000 „rassenkundliche Gutachten“ an, die eine wesentliche Grundlage für die Deportationen in Vernichtungslager bilden.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges plant das für die Organisation des Völkermordes federführende „Reichssicherheitshauptamt“, alle als „Zigeuner“ erfassten Menschen zu deportieren. Zur Vorbereitung von Deportationen verfügt es, allen Betroffenen „die Auflage zu erteilen, ihren Wohnsitz oder ihren jetzigen Aufenthalt bis auf weiteres nicht zu verlassen“.
Auf Befehl Himmlers beginnen die Deportationen ganzer Familien aus Deutschland in das besetzte Polen: „Der erste Transport von Zigeunern nach dem Generalgouvernement wird Mitte Mai in Stärke von 2.500 Personen […] in Marsch gesetzt werden.“ In Lagern, später auch in Ghettos, müssen sie unter grausamen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Vielerorts unterliegen Sinti und Roma einer Kennzeichnung durch Sonderausweise oder Armbinden mit der Aufschrift „Z“.
In der besetzten Sowjetunion und in den anderen besetzten Gebieten Ost- und Südosteuropas beginnen systematische Massenerschießungen von Roma. So meldet eine „Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS“ von der Krim: „Zigeunerfrage bereinigt.“ Aus dem österreichischen Burgenland werden etwa 5.000 Roma und Sinti in das Getto Litzmannstadt (Łódź) im besetzten Polen deportiert – über 600 von ihnen sterben dort. Die Überlebenden werden im Januar 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) in Vergasungswagen ermordet.
Nach einer Besprechung mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels über die Auslieferung von Justizgefangenen an die SS protokolliert Reichsjustizminister Otto Georg Thierack, dass „Juden und Zigeuner schlechthin […] vernichtet werden sollen. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste“.
Auf der Grundlage eines Erlasses von Heinrich Himmler vom 16. Dezember 1942 beginnen ab Februar die Deportationen von rund 23.000 Sinti und Roma aus fast ganz Europa. Ziel der Transporte ist ein von der SS als „Zigeunerlager“ bezeichneter Abschnitt von Auschwitz-Birkenau. Innerhalb weniger Monate sterben die meisten von ihnen an Hunger, Seuchen oder durch Gewalttaten der SS. Den Experimenten des dortigen SS-Lagerarztes Josef Mengele fallen zahlreiche Kinder zum Opfer.
Am 16. Mai leisten viele der im „Zigeunerlager“ in Auschwitz noch lebenden 6.000 Gefangenen Widerstand gegen ihre drohende Ermordung. Etwa die Hälfte von ihnen wird zur Zwangsarbeit in andere Konzentrationslager deportiert. Die letzten 2.897 Überlebenden – meist Kinder, Frauen und Alte – werden in der Nacht vom 2. auf den 3. August in den Gaskammern ermordet.
Die Anzahl der als „Zigeuner“ verfolgten Menschen, die im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich dem Völkermord zum Opfer fielen, wird sich wohl nie genau bestimmen lassen. Schätzungen reichen bis zu 500.000 ermordeten Männern, Frauen und Kindern.
Texte: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Eine jüdische Familie trägt inmitten anderer Passanten auf einer Straße den Judenstern als Kennzeichen ihrer jüdischen Abstammung. In Deutschland war das Tragen des Judensterns durch eine Polizeiverordnung, die am 19.09.1941 in Kraft trat, für alle Juden über sechs Jahren verpflichtend geworden. Die öffentliche Stigmatisierung durch den handtellergroßen, gelben Stern signalisierte den Beginn der planmäßigen Deportation in die Vernichtungslager.
© ullstein bild
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Eine jüdische Familie trägt inmitten anderer Passanten auf einer Straße den Judenstern als Kennzeichen ihrer jüdischen Abstammung. In Deutschland war das Tragen des Judensterns durch eine Polizeiverordnung, die am 19.09.1941 in Kraft trat, für alle Juden über sechs Jahren verpflichtend geworden. Die öffentliche Stigmatisierung durch den handtellergroßen, gelben Stern signalisierte den Beginn der planmäßigen Deportation in die Vernichtungslager.
© ullstein bild
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Vom Vorurteil zum Völkermord – Judenverfolgung in Berlin
Antisemitismus begann nicht erst 1933. Aber die Nationalsozialisten verstanden es, weit verbreitete antisemitische Stereotype für ihre Zwecke zu nutzen. Mit dem Machtantritt Hitlers wurde Antisemitismus 1933 zur Staatsdoktrin.
Möbelwagen von 1930. Die Firma A. Schäfer Spedition & Möbeltransport, der dieser Wagen gehörte, galt den Nationalsozialisten als „jüdisches Unternehmen“ und wurde 1939 zwangsweise an einen Nicht-Juden verkauft. Ob dieser sich an der Deportation von Juden beteiligte, ist nicht nachgewiesen. Doch profitierten viele Berliner Speditionsunternehmen ganz erheblich von den Deportationen. © ullstein bild – ullstein bild
Diskriminierende Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung wurden von Anfang an ergriffen. In Berlin, wo die mit Abstand größte jüdische Gemeinde Deutschlands lebte – etwa 160.000 Menschen – inszenierten die Nationalsozialisten am 1. April 1933 einen sogenannten Boykott: SA-Männer standen vor Geschäften jüdischer Inhaber*innen, vor Anwaltskanzleien und Arztpraxen. Sie wollten Kundschaft und Klient*innen vom Betreten der Geschäftsräume abhalten. Was als disziplinierte Maßnahme propagandistisch aufbereitet wurde, war in Wirklichkeit vielfach von Gewalt geprägt.
Fortan versuchten die Nationalsozialisten, die zunehmende Entrechtung der jüdischen Bevölkerung und Gewalt gegen die Minderheit vor der in Berlin stark vertetenen ausländischen Presse zu verheimlichen – die deutsche Presse trug ohnehin längst einen Maulkorb. Der legalistische Anstrich, den die Entrechtung mit den Nürnberger Gesetzen 1935 bekam, wurde von pogromartigen Ausschreitungen im selben Jahr begleitet. Sie wurden ebenso wenig thematisiert wie der systematische Rauswurf jüdischer Mieter*innen aus ihren Wohnungen ab 1937 oder der Pogrom vom Juni 1938. Die öffentlich ausgelebten Gewaltakte der Novemberpogrome 1938 ließen sich jedoch nicht verbergen. Einer schockierten Weltöffentlichkeit stand das deutsche Propagandamärchen vom „sponaten Volkszorn“ gegenüber. Doch die tagelang wütenden Pogrome waren von höchsten Stellen orchestriert worden: Die euphemistisch „Reichskristallnacht“ genannten Pogrome waren eine völlig neue Eskalationsstufe in der Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung und ein beispielloser Raubzug, an dem sich auch vermeintlich harmlose Nachbarn beteiligten.
In Berlin folgte eine Reihe von Verboten, die mal von der Polizei, mal von der Stadtverwaltung und mal von einzelnen Beamten ausging. Im Ergebnis aller Maßnahmen seit 1933 waren auch die Berliner Juden zunehmend jeder Zukunftsperspektive und vor allem ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt. Ab 1941 begann ihre Deportation: Rund 55.000 Menschen wurden an die Vernichtungsstätten, vor allem nach Auschwitz, gebracht und dort ermordet.
Autor*in: Bjoern Weigel
Bilder vom Holocaust
Berlin war das internationale Schaufenster des „Dritten Reichs“. In der Stadt hatten alle wichtigen Nachrichten- und Bildagenturen ihren Sitz. Aus keiner anderen Stadt – mit Ausnahme vielleicht von Nürnberg oder München – sind ähnlich viele Fotos in internationalen Zeitungen überliefert wie aus der Reichshauptstadt.
Die Nationalsozialisten – allen voran der Berliner Gauleiter und neu ernannte Reichminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels – beschimpften zwar die „Lügenpresse“. Gleichzeitig versuchten sie die internationalen Zeitungen aber zu instrumentalisieren und inszenierten den so genannten Boykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien am 1. April 1933 in Berlin für die Weltöffentlichkeit. In der Leipziger Straße und am Kurfürstendamm setzten die SA-Männer ein Lächeln auf und klebten deutsch-englische Poster! Als das wenig fruchtete, verbot Goebbels das Fotografieren von Maßnahmen gegen Juden zwar nicht offiziell, doch sehr effektiv. Selbst Botschaftsangehörigen wurden die Kameras aus der Hand gerissen, wenn sie versuchten, Gewalt gegen Jüdinnen und Juden zu fotografieren. Zu groß war die Angst, dass Bilder sich allzu rasch über die Nachrichtendienste und Bildagenturen der Welt verbreiten würden. Von den Ausschreitungen des Sommers 1935 gibt es fast keine bildliche Überlieferung.
Die zwei Dutzend Fotos vom Pogrom im November 1938 blenden jegliche Gewalt aus, zeigen nur zerstörte Schaufenster, aber nicht die SA-Männer mit Eisenstangen und nicht die Erschlagenen und zu Tode gehetzten Jüdinnen und Juden. Zwar sind Fotos der Deportationen aus einigen kleineren Städten bekannt. Doch gibt es kein einziges vergleichbares Foto aus Berlin, obwohl in 184 Transporten über 50.000 Menschen vor aller Augen verschleppt wurden!
Autor*in: Christoph Kreutzmüller / Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Liquidiert – zwei Monate nach der Befreiung von Auschwitz
Nur wenige Wochen vor dem Kriegsende verschwand das letzte jüdische Gewerbeunternehmen aus dem Berliner Handelsregister: die Firma Max Kann. So dokumentiert es die Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930–1945.
Ihr Gründer Max Kann hatte im Jahr 1903 eine Leder- und Schuhwarenhandlung im Zentrum des alten Berliner Geschäftsviertels gegenüber der Börse eröffnet. Nach seinem Tod 1923 erbte Sohn Martin das Unternehmen und führte es 19 Jahre lang allein weiter.
Die Schuhwarenhandlung “Max Kann” in der Neuen Friedrichsstraße 48, Berlin. © Privatbesitz
Martin Kann starb am 16. Oktober 1942 im Alter von 54 Jahren an Herzversagen. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat die Verwandte Ruth Lynn seinen Tod auf die Verfolgung zurückgeführt. Knapp einen Monat später wurden Martha Kann und die 16-jährige Tochter Marion nach Auschwitz deportiert und ermordet. Die ältere Tochter Ellen konnte in die USA emigrieren.
Ungeachtet der mörderischen Gewalt gegenüber der jüdischen Familie war die Firma Max Kann für die Behörden noch nicht abgeschlossen. Im Oktober 1943, als das Firmenvermögen vom Staat geraubt worden war, beantragte die Industrie- und Handelskammer wegen „Einstellung des Betriebes“ die Löschung. Die Beamten im zuständigen Amtsgericht leiteten daraufhin ein standardisiertes Löschungsverfahren ein. Mit Unterstützung von Einwohnermeldeamt und Polizeirevier versuchten sie ab Januar 1944 die Adresse des Eigentümers Martin Kann herauszufinden, um ihn über die Löschung seiner Firma zu informieren. Dieser war jedoch seit über einem Jahr tot und seine Wohnung war inzwischen geräumt worden. Später erkundigten sie sich mehrmals nach seinen Erben, die es nicht mehr gab.
Die Bemühungen, Kontakt zum Inhaber und zu dessen Angehörigen herzustellen, wurden schließlich eingestellt, als am 3. Mai 1944 der Hauptmann der Schutzpolizei meldete, dass der „Jude Martin Kann“ verstorben sei, während die „Ehefrau und zwei Kinder nach den (sic!) Osten überführt wurden“. Noch am 27. März 1945, als sowjetische Truppen bereits kurz vor Berlin standen, wurde die Firma Max Kann endgültig gelöscht – auf den Tag genau zwei Monate nach der Befreiung von Auschwitz.
Autor*innen: Sophie Eckenstaler/Bethan Griffiths
Das Holocaust-Mahnmal
Seit Mai 2005 prägt das Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden Europas – neben dem Reichstagsgebäude und dem Brandenburger Tor – das Zentrum der deutschen Hauptstadt. Sein etwa 19.000 Quadratmeter großes Gelände gehörte bis 1945 zu den Ministergärten. Die Gärten wurden mit dem Bau der Mauer durch die DDR im Jahre 1961 Teil des „Todesstreifens”.
Das Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.
Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Den Anstoß für dieses Denkmal gab 1988 eine Gruppe von engagierten Bürgern um den Historiker Eberhard Jäckel und die Publizistin Lea Rosh im damaligen West-Berlin. Noch während heftiger Diskussionen um das Ob, das Wie und die Widmung eines solchen nationalen Denkmals fanden in den 1990er-Jahren zwei Architekturwettbewerbe statt. Am 25. Juni 1999 beschloss der Deutsche Bundestag in einer seiner letzten Sitzungen in der alten Bundeshauptstadt Bonn – nach lebhafter Debatte, mehrheitlich und fraktionsübergreifend – die Errichtung des sogenannten Holocaust-Mahnmals nach dem Entwurf des New Yorker Architekten Peter Eisenman, ergänzt durch einen Ort der Information, und die Gründung einer zuständigen Bundesstiftung. Mit dem Denkmal will die Bundesrepublik Deutschland „die ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an ein unvorstellbares Geschehen der deutschen Geschichte wach halten und alle künftigen Generationen mahnen, die Menschenrechte nie wieder anzutasten, stets den demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen, die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz zu wahren und jeder Diktatur und Gewaltherrschaft zu widerstehen.”
Am 10. Mai 2005 konnte Deutschlands zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust der Öffentlichkeit übergeben werden. Seitdem ist das Stelenfeld eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten und der Ort der Information eine der meistbesuchten Ausstellungen Berlins. Sie werden von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut.
Text: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Foyer im Ort der Information. Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Unerwünscht, verdächtigt, verfolgt: Im Mai 1933 durchwühlen nationalsozialistische Studenten einen Haufen Bücher und Broschüren des Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld, einem prominenten Vertreter einer liberalen Haltung gegenüber Homosexualität. © ullstein bild – ullstein bild
Unerwünscht, verdächtigt, verfolgt: Im Mai 1933 durchwühlen nationalsozialistische Studenten einen Haufen Bücher und Broschüren des Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld, einem prominenten Vertreter einer liberalen Haltung gegenüber Homosexualität. © ullstein bild – ullstein bild
Verfolgung und fehlendes Gedenken
1935 ordneten die Nationalsozialisten die umfassende Kriminalisierung männlicher Homosexualität an. Dazu wurden die schon seit 1872 im § 175 des Strafgesetzbuches vorgesehenen Bestimmungen verschärft und ausgeweitet. Bis 1945 gab es über 50.000 Verurteilungen. Mehrere tausend Schwule wurden in Konzentrationslager verschleppt. Dort mussten sie zur Kennzeichnung einen rosafarbenen Winkel an der Häftlingskleidung tragen. Ein großer Teil von ihnen starb aufgrund von Hunger oder Krankheiten, durch Misshandlungen oder gezielte Mordaktionen. Die Nationalsozialisten zerschlugen die Lebenswelten von Schwulen und Lesben.
Für die Klassifizierung von Häftlingen in den Konzentrationslagern erfanden die Nationalsozialisten verschiedenste Kennzeichen. Homosexuelle hatten einen rosa Winkel zu tragen. Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, public domain
Lange Zeit blieben die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus aus der Gedenkkultur beider deutscher Nachkriegsstaaten ausgeschlossen. Hier wie dort wurden Schwule noch jahrzehntelang strafrechtlich verfolgt. In der Bundesrepublik blieb der § 175 in seiner nationalsozialistischen Fassung noch bis 1969 in Kraft. Erst am 17. Mai 2002 beschloss der Deutsche Bundestag die gesetzliche Rehabilitierung der homosexuellen NS-Opfer. In vielen Teilen der Welt ist homosexuelle Liebe noch immer strafbar.
Erwin Keferstein
In Berlin, Ende der 1920er Jahre
© privat
© privat
Erwin Keferstein wurde am 4. Juni 1915 in Stettin geboren. Mit 15 Jahren verließ er die Realschule und begann eine Lehre bei einem Damenschneider. Drei Jahre lang lernte er in den Modesalons Falk und Lobel das Schneiderhandwerk und schloss seine Ausbildung mit gut ab. Nachdem erste sexuelle Erfahrungen mit anderen Jungen von seinem Vater mit strengstem Hausarrest sanktioniert wurden, beschloss Erwin Keferstein, nach Berlin umzuziehen. Er verdiente sich seinen Unterhalt durch selbständige Arbeiten und fertigte unter anderem Modezeichnungen an.
Am 1. Dezember 1934 wurde er während einer der Razzien der Szenelokale in Berlin verhaftet und gab im anschließenden Verhör gegenüber der Gestapo die Namen der Männer preis, mit denen er sexuellen Kontakt hatte. Im Januar 1935 wurde er in das Konzentrationslager Lichtenburg bei Torgau und von dort in das Berliner Konzentrationslager Columbia-Haus am Tempelhofer Feld gebracht. Erst am 3. Februar 1937 wurde er wegen Vergehen gegen § 175 schuldig gesprochen. Da der Haftgrund mehr als zwei Jahre zurücklag, wurde seine Strafe als verbüßt angesehen und er kam frei.
1942 drohte Erwin Keferstein aus denselben Gründen erneut Anklage. Möglicherweise halfen ihm die Kontakte seines Vaters, so dass man ihn als Soldat an die Front schickte. Bei einem Angriff von Partisanen am 17. Dezember 1943 in der Nähe von Leningrad wurde er erschossen.
Elsa Conrad
Im KZ Moringen, vermutlich bei der Einlieferung am 14. Januar 1937© Hauptstaatsarchiv Hannover
Elsa Rosenberg wurde am 9. Mai 1887 in Berlin geboren. Sie absolvierte eine kaufmännische Lehre und heiratete 1910 den Kellner Wilhelm Conrad; die Ehe wurde 1931 geschieden. Um 1927 eröffnete Elsa Conrad mit ihrer Freundin Amalie Rothaug in Berlin-Charlottenburg das Monbijou des Westens, einen mondänen, von Intellektuellen und Künstlerinnen vielbesuchten Club, der Ende der 1920er-Jahre als die „interessanteste Vereinigung lesbischer Frauen Berlins“ galt. Das Monbijou wurde Anfang März 1933, kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, aufgrund des Erlasses zur „Bekämpfung der Absteigequartiere und homosexuellen Lokale“ polizeilich geschlossen. Elsa Conrad wurde nach einer Denunziation am 5. Oktober 1935 verhaftet und wegen angeblicher Verleumdung von Partei und Staat zu einem Jahr und drei Monaten Haft in den Frauengefängnissen Barnim- und Kantstraße in Berlin verurteilt. Zehn Tage nach ihrer Entlassung wurde sie am 14. Januar 1937 unter anderem, weil sie „lesbisch veranlagt“ und mit einer gewissen Bertha Stenzel 14 Jahre lang liiert gewesen sei, in das Frauen-Konzentrationslager Moringen bei Göttingen verbracht. Im Februar 1938 wurde Elsa Conrad krank entlassen – verbunden mit der Auflage, noch im selben Jahr auszuwandern. Sie fuhr mit dem Schiff nach Tansania und lebte seit 1943 in Kenia. Schwer erkrankt und mittellos kehrte sie 1961 nach Westdeutschland zurück und starb am 19. Februar 1963 in Hanau.
Das Denkmal
Im Zusammenhang mit der Diskussion um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas begannen 1992 erste Kampagnen zugunsten eines nationalen Gedenkorts für die verfolgten Homosexuellen. Am 3. Mai 2001 starteten die Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken” sowie der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) einen gemeinsamen Aufruf.
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten. Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Am 12. Dezember 2003 beschloss der Deutsche Bundestag den Bau des Denkmals. Mit diesem Gedenkort, so das Parlament, „wollen wir:
- die verfolgten und ermordeten Opfer ehren,
- die Erinnerung an das Unrecht wachhalten,
- ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.”
Den künstlerischen Wettbewerb gewannen Michael Elmgreen (Dänemark) und Ingar Dragset (Norwegen). Das Denkmal wurde am 27. Mai 2008 der Öffentlichkeit übergeben. Es besteht aus einer Betonstele, in der ein Film mit einer gleichgeschlechtlichen Kussszene läuft. Der seit 2018 gezeigte Film stammt von der israelischen Künstlerin Yael Bartana. Es wird von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut.
Texte: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Befreiung: Am 27. Januar 1945 erreicht die Rote Armee den Lagerkomplex von Auschwitz und befreit die dort verbliebenen Häftlinge. © Olga Ignatovich / Sputnik
Befreiung: Am 27. Januar 1945 erreicht die Rote Armee den Lagerkomplex von Auschwitz und befreit die dort verbliebenen Häftlinge. © Olga Ignatovich / Sputnik
Die Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der deutschen Juden
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Juden in Deutschland. Antisemitismus war erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates. Juden wurden zu Fremden gemacht, die Verfolgung schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der nationalsozialistischen Presse ineinander.
Die rechtliche Gleichstellung der Juden wurde schrittweise aufgehoben. Die sogenannte „Kristallnacht” 1938 markierte einen Scheitelpunkt: Im gesamten Deutschen Reich wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November und im Laufe des folgenden Tages Synagogen zerstört, Altersheime, Waisen- und Krankenhäuser in Brand gesetzt sowie Geschäfte jüdischer Kaufleute geplündert. Nationalsozialisten und ihre Sympathisanten überfielen jüdische Familien, verwüsteten ihre Wohnungen und ermordeten mindestens 100 Menschen. Widerstand und Proteste gab es kaum.
Bis zu 30.000 Juden hielt man über mehrere Wochen in Konzentrationslagern wie Sachsenhausen fest. Ihre Auswanderung sollte erzwungen werden. Zehntausende deutscher und österreichischer Juden entschlossen sich zur Flucht. Nach der Eroberung Polens im September 1939 und den Feldzügen im Norden wie im Westen 1940 verschärfte das Regime seine Politik gegen Juden auch im Deutschen Reich. 1940 fanden die ersten Deportationen aus Deutschland statt.
Nach dem Ausreiseverbot für deutsche Juden im Herbst 1941 begannen die systematischen Verschleppungen in den Osten – zunächst in Ghettos, ab Frühjahr 1942 in die Gaskammern von Auschwitz und andere Vernichtungsstätten. Selbst als der Krieg an seinen Ausgangspunkt, nach Deutschland, zurückkehrte und deutsche Städte in Schutt und Asche fielen, hatte die Vernichtung der Juden weiterhin Vorrang. Der letzte Transport kam am 15. April 1945 im Lager Theresienstadt an. Drei Wochen später kapitulierte die deutsche Wehrmacht. Von den 500.000 jüdischen Kindern, Frauen und Männern, die vor 1933 in Deutschland gelebt hatten, fielen bis zu 165.000 dem Holocaust zum Opfer, darunter etwa 55.000 aus Berlin.
Mord durch Giftgas
Am 15. Oktober 1939 wurden erstmals Patienten im Fort VII in Posen im eroberten Polen durch Giftgas ermordet. Von Januar 1940 bis August 1941 töteten Ärzte über 70.000 Menschen in sechs eigens dafür eingerichteten Gasmordanstalten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches (Aktion „T4″), unter ihnen in einer „Sonderaktion” gezielt Juden. Aufgrund öffentlicher Proteste brach das nationalsozialistische Regime das „Euthanasie”-Programm mit Gas ab und verlegte das „geschulte” Personal in das besetzte Polen.
Im November 1941 richtete das Sonderkommando Lange in der Nähe des Ortes Kulmhof (Chełmno) eine Mordstätte ein und tötete zwischen Dezember 1941 und Ende 1944 mindestens 152.000 Juden – darunter 2.600 aus Berlin – sowie 4.300 Sinti und Roma in Gaswagen – umgebauten Lastkraftwagen, in deren luftdichten Aufbauten Menschen durch eingeleitete Abgase vergiftet wurden. Unter dem Decknamen „Aktion Reinhardt” erbaute die SS ab Anfang 1942 drei Vernichtungsstätten in abgelegenen Gebieten mit Gleisanschluss: Belzec, Sobibor und Treblinka. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurden die Verschleppten in Gaskammern mit Abgasen aus erbeuteten sowjetischen Panzermotoren vergiftet. Bis Mitte 1943 starben hier zwischen 1,6 und 1,9 Millionen Juden vor allem aus Polen, aber auch anderen europäischen Ländern unter deutscher Besatzung, wie auch Zehntausende Sinti und Roma.
Ab Oktober 1941 errichtete die SS das Vernichtungslager Auschwitz II-Birkenau. Nach der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 begannen ab Frühjahr 1942 die Transporte aus ganz Europa dorthin. 1942/43 baute die SS weitere Gaskammern. Zugleich dehnte die deutsche Führung ihr Deportations- und Mordprogramm auf die Juden aus dem Westen, aus Südeuropa und ab Frühjahr 1944 aus Ungarn aus. In Auschwitz wurden bis 1945 etwa 960.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer, bis zu 75.000 polnische politische Häftlinge, 21.000 Sinti und Roma, 15.000 sowjetische Kriegsgefangene und mindestens 10.000 Häftlinge anderer Nationalitäten ermordet. Über die Hälfte der sechs Millionen ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer wurden durch Giftgas getötet.
Massenerschießungen
Mit dem Angriff der Wehrmacht auf das Nachbarland Polen am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Bereits in den ersten Wochen des Feldzuges erschossen Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Wehrmachts- und andere Einheiten Zehntausende Geiseln, Angehörige der polnischen Intelligenz und Pflegebedürftige, Juden und gefangene Soldaten.
Am 22. Juni 1941 überfielen die Wehrmacht und ihre Verbündeten in einem erklärten Vernichtungskrieg die Sowjetunion. Vom ersten Tag an folgten der kämpfenden Truppe Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiensts (SD) der SS. Unterstützt durch deutsche Polizei und Waffen-SS sowie einheimische Helfer erschossen diese zunächst Tausende kommunistische Funktionsträger und jüdische Männer. Politkommissare und jüdische Soldaten unter den zu Hunderttausenden gefangenen Rotarmisten wurden „ausgesondert” und ermordet.
Ab Ende Juli 1941 weiteten die Besatzer diese Verbrechen auf jüdische Frauen und Kinder aus. Bis Ende 1944 starben insgesamt über zwei Millionen jüdische Kinder, Frauen und Männer auf sowjetischem Boden bei Erschießungen oder in sogenannten Gaswagen – mehr als ein Drittel aller Holocaustopfer. Auf gleiche Weise verloren auch etwa 30.000 Roma und 17.000 Patienten psychiatrischer Anstalten ihr Leben. Im besetzten Serbien erschossen Wehrmachtseinheiten im Herbst 1941 binnen weniger Wochen nahezu alle jüdischen Männer und Tausende männliche Roma im Rahmen sogenannter Vergeltungsmaßnahmen gegen vermeintliche oder tatsächliche Widerstandsakte.
Ruth und Thea Fuss
Berlin, 1940/41, Aufnahme von Abraham Pisarek
© Bildarchiv Abraham Pisarek / akg images
© Bildarchiv Abraham Pisarek / akg images
Thea wurde am 16. Januar 1930 und Ruth am 4. September 1931 in Berlin geboren. Sie wuchsen im Prenzlauer Berg, in der Fehrbelliner Straße 83, auf. Ihr Vater, der Schneider Abraham Fuss, stammte aus Mosciska in Galizien, das seit 1918 zu Polen gehörte. Abraham Fuss wurde – wie 17.000 andere jüdische Kinder, Frauen und Männer aus dem Deutschen Reich – am 28. Oktober 1938 nach Polen abgeschoben. Er kehrte nach Berlin zurück und wurde nach Kriegsbeginn 1939 erneut verhaftet, in das KZ Sachsenhausen gebracht und dort am 28. Mai 1942 erschossen. Theas und Ruths Mutter konnte mit falschen Papieren nach Schweden ausreisen. Als ihre Versuche, die Töchter nachzuholen, vergeblich blieben, kamen die Schwestern in das jüdische Waisenheim Fehrbelliner Straße 92. Nach dessen Auflösung im Frühjahr 1942 gelangten sie in das Auerbach’sche Waisenhaus an der Schönhauser Allee 162. Über das jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26, das die Gestapo als Sammellager für die Deportationen missbrauchte, wurden Ruth und Thea Fuss am 19. Oktober 1942 – zusammen mit weiteren 957 jüdischen Kindern, Frauen und Männern – im 21. „Osttransport” nach Riga abtransportiert und dort drei Tage nach ihrer Ankunft in Wäldern erschossen. Ruth war elf, Thea zwölf Jahre alt.
Cora Berliner
Berlin, um 1920
© Leo Baeck Institute, New York, Cora Berliner Collection, AR 1578
© Leo Baeck Institute, New York, Cora Berliner Collection, AR 1578
Cora Berliner, geboren am 23. Januar 1890 in Hannover, wuchs in einem deutsch-bürgerlichen Milieu auf. Sie bewährte sich früh in männlich dominierten Berufsfeldern, wurde hohe Ministerialbeamtin und Hochschullehrerin. Die Nationalsozialisten versetzten sie 1933 in den Ruhestand. Fortan arbeitete sie für die Reichsvertretung der deutschen Juden (1939 in Reichsvereinigung umbenannt). Sie verhalf unter anderem Frauen und Mädchen zur Emigration, sah von der eigenen Auswanderung jedoch ab. Fortgesetzt verschleppten die nationalsozialistischen Behörden Juden Richtung Osten – auch Angestellte jüdischer Einrichtungen. Mittels dieser „Abtransporte” verfolgte die Gestapo die gewaltsame Senkung der Mitarbeiterzahl. Am Morgen des 19. Juni 1942 geriet Cora Berliner in eine Polizeifalle. Mit anderen Kollegen, die nicht bis Punkt 8.00 Uhr im Büro erschienen waren, wurde sie zur „überflüssigen” Mitarbeiterin erklärt und erhielt den Deportationsbefehl. Cora Berliner und fast 800 weitere Deportierte aus Berlin und Ostpreußen wurden am 26. Juni 1942 bei Minsk aus dem Zug getrieben. SS und Polizei erstickten die nicht Gehfähigen in sogenannten Gaswagen und erschossen die anderen an ausgehobenen Gruben im Wald von Blagowschtschina. Der Wald war Teil der Vernichtungsstätte Malyj Trostenez. Mindestens 50.000 Menschen fielen hier dem Massenmord zum Opfer. Die Adresse des Denkmals für die ermordeten Juden Europas trägt den Namen Cora Berliners. In der Nachkriegszeit versuchten nur enge Freunde ihr Andenken zu bewahren, die deutsche Nachkriegsgesellschaft zeigte kein Interesse. Die meisten Täter von Malyj Trostenez blieben straffrei.
Mendel Max Karp
Als österreich-ungarischer Soldat, 1914–1918
© Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr.: 2006/78/18
© Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr.: 2006/78/18
Mendel Max Karp kam am 17. Juli 1892 im damals österreichischen, seit 1918 polnischen Dorf Ruszelczyce zur Welt. Nach dem Ersten Weltkrieg zog er in die deutsche Hauptstadt, war als Vertreter tätig und wohnte nahe dem Alexanderplatz. Am 28. Oktober 1938 wurde Karp zusammen mit etwa 6.000 Juden aus Berlin nach Polen abgeschoben und in Bentschen interniert. Erst am 29. Juni 1939 erhielt Karp die Erlaubnis, nach Berlin zurückzukehren – mit der Auflage, Deutschland bis zum 24. August endgültig zu verlassen. Am 23. August hatte er alle notwendigen Papiere zusammen. Doch am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg, Karp saß in Berlin fest und wurde am 13. September in einer „Aktion” gegen 1.000 „polnische und staatenlose Juden” in das KZ Sachsenhausen deportiert und unter der Häftlingsnummer 009060 registriert. Er starb dort am 27. Januar 1940.
Leonore Tannenwald
Passfoto
© Yad Vashem, Hall of Names, Page of Testimony
© Yad Vashem, Hall of Names, Page of Testimony
Leonore Tannenwald, geborene Jessel, wurde am 17. Oktober 1870 in der pommerschen Haupt- und Hafenstadt Stettin geboren. Dort lernte sie ihren Mann Jacob kennen, der aus dem hessischen Rotenburg an der Fulda stammte. Das Paar hatte zwei Kinder: Alice und Gerda, die am 30. September 1893 und 12. Juni 1900 in Stettin das Licht der Welt erblickten. Mutmaßlich um 1933 zogen die Eheleute in die Reichshauptstadt Berlin. Am 5. November 1935 verstarb Jacob Tannenwald und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Ihren Kindern und Enkeln gelang die Auswanderung in die USA und nach Palästina. Leonore Tannenwald wohnte verwitwet in Berlin-Schöneberg, Innsbrucker Straße 39. Einen Tag nach ihrem 71. Geburtstag wurde sie abgeholt und am 18. Oktober 1941 mit dem ersten „Judentransport” aus Berlin vom Bahnhof Grunewald in das Ghetto Litzmannstadt, dem früheren Lodz, verschleppt. Ein halbes Jahr durchlitt Leonore Tannenwald die dortigen katastrophalen Bedingungen – zusammen mit anderen Deportierten in einem eigenen Wohnbezirk getrennt von den polnischen Juden. Am 8. Mai 1942 wurde sie von der SS in einem Gaswagen in Kulmhof (Chełmno) erstickt und in einem Massengrab verscharrt.
Margot Friedländer
Berlin, 1937: Mit ihrem Bruder Ralph (1925–1943) und der Cousine Anna Goldberger (1919–1943, ermordet in Auschwitz)
© Margot Friedländer
© Margot Friedländer
Margot Friedländer, geborene Bendheim, kam am 5. November 1921 in Berlin zur Welt. Beide Eltern waren Juden. Ihr Vater Arthur, der nach der Scheidung 1937 getrennt von der Familie lebte, floh nach der „Kristallnacht” im November 1938 am 17. Juni 1939 nach Frankreich. Von dort wurde er am 10. August 1942 über das Durchgangslager Drancy nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Margot wohnte mit ihrem vier Jahre jüngeren Bruder Ralph bei der Mutter Auguste Bendheim in Berlin-Kreuzberg. Sie versuchten mehrmals auszuwandern. Im Januar 1943 planten sie erneut ihre Flucht aus Deutschland, Ralph wurde aber von der Gestapo verhaftet. Die Mutter stellte sich der Polizei, um ihren Sohn nach Auschwitz zu begleiten. Der Transport verließ Berlin am 29. Januar 1943. Margot lebte fortan in verschiedenen Verstecken. Sie färbte sich die schwarzen Haare tizianrot, ersetzte den Judenstern durch eine Kette mit Kreuz und ließ ihre Nase operieren. Im Frühjahr 1944 geriet sie in eine Kontrolle von „Greifern” − Juden, die im Auftrag der SS andere Juden aufspürten und auslieferten sollten. Sie wurde in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort traf sie Adolf Friedländer wieder, den sie vom Jüdischen Kulturbund in Berlin kannte und der ebenfalls seine gesamte Familie verloren hatte. Nach Kriegsende heirateten sie, reisten 1946 per Schiff nach New York und nahmen die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Margot arbeitete dort unter anderem als Änderungsschneiderin und Reiseagentin. 1997 starb Adolf Friedländer. 2003 besuchte Margot erstmals wieder ihre Heimatstadt und entschied sich nach weiteren Aufenthalten, 2010 nach Berlin zurückzukehren. Sie erhielt die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Seitdem ist Margot Friedländer unermüdlich als Zeitzeugin vor allem in Schulen aktiv.
Texte: Stiftung Denkmal für die ermorderten Juden Europas
Vor der NS-Tötungsanstalt Hartheim in Österreich steht einer der berüchtigten „grauen Busse“ mit denen Kranke und Menschen mit Behinderung in die Vernichtungsstätten gebracht wurden, ca. 1940.
© Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), LG Linz, Sondergerichte, Vg 8 Vr 2407/46
© Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), LG Linz, Sondergerichte, Vg 8 Vr 2407/46
Vor der NS-Tötungsanstalt Hartheim in Österreich steht einer der berüchtigten „grauen Busse“ mit denen Kranke und Menschen mit Behinderung in die Vernichtungsstätten gebracht wurden, ca. 1940.
© Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), LG Linz, Sondergerichte, Vg 8 Vr 2407/46
© Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), LG Linz, Sondergerichte, Vg 8 Vr 2407/46
„T4“ und „Euthanasie“
Nach dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 und der Eroberung des Nachbarlandes erließ Adolf Hitler im Oktober eine Anordnung zur Ausrottung „lebensunwerten Lebens” im Deutschen Reich. Sie wurde auf den Tag des Kriegsbeginns zurückdatiert. Im Schatten des Krieges nach außen erfolgte der Krieg nach innen – gegen Schwache und vermeintliche Feinde der „Volksgemeinschaft”. Die Ermordung zehntausender Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten sowie „rassisch” und sozial unerwünschter Menschen war das erste systematische Massenverbrechen des nationalsozialistischen Regimes. Sie gilt als Vorstufe zur Vernichtung der europäischen Juden.
Auftrag zum Massenmord: Adolf Hitler datierte den Mordbefehl an den Chef der „Kanzlei des Führers“, Philipp Bouhler, und den Arzt Karl Brandt auf den 1. September 1939, den Beginn des Zweiten Weltkriegs.
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
Das „Euthanasie”-Mordprogramm wurde von einer Dienststelle der „Kanzlei des Führers” mit mehr als 60 Mitarbeitern entwickelt. Seine Planungs- und Verwaltungszentrale befand sich zunächst im Columbus-Haus unmittelbar am Potsdamer Platz, ab April 1940 dann in der Tiergartenstraße 4, wovon sich der Tarnname „Aktion T 4″ ableitete. Hier organisierten Ärzte und Verwaltungspersonal die Erfassung und Selektion von Patienten sowie deren Abtransport in sechs eigens dafür eingerichtete Gasmordanstalten im Deutschen Reich. Bis August 1941 töteten Ärzte über 70.000 Menschen, bis 1945 wurden weitere 90.000 durch Nahrungsentzug, Vernachlässigung und Medikamente umgebracht. Die Gesamtzahl der Opfer im deutsch besetzten Europa liegt bei etwa 300.000. Auf dem Baugrund der Villa Tiergartenstraße 4 und der Nachbarhäuser steht die 1963 eingeweihte Philharmonie, erbaut von Hans Scharoun (1893–1972).
Besucher*innen in der Ausstellung „Erbgesund-Erbkrank“ in der Invalidenstraße 138 in Berlin 1934. Schon 1934 wurde in NS-rassenpolitischen Ausstellungen propagandistisch vorbereitet, was ab 1939 im ersten Massenmord des NS-Regimes in die Praxis umgesetzt wurde – unter dem Deckmantel des Zweiten Weltkriegs.
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
Otto Hampel
Krankenakte aus Berlin-Buch.
© Bundesarchiv A_R_179_9243_2RS
© Bundesarchiv A_R_179_9243_2RS
Otto Hampel wurde 1895 im schlesischen Breslau geboren, besuchte die Volksschule und machte eine Ausbildung zum Schriftsetzer. 1915 zog man ihn zum Kriegsdienst ein. Für seine Fronteinsätze erhielt er mehrere Auszeichnungen. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete Otto Hampel als Vertreter in Berlin. Hier wurde er wegen Einbruchs, Hehlerei und anderer Delikte mehrmals zu geringen Haftstrafen verurteilt. In den 1930er-Jahren musste er sich wegen einer Nervenerkrankung in der Heilanstalt Berlin-Wittenau behandeln lassen und – trotz Besserung – schließlich seinen Beruf aufgeben. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 trat er in die NSDAP ein und war für kurze Zeit als politischer Leiter aktiv.
1937 verurteilte ihn das Amtsgericht Berlin „wegen fortgesetzter homosexueller Handlungen” zu einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe und ordnete zugleich seine Einweisung in eine Heilanstalt an. Nach Verbüßung seiner Haft im Strafgefängnis Plötzensee wurde Otto Hampel in Berlin-Buch aufgenommen. Seine Entlassungsgesuche blieben „trotz einwandfreier Führung” erfolglos. Am 30. März 1940 verlegten Ärzte Hampel mit einem Sammeltransport in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel und ermordeten ihn mit Kohlenmonoxid.
Krankenakte aus Berlin-Buch
Alma P.
Foto aus der Krankenakte in Berlin-Buch.
© Landearchiv Berlin A_Rep_003-04-01 Nr. 14524 Foto
© Landearchiv Berlin A_Rep_003-04-01 Nr. 14524 Foto
Alma P. wuchs als Tochter eines jüdischen Viehhändlers in Göritz an der Oder auf. Sie besuchte zunächst die Volksschule, später ein Lyzeum. Während des Ersten Weltkrieges wurde sie magenkrank, lernte aber trotz starker Beschwerden Säuglingspflege und arbeitete zeitweise als Erzieherin. Nach einer akuten Magenblutung äußerte Alma P. 1931 erstmals Wahnideen. Sie hatte das Gefühl, „vergiftet, hypnotisiert und beeinflusst” zu werden. Eine Insulinbehandlung in der ostbrandenburgischen Landesanstalt Landsberg an der Warthe musste wegen ihres schwächlichen Zustandes abgebrochen werden. 1932 entließ man sie versuchsweise in ihr Elternhaus.
Zwei Jahre später machten psychische Veränderungen ihre Wiederaufnahme notwendig. Sie wurde staatlich verfügt gegen ihren Willen sterilisiert und blieb mit mehreren Unterbrechungen bis zum Sommer 1940 in Anstaltsbehandlung. Während der „Aktion T4″ verlegten Ärzte Alma P. im Rahmen einer „Sonderaktion” gegen jüdische Patienten im Juli 1940 von Landsberg in die in der Heilanstalt Berlin-Buch eingerichtete Sammelstelle. Kurz darauf wurde sie in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel ermordet.
Krankenakte in Berlin-Buch
© Landearchiv Berlin A_Rep_003-04-01 Nr. 14524 Foto
Erinnern und Gedenken
Nur wenige Täter und Mittäter der nationalsozialistischen „Euthanasie”-Morde wurden zur Rechenschaft gezogen. Viele der an den Verbrechen beteiligten Ärzte waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiterhin in ihrem Beruf tätig. Den Opfern verweigerten beide deutschen Staaten ihre Anerkennung. Erst ab den 1980er-Jahren entstanden in den früheren Tötungsanstalten und an anderen Tatorten Gedenkstätten und Erinnerungszeichen.
Gedenkort: Gedenk- und Informationsort Tiergartenstraße 4 für die Opfer der nationalsozialistischen “Euthanasie”-Morde, Berlin. Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Am Ort der Planungszentrale in der Tiergartenstraße 4 gibt es seit 1989 eine Gedenkplatte. 2007 gründete sich ein Runder Tisch „Überlegungen zur Umgestaltung des ›T4‹-Gedenkorts”. Auf seine Initiative wurde 2008 das temporäre Denkmal der grauen Busse von Horst Hoheisel und Andreas Knitz vor der Philharmonie aufgestellt. Im November 2011 beschloss der Deutsche Bundestag, einen Gedenkort für die Opfer der NS-„Euthanasie”-Morde am historischen Ort der Planungszentrale zu errichten. Der Siegerentwurf stammt von der Architektin Ursula Wilms sowie dem Künstler Nikolaus Koliusis und dem Landschaftsarchitekten Heinz W. Hallmann. Der Erinnerungsort wurde am 2. September 2014 der Öffentlichkeit übergeben. Er wird von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut.
Texte: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Antifaschistische Propagandatafel auf dem Wrack eines Wehrmachtspanzers, 1945/1946: “Kanonen statt Butter das war die Losung der Faschisten”. Foto: Abraham Pisarek © Bildarchiv Pisarek / akg-images
Antifaschistische Propagandatafel auf dem Wrack eines Wehrmachtspanzers, 1945/1946: “Kanonen statt Butter das war die Losung der Faschisten”. Foto: Abraham Pisarek © Bildarchiv Pisarek / akg-images
Von der Befreiung zum Kriegsende
Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Im Pazifikraum dauerte er noch bis zum 2. September. Dazwischen lagen noch einmal hunderttausende gefallene Soldaten, getötete Zivilist*innen und zwei Atombombenabwürfe.
Das nationalsozialistische Deutschland und seine europäischen Verbündeten hatten auf dem Höhepunkt ihrer Macht fast ganz Europa und viele Teile Nordafrikas besetzt. Ihr asiatischer Verbündeter war Japan, das schon vor dem Zweiten Weltkrieg eine rigorose Expansionspolitik verfolgt hatte. Im Krieg mussten viele Länder Ostasiens – insbesondere China und Korea – unter der japanischen Besatzungsherrschaft leiden. Hier wie auch in Europa hatten verschiedene Staaten allerdings ganz verschiedene Grade an Gewalt der Besatzer wie auch eine ganz unterschiedliche Dauer der Besatzung erlitten.
Doppelte Bedrohung: Deutschland und Japan greifen nach der Herrschaft, Poster aus dem Jahr 1944. © picture alliance/Photo12
Dies zeigt nicht nur die weltweite Dimension des Zweiten Weltkriegs. Es wird auch klar, warum das Ende des Krieges als globaler geschichtlicher Bezugspunkt des 20. Jahrhunderts gesehen werden muss. Die Befreiung einzelner Staaten – also das Ende von Kriegshandlungen und Besatzung – kam zu verschiedenen Zeiten, die teilweise weit vor der eigentlichen Kapitulation Deutschlands lagen.
Es ist jedoch erst diese Kapitulation am 8. Mai 1945, die einen globalen Neuanfang ermöglichte. Dies ist keinesfalls mit dem Mythos der „Stunde Null“ zu verwechseln: Eine solche hat es nie gegeben. Viel zu stark waren die Kontinuitäten – personell und gesellschaftlich – als dass tatsächlich bei „Null“ angefangen worden wäre. Aber die Neuordnung Europas und der Welt, die in den Kalten Krieg, die Blockkonfrontation zwischen dem Westen und dem Osten, aber auch in die De-Kolonisierung großer Teile Afrikas und des Nahen Ostens führte, nahm im Ende des Zweiten Weltkriegs ihren Ausgang.
Autor*in: Bjoern Weigel
Die Kapitulationen – Von Berlin nach Berlin
Am frühen Morgen des 2. Mai 1945, nach zwölf Tagen Straßenkampf, gab Wehrmachtgeneral Helmuth Weidling seinen Soldaten den längst überfälligen Befehl zur Einstellung des Kampfes in Berlin. Zwei Tage zuvor hatte die Wehrmacht in vollkommen aussichtsloser Situation noch versucht zu verhandeln. Am Ende zwang sie die militärische Übermacht der Roten Armee zur Kapitulation. Dieses Muster wiederholte sich vielfach bis zum Ende des Weltkrieges in Europa am 8. Mai in Berlin-Karlshorst.
Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel während der Unterzeichnung der Kapitulation, Berlin-Karlshorst, 8./9. Mai 1945.
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Adolf Hitler entzog sich am 30. April durch Selbstmord jeglicher Verantwortung. Sein Nachfolger Großadmiral Karl Dönitz ließ, ganz im Sinne Hitlers, an allen Fronten unvermindert weiterkämpfen. Erst als britische Truppen seinen Regierungssitz bei Flensburg einzunehmen drohten, begann er zu verhandeln. Mit dem britischen General Bernard Montgomery kam er in Lüneburg überein, ab dem 5. Mai die Kämpfe in Nordwestdeutschland einzustellen.
Diese Teilkapitulation war ein diplomatisches Problem. Die Anti-Hitler-Koalition hatte sich 1943 auf das gemeinsame Kriegsziel der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches geeinigt. Solange es militärisch noch sinnvoll war, weigerte sich die Wehrmachtsführung allerdings. Und als es zu spät war, versuchte sie nur vor den westalliierten Truppen zu kapitulieren, nicht aber vor der Roten Armee. Tagelang verhandelte sie in Reims im Hauptquartier der westalliierten Truppen. Am frühen Morgen des 7. Mai erzwang deren Oberkommandierender, General Dwight Eisenhower, die deutsche Einwilligung in eine Gesamtkapitulation. Er forderte zudem, dass diese Kapitulation im sowjetischen Hauptquartier zu wiederholen sei. So kam es zu einem zweiten Akt in Berlin-Karlshorst, wo sich der sowjetische Oberkommandierende Georgi Schukow eingerichtet hatte.
Zahlreiche Historiker*innen halten das für einen Gefallen Josef Stalin zuliebe. Aber es war deutlich mehr. In Karlshorst wurde in diplomatischer Feinabstimmung das Schlussdokument des Zweiten Weltkriegs in Europa aufgesetzt und unterzeichnet. Es regelte bewusst nur die militärischen Belange der Waffenruhe. Aber da die folgende Konferenz der alliierten Siegermächte in Potsdam im Sommer 1945 nicht zum Abschluss eines Friedensvertrags führte, blieb es bis 1990 das einzige verbindliche Dokument über das Kriegsende.
Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Gewalt vor und nach der Kapitulation
Der nationalsozialistischen Propaganda war es gelungen, die letzten Kriegsmonate als Kampf um Alles oder Nichts darzustellen. „Sieg oder Bolschewismus“ war eine der Parolen, die viele Menschen verinnerlicht hatten. Ein letztes Aufgebot von alten Männern im „Volkssturm“, minderjährigen Hitlerjungen als „Werwölfe“ (Partisanen) und Schülern als Flakhelfer wurde an die Front geschickt. Alles schien besser zu sein, als sich der Roten Armee zu ergeben. Wer sich aber diesem sinnlosen Weiterkämpfen entziehen wollte, galt als Verräter und Deserteur. Soldaten, die die offenkundige Sinnlosigkeit des Weiterkämpfens aussprachen, wurde „Wehrkraftzersetzung“ vorgeworfen. Darauf stand die Todesstrafe, die bis zum Schluss auch vollstreckt wurde. Auch der Repressionsapparat von SS und Gestapo lief weiter.
Kriegsendverbrechen: Gedenktafel für einen Soldaten, der kurz vor Kriegsende „von vertierten Nazi-Bestien“ erhängt wurde, gegenüber vom Rathaus Steglitz, 15. Juni 1945.
© ullstein bild – ullstein bild
© ullstein bild – ullstein bild
KZ-Häftlinge wurden in „Todesmärschen“ nach Westen getrieben, was Tausende nicht überlebten. Politische Gefangene erschoss man kurz vor Eintreffen der Roten Armee in ihren Zellen; so am 22./23. April im Zellengefängnis Lehrter Straße und am 28. April im Gestapogefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße (heute Niederkirchnerstraße).
Aber auch die frühe Nachkriegszeit war nicht ohne Gewalt. Die Sieger nahmen sich, was sie wollten: Alkohol, Wertsachen oder Fahrräder. Zehntausende Frauen wurden in und um Berlin von sowjetischen Soldaten vergewaltigt. Widerstand wurde mit Waffengewalt gebrochen. Nur manchmal verhinderten Offiziere die Übergriffe. Anfang Mai begannen Verhaftungen durch die sowjetische Geheimpolizei, die „Faschisten“ aufspürte. In jedem Bezirk gab es ein improvisiertes Kellergefängnis, das als „GPU-Keller“ gefürchtet war. In Hohenschönhausen und in Oranienburg nördlich von Berlin entstanden sogenannte Speziallager. Die Verhaftungen schienen willkürlich, auch wenn sie mit dem gemeinsamen alliierten Ziel der Entnazifizierung begründet wurden. Der sowjetischen Siegermacht ging es ganz offensichtlich um eine politische Säuberung und die Installierung eines neuen Systems.
Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Stacheldrahtzaun des sowjetischen Internierungslagers Sachsenhausen in Oranienburg, 1949. © ullstein bild – Perlia
Vor der NS-Tötungsanstalt Hartheim in Österreich steht einer der berüchtigten „grauen Busse“ mit denen Kranke und Menschen mit Behinderung in die Vernichtungsstätten gebracht wurden, ca. 1940.
© Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), LG Linz, Sondergerichte, Vg 8 Vr 2407/46
© Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), LG Linz, Sondergerichte, Vg 8 Vr 2407/46
Vor der NS-Tötungsanstalt Hartheim in Österreich steht einer der berüchtigten „grauen Busse“ mit denen Kranke und Menschen mit Behinderung in die Vernichtungsstätten gebracht wurden, ca. 1940.
© Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), LG Linz, Sondergerichte, Vg 8 Vr 2407/46
© Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), LG Linz, Sondergerichte, Vg 8 Vr 2407/46
„T4″ und Euthanasie
Nach dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 und der Eroberung des Nachbarlandes erließ Adolf Hitler im Oktober eine Anordnung zur Ausrottung „lebensunwerten Lebens” im Deutschen Reich. Sie wurde auf den Tag des Kriegsbeginns zurückdatiert. Im Schatten des Krieges nach außen erfolgte der Krieg nach innen – gegen Schwache und vermeintliche Feinde der „Volksgemeinschaft”. Die Ermordung zehntausender Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten sowie „rassisch” und sozial unerwünschter Menschen war das erste systematische Massenverbrechen des nationalsozialistischen Regimes. Sie gilt als Vorstufe zur Vernichtung der europäischen Juden.
Das „Euthanasie”-Mordprogramm wurde von einer Dienststelle der „Kanzlei des Führers” mit mehr als 60 Mitarbeitern entwickelt. Seine Planungs- und Verwaltungszentrale befand sich zunächst im Columbus-Haus unmittelbar am Potsdamer Platz, ab April 1940 dann in der Tiergartenstraße 4, wovon sich der Tarnname „Aktion T 4″ ableitete. Hier organisierten Ärzte und Verwaltungspersonal die Erfassung und Selektion von Patienten sowie deren Abtransport in sechs eigens dafür eingerichtete Gasmordanstalten im Deutschen Reich. Bis August 1941 töteten Ärzte über 70.000 Menschen, bis 1945 wurden weitere 90.000 durch Nahrungsentzug, Vernachlässigung und Medikamente umgebracht. Die Gesamtzahl der Opfer im deutsch besetzten Europa liegt bei etwa 300.000. Auf dem Baugrund der Villa Tiergartenstraße 4 und der Nachbarhäuser steht die 1963 eingeweihte Philharmonie, erbaut von Hans Scharoun (1893–1972).
Otto Hampel
Otto Hampel wurde 1895 im schlesischen Breslau geboren, besuchte die Volksschule und machte eine Ausbildung zum Schriftsetzer. 1915 zog man ihn zum Kriegsdienst ein. Für seine Fronteinsätze erhielt er mehrere Auszeichnungen. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete Otto Hampel als Vertreter in Berlin. Hier wurde er wegen Einbruchs, Hehlerei und anderer Delikte mehrmals zu geringen Haftstrafen verurteilt. In den 1930er-Jahren musste er sich wegen einer Nervenerkrankung in der Heilanstalt Berlin-Wittenau behandeln lassen und – trotz Besserung – schließlich seinen Beruf aufgeben. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 trat er in die NSDAP ein und war für kurze Zeit als politischer Leiter aktiv.
1937 verurteilte ihn das Amtsgericht Berlin „wegen fortgesetzter homosexueller Handlungen” zu einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe und ordnete zugleich seine Einweisung in eine Heilanstalt an. Nach Verbüßung seiner Haft im Strafgefängnis Plötzensee wurde Otto Hampel in Berlin-Buch aufgenommen. Seine Entlassungsgesuche blieben „trotz einwandfreier Führung” erfolglos. Am 30. März 1940 verlegten Ärzte Hampel mit einem Sammeltransport in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel und ermordeten ihn mit Kohlenmonoxid.
Krankenakte aus Berlin-Buch
Besucher*innen in der Ausstellung „Erbgesund-Erbkrank“ in der Invalidenstraße 138 in Berlin 1934. Schon 1934 wurde in NS-rassenpolitischen Ausstellungen propagandistisch vorbereitet, was ab 1939 im ersten Massenmord des NS-Regimes in die Praxis umgesetzt wurde – unter dem Deckmantel des Zweiten Weltkriegs.
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
Alma P.
Alma P. wuchs als Tochter eines jüdischen Viehhändlers in Göritz an der Oder auf. Sie besuchte zunächst die Volksschule, später ein Lyzeum. Während des Ersten Weltkrieges wurde sie magenkrank, lernte aber trotz starker Beschwerden Säuglingspflege und arbeitete zeitweise als Erzieherin. Nach einer akuten Magenblutung äußerte Alma P. 1931 erstmals Wahnideen. Sie hatte das Gefühl, „vergiftet, hypnotisiert und beeinflusst” zu werden. Eine Insulinbehandlung in der ostbrandenburgischen Landesanstalt Landsberg an der Warthe musste wegen ihres schwächlichen Zustandes abgebrochen werden. 1932 entließ man sie versuchsweise in ihr Elternhaus.
Zwei Jahre später machten psychische Veränderungen ihre Wiederaufnahme notwendig. Sie wurde staatlich verfügt gegen ihren Willen sterilisiert und blieb mit mehreren Unterbrechungen bis zum Sommer 1940 in Anstaltsbehandlung. Während der „Aktion T4″ verlegten Ärzte Alma P. im Rahmen einer „Sonderaktion” gegen jüdische Patienten im Juli 1940 von Landsberg in die in der Heilanstalt Berlin-Buch eingerichtete Sammelstelle. Kurz darauf wurde sie in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel ermordet.
Krankenakte in Berlin-Buch
© Landearchiv Berlin A_Rep_003-04-01 Nr. 14524 Foto
Texte: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Eine jüdische Familie trägt inmitten anderer Passanten auf einer Straße den Judenstern als Kennzeichen ihrer jüdischen Abstammung. In Deutschland war das Tragen des Judensterns durch eine Polizeiverordnung, die am 19.09.1941 in Kraft trat, für alle Juden über sechs Jahren verpflichtend geworden. Die öffentliche Stigmatisierung durch den handtellergroßen, gelben Stern signalisierte den Beginn der planmäßigen Deportation in die Vernichtungslager.
© ullstein bild
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Eine jüdische Familie trägt inmitten anderer Passanten auf einer Straße den Judenstern als Kennzeichen ihrer jüdischen Abstammung. In Deutschland war das Tragen des Judensterns durch eine Polizeiverordnung, die am 19.09.1941 in Kraft trat, für alle Juden über sechs Jahren verpflichtend geworden. Die öffentliche Stigmatisierung durch den handtellergroßen, gelben Stern signalisierte den Beginn der planmäßigen Deportation in die Vernichtungslager.
© ullstein bild
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Vom Vorurteil zum Völkermord – Judenverfolgung in Berlin
Antisemitismus begann nicht erst 1933. Aber die Nationalsozialisten verstanden es, weit verbreitete antisemitische Stereotype für ihre Zwecke zu nutzen. Mit dem Machtantritt Hitlers wurde Antisemitismus 1933 zur Staatsdoktrin.
Möbelwagen von 1930. Die Firma A. Schäfer Spedition & Möbeltransport, der dieser Wagen gehörte, galt den Nationalsozialisten als „jüdisches Unternehmen“ und wurde 1939 zwangsweise an einen Nicht-Juden verkauft. Ob dieser sich an der Deportation von Juden beteiligte, ist nicht nachgewiesen. Doch profitierten viele Berliner Speditionsunternehmen ganz erheblich von den Deportationen. © ullstein bild – ullstein bild
Diskriminierende Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung wurden von Anfang an ergriffen. In Berlin, wo die mit Abstand größte jüdische Gemeinde Deutschlands lebte – etwa 160.000 Menschen – inszenierten die Nationalsozialisten am 1. April 1933 einen sogenannten Boykott: SA-Männer standen vor Geschäften jüdischer Inhaber*innen, vor Anwaltskanzleien und Arztpraxen. Sie wollten Kundschaft und Klient*innen vom Betreten der Geschäftsräume abhalten. Was als disziplinierte Maßnahme propagandistisch aufbereitet wurde, war in Wirklichkeit vielfach von Gewalt geprägt.
Fortan versuchten die Nationalsozialisten, die zunehmende Entrechtung der jüdischen Bevölkerung und Gewalt gegen die Minderheit vor der in Berlin stark vertetenen ausländischen Presse zu verheimlichen – die deutsche Presse trug ohnehin längst einen Maulkorb. Der legalistische Anstrich, den die Entrechtung mit den Nürnberger Gesetzen 1935 bekam, wurde von pogromartigen Ausschreitungen im selben Jahr begleitet. Sie wurden ebenso wenig thematisiert wie der systematische Rauswurf jüdischer Mieter*innen aus ihren Wohnungen ab 1937 oder der Pogrom vom Juni 1938. Die öffentlich ausgelebten Gewaltakte der Novemberpogrome 1938 ließen sich jedoch nicht verbergen. Einer schockierten Weltöffentlichkeit stand das deutsche Propagandamärchen vom „sponaten Volkszorn“ gegenüber. Doch die tagelang wütenden Pogrome waren von höchsten Stellen orchestriert worden: Die euphemistisch „Reichskristallnacht“ genannten Pogrome waren eine völlig neue Eskalationsstufe in der Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung und ein beispielloser Raubzug, an dem sich auch vermeintlich harmlose Nachbarn beteiligten.
In Berlin folgte eine Reihe von Verboten, die mal von der Polizei, mal von der Stadtverwaltung und mal von einzelnen Beamten ausging. Im Ergebnis aller Maßnahmen seit 1933 waren auch die Berliner Juden zunehmend jeder Zukunftsperspektive und vor allem ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt. Ab 1941 begann ihre Deportation: Rund 55.000 Menschen wurden an die Vernichtungsstätten, vor allem nach Auschwitz, gebracht und dort ermordet.
Autor*in: Bjoern Weigel
Die Kapitulationen – Von Berlin nach Berlin
Am frühen Morgen des 2. Mai 1945, nach zwölf Tagen Straßenkampf, gab Wehrmachtgeneral Helmuth Weidling seinen Soldaten den längst überfälligen Befehl zur Einstellung des Kampfes in Berlin. Zwei Tage zuvor hatte die Wehrmacht in vollkommen aussichtsloser Situation noch versucht zu verhandeln. Am Ende zwang sie die militärische Übermacht der Roten Armee zur Kapitulation. Dieses Muster wiederholte sich vielfach bis zum Ende des Weltkrieges in Europa am 8. Mai in Berlin-Karlshorst.
Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel während der Unterzeichnung der Kapitulation, Berlin-Karlshorst, 8./9. Mai 1945.
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Die Nationalsozialisten – allen voran der Berliner Gauleiter und neu ernannte Reichminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels – beschimpften zwar die „Lügenpresse“. Gleichzeitig versuchten sie die internationalen Zeitungen aber zu instrumentalisieren und inszenierten den so genannten Boykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien am 1. April 1933 in Berlin für die Weltöffentlichkeit. In der Leipziger Straße und am Kurfürstendamm setzten die SA-Männer ein Lächeln auf und klebten deutsch-englische Poster! Als das wenig fruchtete, verbot Goebbels das Fotografieren von Maßnahmen gegen Juden zwar nicht offiziell, doch sehr effektiv. Selbst Botschaftsangehörigen wurden die Kameras aus der Hand gerissen, wenn sie versuchten, Gewalt gegen Jüdinnen und Juden zu fotografieren. Zu groß war die Angst, dass Bilder sich allzu rasch über die Nachrichtendienste und Bildagenturen der Welt verbreiten würden. Von den Ausschreitungen des Sommers 1935 gibt es fast keine bildliche Überlieferung.
Die zwei Dutzend Fotos vom Pogrom im November 1938 blenden jegliche Gewalt aus, zeigen nur zerstörte Schaufenster, aber nicht die SA-Männer mit Eisenstangen und nicht die Erschlagenen und zu Tode gehetzten Jüdinnen und Juden. Zwar sind Fotos der Deportationen aus einigen kleineren Städten bekannt. Doch gibt es kein einziges vergleichbares Foto aus Berlin, obwohl in 184 Transporten über 50.000 Menschen vor aller Augen verschleppt wurden!
Autor*in: Christoph Kreutzmüller / Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Das Holocaust-Mahnmal
Seit Mai 2005 prägt das Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden Europas – neben dem Reichstagsgebäude und dem Brandenburger Tor – das Zentrum der deutschen Hauptstadt. Sein etwa 19.000 Quadratmeter großes Gelände gehörte bis 1945 zu den Ministergärten. Die Gärten wurden mit dem Bau der Mauer durch die DDR im Jahre 1961 Teil des „Todesstreifens”.
Das Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.
Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Den Anstoß für dieses Denkmal gab 1988 eine Gruppe von engagierten Bürgern um den Historiker Eberhard Jäckel und die Publizistin Lea Rosh im damaligen West-Berlin. Noch während heftiger Diskussionen um das Ob, das Wie und die Widmung eines solchen nationalen Denkmals fanden in den 1990er-Jahren zwei Architekturwettbewerbe statt. Am 25. Juni 1999 beschloss der Deutsche Bundestag in einer seiner letzten Sitzungen in der alten Bundeshauptstadt Bonn – nach lebhafter Debatte, mehrheitlich und fraktionsübergreifend – die Errichtung des sogenannten Holocaust-Mahnmals nach dem Entwurf des New Yorker Architekten Peter Eisenman, ergänzt durch einen Ort der Information, und die Gründung einer zuständigen Bundesstiftung. Mit dem Denkmal will die Bundesrepublik Deutschland „die ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an ein unvorstellbares Geschehen der deutschen Geschichte wach halten und alle künftigen Generationen mahnen, die Menschenrechte nie wieder anzutasten, stets den demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen, die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz zu wahren und jeder Diktatur und Gewaltherrschaft zu widerstehen.”
Am 10. Mai 2005 konnte Deutschlands zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust der Öffentlichkeit übergeben werden. Seitdem ist das Stelenfeld eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten und der Ort der Information eine der meistbesuchten Ausstellungen Berlins. Sie werden von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut.
Text: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Foyer im Ort der Information. Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Liquidiert – zwei Monate nach der Befreiung von Auschwitz
Nur wenige Wochen vor dem Kriegsende verschwand das letzte jüdische Gewerbeunternehmen aus dem Berliner Handelsregister: die Firma Max Kann. So dokumentiert es die Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930–1945.
Ihr Gründer Max Kann hatte im Jahr 1903 eine Leder- und Schuhwarenhandlung im Zentrum des alten Berliner Geschäftsviertels gegenüber der Börse eröffnet. Nach seinem Tod 1923 erbte Sohn Martin das Unternehmen und führte es 19 Jahre lang allein weiter.
Die Schuhwarenhandlung “Max Kann” in der Neuen Friedrichsstraße 48, Berlin. © Privatbesitz
Martin Kann starb am 16. Oktober 1942 im Alter von 54 Jahren an Herzversagen. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat die Verwandte Ruth Lynn seinen Tod auf die Verfolgung zurückgeführt. Knapp einen Monat später wurden Martha Kann und die 16-jährige Tochter Marion nach Auschwitz deportiert und ermordet. Die ältere Tochter Ellen konnte in die USA emigrieren.
Ungeachtet der mörderischen Gewalt gegenüber der jüdischen Familie war die Firma Max Kann für die Behörden noch nicht abgeschlossen. Im Oktober 1943, als das Firmenvermögen vom Staat geraubt worden war, beantragte die Industrie- und Handelskammer wegen „Einstellung des Betriebes“ die Löschung. Die Beamten im zuständigen Amtsgericht leiteten daraufhin ein standardisiertes Löschungsverfahren ein. Mit Unterstützung von Einwohnermeldeamt und Polizeirevier versuchten sie ab Januar 1944 die Adresse des Eigentümers Martin Kann herauszufinden, um ihn über die Löschung seiner Firma zu informieren. Dieser war jedoch seit über einem Jahr tot und seine Wohnung war inzwischen geräumt worden. Später erkundigten sie sich mehrmals nach seinen Erben, die es nicht mehr gab.
Die Bemühungen, Kontakt zum Inhaber und zu dessen Angehörigen herzustellen, wurden schließlich eingestellt, als am 3. Mai 1944 der Hauptmann der Schutzpolizei meldete, dass der „Jude Martin Kann“ verstorben sei, während die „Ehefrau und zwei Kinder nach den (sic!) Osten überführt wurden“. Noch am 27. März 1945, als sowjetische Truppen bereits kurz vor Berlin standen, wurde die Firma Max Kann endgültig gelöscht – auf den Tag genau zwei Monate nach der Befreiung von Auschwitz.
Autor*innen: Sophie Eckenstaler/Bethan Griffiths
Exhumierung von Opfern der Gestapo auf dem Hof des Geheimen Staatspolizeihauptamt, Prinz-Albrecht-Strasse 8 in Berlin, Oktober 1945. Foto: ACME Emil Reynolds © ullstein bild – ullstein bild
Exhumierung von Opfern der Gestapo auf dem Hof des Geheimen Staatspolizeihauptamt, Prinz-Albrecht-Strasse 8 in Berlin, Oktober 1945. Foto: ACME Emil Reynolds © ullstein bild – ullstein bild
Berlin – Sitz der Zentralen des NS-Terrors
Berlin war bis kurz vor Kriegsende das politische, militärische und administrative Machtzentrum des NS-Staates. Adolf Hitler und die NS-Führungseliten unterhielten hier ihre Hauptquartiere, auch wenn es weitere jenseits der Reichshauptstadt gab.In Berlin hatten auch die zentralen Institutionen von SS und Polizei ihre Dienstsitze. Darunter waren das Geheime Staatspolizeiamt, der persönliche Stab des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, das Hauptamt des Sicherheitsdienstes der SS (SD) und das Reichskriminalpolizeiamt. Die Dienststellen der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), der Kriminalpolizei (Kripo) und des SD hatten über dreißig Standorte in Berlin und weitere im Umland.
Luftaufnahme des ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamts, 1945/46. Das Geheime Staatspolizeiamt befand sich seit 1933 in einer ehemaligen Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht-Straße (heute: Niederkirchnerstraße). Es war die Schaltzentrale für die Aktivitäten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im Reichsgebiet und in den besetzten europäischen Ländern. © picture-alliance / akg-images
Am ehemaligen Ort der Zentralen des „SS-Staates“ im Regierungsviertel liegt heute das Dokumentationszentrum Topographie des Terrors. Zwischen 1933 und 1945 wurde von dort aus ein verzweigtes Netz von Dienststellen der Gestapo, Kripo und des SD im Reichsgebiet und in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten Europas gesteuert. Diese Schaltzentralen des „SS-Staates“ organisierten zusammen mit anderen Institutionen den Völkermord an den Jüdinnen und Juden Europas und an den Sinti*zze und Roma*nja. Ebenso waren sie für die Kontrolle und Terrorisierung politischer Gegner*innen des NS-Regimes, weiterer Verfolgtengruppen und von Millionen ausländischen Zwangsarbeiter*innen verantwortlich.
Bis in die letzten Wochen des Krieges wurde dieser Terror maßgeblich von Berlin aus initiiert, koordiniert und verwaltet – ebenso wie die Ausplünderung der Opfer. Bis kurz vor Kriegsende ergingen aus der Reichszentrale der Gestapo Mordbefehle. Daneben ermächtigte sie die noch bestehenden Gestapostellen außerhalb Berlins, in eigener Verantwortung gnadenlos zu morden. Kurz vor Kriegsende flohen die meisten hohen NS-Funktionäre aus der Reichshauptstadt. Ein großer Teil der Berliner Dienstsitze von SS und Gestapo wurde während des Krieges beschädigt oder zerstört.
Autor*in: Klaus Hesse / Topographie des Terrors
Die Führungsspitzen von SS und Polizei bei einem Treffen in München, 9. November 1939. In der Bildmitte Heinrich Himmler, „Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei“, rechts neben ihm Reinhard Heydrich, „Chef der Sicherheitspolizei und des SD“ und Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, sowie Heinrich Müller, Chef des Geheimen Staatspolizeiamtes. Links von Himmler Arthur Nebe, Chef des Reichskriminalpolizeiamtes. © Bundesarchiv, Bild 183-R98680
Kriegsende 1945: Der Zerfall des „SS-Staats“
Mit dem Untergang des NS-Regimes zerfiel auch der Terrorapparat von SS und Polizei. Die Führungsstäbe von SS und Geheimer Staatspolizei (Gestapo), Kriminal- und Ordnungspolizei setzten sich bis Ende April 1945 vor den herannahenden sowjetischen Truppen aus Berlin ab. Wie das Personal der übrigen zentralen Dienststellen und der Reichsministerien zogen sie sich in von den Alliierten noch unbesetzte Gebiete im Süden oder Norden des Deutschen Reichs zurück.
Zellentrakt im ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamt, 1948. In dem Gebäude befand sich unter anderem ein Untersuchungsgefängnis der Gestapo. Zwischen 1933 und 1945 waren hier tausende Menschen inhaftiert, um verhört zu werden. Kurz vor Kriegsende ermordete die Gestapo die meisten der hier verbliebenen Häftlinge. Einige wenige Gefangene befanden sich noch in den Zellen, als sowjetische Soldaten das Gebäude besetzen. Foto: Norbert Leonard © SZ Photo
Heinrich Himmler, „Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei“ und Reichsinnenminister, floh mit einem Teil seines Gefolges nach Flensburg. Dort residierte Großadmiral Karl Dönitz, der seit dem Suizid Adolf Hitlers am 30. April 1945 dessen Nachfolger war. Er entließ Himmler aus seinen Ämtern, um mit den Westalliierten leichter Verhandlungen über Teilkapitulationen führen zu können. Himmler tauchte unter falscher Identität unter. Am 23. Mai 1945 vergiftete er sich in britischer Gefangenschaft.
Ernst Kaltenbrunner, der als „Chef der Sicherheitspolizei und des SD“ Leiter des Reichssicherheitshauptamtes war, hatte sich mit seinem Stab in den Süden des Reiches abgesetzt. Am 12. Mai 1945 wurde er in seinem Versteck bei Altaussee (Steiermark) von der US-Armee festgenommen.
Gestapo-Chef Heinrich Müller blieb als Stellvertreter Kaltenbrunners in Berlin. Er kam vermutlich am 2. Mai 1945 bei Kampfhandlungen oder durch Suizid ums Leben. In den Wochen zuvor befahl er die Liquidierung zahlreicher prominenter politischer Gegner des NS-Regimes in den Konzentrationslagern. Auf Müllers Befehl erschossen Sonderkommandos der Gestapo zwischen dem 22. und 24. April 1945 auch die meisten der in Berliner Gestapo-Gefängnissen eingesperrten Häftlinge.
Auch im übrigen Reichsgebiet nahmen Gestapo und Kriminalpolizei kurz vor Kriegsende Dutzende Einzel- und Massenerschießungen von politischen Gegner*innen, Zwangsarbeiter*innen und anderen Gefangenen vor. Die SS verübte außerdem während der Auflösung der Konzentrationslager zahlreiche Massaker an Häftlingen. In den letzten Kriegswochen fielen so noch zehntausende Menschen dem NS-Terror zum Opfer.
Autor*in: Klaus Hesse / Topographie des Terrors
Sowjetische Soldaten im ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamt, 2./3. Mai 1945.
Nach der Besetzung des Gebäudes fanden die Soldaten von der Gestapo genutzte Handfesseln und Knebelketten vor.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – Voller Ernst / Chaldej
Nach der Besetzung des Gebäudes fanden die Soldaten von der Gestapo genutzte Handfesseln und Knebelketten vor.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – Voller Ernst / Chaldej
„Topographie des Terrors“ – Zerstörung, Abriss, Wiederentdeckung
Das Areal zwischen Prinz-Albrecht-Straße (heute: Niederkirchnerstraße) und Wilhelmstraße war Sitz der Zentralen von Geheimer Staatspolizei (Gestapo), Reichsführung der SS, Sicherheitsdienst (SD) und Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Hier wurden die meisten Massenverbrechen und Terrormaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes geplant und organisiert.
Die Berliner Mauer am nördlichen Rand des Areals der früheren Zentralen von Gestapo und SS, Mai 1977.
Das Foto zeigt die Mauer von Westen her gesehen entlang der Niederkirchnerstraße (früher: Prinz-Albrecht-Straße). Im Hintergrund links die Ruine des Kunstgewerbemuseums (heute: Martin-Gropius-Bau), jenseits der Mauer im Vordergrund das ehemalige Reichsluftfahrtministerium (heute: Bundesfinanzministerium) und im Hintergrund das ehemalige Preußische Abgeordnetenhaus (heute: Abgeordnetenhaus von Berlin).
© Landesarchiv Berlin
Das Foto zeigt die Mauer von Westen her gesehen entlang der Niederkirchnerstraße (früher: Prinz-Albrecht-Straße). Im Hintergrund links die Ruine des Kunstgewerbemuseums (heute: Martin-Gropius-Bau), jenseits der Mauer im Vordergrund das ehemalige Reichsluftfahrtministerium (heute: Bundesfinanzministerium) und im Hintergrund das ehemalige Preußische Abgeordnetenhaus (heute: Abgeordnetenhaus von Berlin).
© Landesarchiv Berlin
Nach Kriegsende waren die von Gestapo und SS genutzten Gebäude teils stark beschädigt. Sie fanden kaum Beachtung und wurden bis Mitte der 1950er-Jahre abgerissen. Dies entsprach auch dem Bedürfnis der meisten Deutschen nach Verdrängung der jüngsten Vergangenheit. Die NS-Verbrechen wurden über Jahrzehnte hinweg tabuisiert, relativiert oder geleugnet. Viele Tatverantwortliche blieben von Strafverfolgung verschont. Sie tauchten ab oder integrierten sich in die Nachkriegsgesellschaften beider deutscher Staaten. Der größte Teil der Täter der oberen und mittleren Ebene lebte in Westdeutschland.
Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 rückte das ehemalige Gelände von Gestapo und SS endgültig ins Abseits: an die Grenze zwischen amerikanischem und sowjetischem Sektor. Auf dem Gelände siedelte sich unter anderem eine Bauschuttverwertungsfirma an. Seit Beginn der 1980er-Jahre wurde der „Ort der Täter“ allmählich wiederentdeckt. Schrittweise und nicht ohne Konflikte wurde er im historischen Gedächtnis Berlins und der Bundesrepublik Deutschland verankert.
Das 2010 eröffnete Dokumentationszentrum Topographie des Terrors vermittelt die besondere Geschichte dieses historischen Ortes im Zentrum Berlins. Neben der kritischen Aufarbeitung der Rolle der Täter wird auch an die Leiden ihrer Opfer erinnert. Die „Topographie des Terrors“ an der Niederkirchner- und Wilhelmstraße stellt sich dieser Aufgabe in Zusammenarbeit mit den zahlreichen anderen Erinnerungsorten in Berlin und in Brandenburg.
Autor*in: Klaus Hesse / Topographie des Terrors
Freigelegte Überreste des ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamtes, September 1986.
1986 wurden im Zuge der Aktivitäten zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin entlang der Westseite der Berliner Mauer (hinter den Bäumen) Fundament- und Kellerreste des Nordflügels des ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamtes in der Niederkirchnerstraße freigelegt. Dort befindet sich heute der sogenannte Ausstellungsgraben des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors.
© Landesarchiv Berlin
1986 wurden im Zuge der Aktivitäten zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin entlang der Westseite der Berliner Mauer (hinter den Bäumen) Fundament- und Kellerreste des Nordflügels des ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamtes in der Niederkirchnerstraße freigelegt. Dort befindet sich heute der sogenannte Ausstellungsgraben des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors.
© Landesarchiv Berlin
„Kriegskinder / Kinder der Blockade”
In ihrem Videoprojekt „Kriegskinder / Kinder der Blockade“ lassen die Medienkünstlerin Ina Rommee und der Fotograf Stefan Krauss zwölf Menschen zu Wort kommen, die 1945 allesamt noch Kinder waren. Befragt wurden sie von der Enkelgeneration, was neue Perspektiven eröffnet.
Sechs Berliner*innen sprechen über den Zweiten Weltkrieg, erzählen von Kinderspielen, Feuerstürmen, Flucht. Parallel berichten sechs weitere Zeitzeug*innen aus dem damaligen Leningrad, das von 1941 bis 1944 von der Wehrmacht belagert war. Hier wie da treffen Gewalterfahrungen auf kindliche Unschuld. Einfühlsam wurden die Interviews in dem Videoprojekt verknüpft: Aus individuellen Erfahrungen und kollektivem Erleben entsteht so eine gemeinsame Geschichte.
„Kriegskinder / Kinder der Blockade”
In ihrem Videoprojekt „Kriegskinder / Kinder der Blockade“ lassen die Medienkünstlerin Ina Rommee und der Fotograf Stefan Krauss zwölf Menschen zu Wort kommen, die 1945 allesamt noch Kinder waren. Befragt wurden sie von der Enkelgeneration, was neue Perspektiven eröffnet.
Sechs Berliner*innen sprechen über den Zweiten Weltkrieg, erzählen von Kinderspielen, Feuerstürmen, Flucht. Parallel berichten sechs weitere Zeitzeug*innen aus dem damaligen Leningrad, das von 1941 bis 1944 von der Wehrmacht belagert war. Hier wie da treffen Gewalterfahrungen auf kindliche Unschuld. Einfühlsam wurden die Interviews in dem Videoprojekt verknüpft: Aus individuellen Erfahrungen und kollektivem Erleben entsteht so eine gemeinsame Geschichte.
Biographien
Sinti & Roma
Einleitungstext
Chronologie am Denkmal
Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wurden von 1933 bis 1945 Hunderttausende Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern als „Zigeuner“ verfolgt. Die meisten von ihnen bezeichneten sich selbst nach ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen beispielsweise als Sinti, Roma, Lalleri, Lowara oder Manusch. Die größten Gruppen in Europa waren die Sinti und Roma. Ziel des nationalsozialistischen Staates und seiner Rassenideologie war die Vernichtung dieser Minderheit: Kinder, Frauen und Männer wurden verschleppt, an ihren Heimatorten oder in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. Von Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren auch Angehörige der eigenständigen Opfergruppe der Jenischen und andere Fahrende.
Sinti und Roma werden verschärft diskriminiert, zunehmend entrechtet und aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Es erfolgen erste Einweisungen in Konzentrationslager und ab 1934 Zwangssterilisationen.
In vielen Städten des Deutschen Reiches werden Zwangslager eingerichtet. In Berlin werden Hunderte Menschen zwei Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in ein solches Lager im Stadtteil Marzahn eingewiesen. Die Lager dienen der Konzentration, Festsetzung und Erfassung, der Isolierung sowie der Rekrutierung zur Zwangsarbeit.
Nach den „Nürnberger Rassengesetzen“ (1935) verfügt Reichsinnenminister Wilhelm Frick im Januar 1936: „Zu den artfremden Rassen gehören alle anderen Rassen, das sind in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner.“ Auf dieser Basis wird ein rassistisches Sonderrecht etabliert, das für die Betroffenen unter anderem Eheverbote sowie Ausschluss aus Berufen oder der Wehrmacht bedeutete.
Über 2.000 Sinti und Roma aus Deutschland und Österreich, darunter Kinder ab zwölf Jahren, werden bis 1939 nach Dachau, Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück, Mauthausen und in andere Konzentrationslager verschleppt. Auf Weisung des „Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei“, Heinrich Himmler, wird in Berlin beim Reichskriminalpolizeiamt eine zentrale Stelle eingerichtet, die die Erfassung und Verfolgung der Sinti und Roma steuert und koordiniert. Im Dezember ergeht ein grundlegender Erlass Himmlers, „die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen“, mit dem Ziel der „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage“. Die mit der Erfassung beauftragte „Rassenhygienische Forschungsstelle“ fertigt bis Kriegsende nahezu 24.000 „rassenkundliche Gutachten“ an, die eine wesentliche Grundlage für die Deportationen in Vernichtungslager bilden.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges plant das für die Organisation des Völkermordes federführende „Reichssicherheitshauptamt“, alle als „Zigeuner“ erfassten Menschen zu deportieren. Zur Vorbereitung von Deportationen verfügt es, allen Betroffenen „die Auflage zu erteilen, ihren Wohnsitz oder ihren jetzigen Aufenthalt bis auf weiteres nicht zu verlassen“.
Auf Befehl Himmlers beginnen die Deportationen ganzer Familien aus Deutschland in das besetzte Polen: „Der erste Transport von Zigeunern nach dem Generalgouvernement wird Mitte Mai in Stärke von 2.500 Personen […] in Marsch gesetzt werden.“ In Lagern, später auch in Ghettos, müssen sie unter grausamen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Vielerorts unterliegen Sinti und Roma einer Kennzeichnung durch Sonderausweise oder Armbinden mit der Aufschrift „Z“.
In der besetzten Sowjetunion und in den anderen besetzten Gebieten Ost- und Südosteuropas beginnen systematische Massenerschießungen von Roma. So meldet eine „Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS“ von der Krim: „Zigeunerfrage bereinigt.“ Aus dem österreichischen Burgenland werden etwa 5.000 Roma und Sinti in das Getto Litzmannstadt (Łódź) im besetzten Polen deportiert – über 600 von ihnen sterben dort. Die Überlebenden werden im Januar 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) in Vergasungswagen ermordet.
Nach einer Besprechung mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels über die Auslieferung von Justizgefangenen an die SS protokolliert Reichsjustizminister Otto Georg Thierack, dass „Juden und Zigeuner schlechthin […] vernichtet werden sollen. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste“.
Auf der Grundlage eines Erlasses von Heinrich Himmler vom 16. Dezember 1942 beginnen ab Februar die Deportationen von rund 23.000 Sinti und Roma aus fast ganz Europa. Ziel der Transporte ist ein von der SS als „Zigeunerlager“ bezeichneter Abschnitt von Auschwitz-Birkenau. Innerhalb weniger Monate sterben die meisten von ihnen an Hunger, Seuchen oder durch Gewalttaten der SS. Den Experimenten des dortigen SS-Lagerarztes Josef Mengele fallen zahlreiche Kinder zum Opfer.
Am 16. Mai leisten viele der im „Zigeunerlager“ in Auschwitz noch lebenden 6.000 Gefangenen Widerstand gegen ihre drohende Ermordung. Etwa die Hälfte von ihnen wird zur Zwangsarbeit in andere Konzentrationslager deportiert. Die letzten 2.897 Überlebenden – meist Kinder, Frauen und Alte – werden in der Nacht vom 2. auf den 3. August in den Gaskammern ermordet.
Die Anzahl der als „Zigeuner“ verfolgten Menschen, die im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich dem Völkermord zum Opfer fielen, wird sich wohl nie genau bestimmen lassen. Schätzungen reichen bis zu 500.000 ermordeten Männern, Frauen und Kindern.
Reinhold Laubinger
Reinhold Laubinger wurde am 22. August 1920 in Repplin, im Kreis Pyritz der Provinz Pommern, geboren. Er ging nach Berlin und war als Tiefbauarbeiter tätig. Offenbar war Laubinger einer der rund 600 Sinti, die die Polizei im „Zigeunerlager“ – offiziell „Rastplatz“ – Marzahn festhielt. Sie hatte das Lager anlässlich der Olympischen Spiele im Juli 1936 – Sinti sollten zu den Spielen im Stadtbild nicht mehr sichtbar sein – auf freiem Feld eingerichtet. Im Rahmen der „Aktion ›Arbeitsscheu Reich‹“ nahm die Kriminalpolizei Laubinger fest, verurteilte ihn am 18. Juni 1938 als „Asozialen“ und wies ihn in das KZ Sachsenhausen ein, obwohl er keinerlei Vorstrafen hatte. In Sachsenhausen missbrauchten Ärzte ihn für Fleckfieberversuche. Reinhold Laubinger meldete sich mit fünf weiteren Sinti nach Bombenangriffen auf Berlin „freiwillig“ zum Entschärfen von Blindgängern. Als Anerkennung befahl Reichsführer-SS Himmler am 2. Dezember 1940, die sechs aus Sachsenhausen in das „Zigeunerlager“ Marzahn zu überstellen. Laubinger fand im Wohnwagen seiner Mutter Adelheid Unterkunft. Die hygienischen Zustände waren katastrophal. In der Nachbarschaft befanden sich Rieselfelder. Laubinger nahm eine Arbeit in einer Berliner Möbelfabrik auf. Im Herbst 1940 begann Hitlers Propagandaregisseurin Leni Riefenstahl, ihren Film „Tiefland“ zu drehen. Ab April 1942 fanden die Aufnahmen in den Babelsberger Studios statt – ausschließlich mit Komparsen aus dem Marzahner Lager, darunter Reinhold Laubinger. Am 27. März 1943 wurden er und seine Mutter in das „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau verschleppt und unter den Nummern Z-5591 und Z-4610 registriert. Um die Deportierten aus bevorstehenden „Judentransporten“ aus Ungarn unterzubringen, wollte die SS am 16. Mai 1944, das „Zigeunerfamilienlager“ aufzulösen. Die Betroffenen setzten sich jedoch zur Wehr. Die SS zog sich zurück. In den folgenden Wochen sammelte sie alle arbeits- und zum Widerstand fähigen Häftlinge heraus und verschleppte sie in andere Konzentrationslager. Laubinger kam nach Dachau, wo er im April 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurde. Reinhold Laubinger starb 1986.
Johann Wilhelm Rukeli Trollmann
Hannover, 1928: Norddeutscher Meister der Amateure beim Verein »Herus«.
© wikipedia / gemeinfrei
© wikipedia / gemeinfrei
Johann Wilhelm Rukeli Trollmann, geboren am 27. Dezember 1907 in Wilsche bei Gifhorn, wuchs zusammen mit acht Geschwistern in der Altstadt Hannovers auf. Früh begann er zu boxen. Am 9. Juni 1933 wurde Trollmann in der Bockbrauerei in Berlin-Kreuzberg Deutscher Meister im Halbschwergewicht. Der Verband deutscher Faustkämpfer entzog ihm acht Tage darauf wegen „armseligen Verhaltens“ den Titel. Er drohte Trollmann mit Entzug der Boxlizenz, wenn er seinen „zigeunerisch tänzelnden“ und „undeutschen“ Boxstil beibehalte. Aus Protest trat Trollmann daraufhin mit blond gefärbten Haaren und weiß geschminktem Gesicht – als Karikatur eines „arischen“ Boxers – in den Ring. Wenige Monate darauf verlor Trollmann seine Boxlizenz. Am 1. Juni 1935 heiratete er im Standesamt Berlin-Charlottenburg seine Freundin Olga Frieda Bilda, mit der er seit März 1935 die gemeinsame Tochter Rita hatte. Offenbar wurde er anschließend unter dem Namen Heinrich Trollmann für mehrere Monate im Berliner Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg festgehalten. Der Direktor des Hauses beantragte eine Zwangssterilisation, das zuständige Erbgesundheitsgericht stimmte zu. Am 23. Dezember 1935 musste sich der junge Mann der Operation zur Unfruchtbarmachung unterziehen. Trollmann ließ sich scheiden, um seine Familie zu schützen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges im Herbst 1939 zog die Wehrmacht Trollmann als Soldat ein. Er wurde später an der Ostfront verwundet. Im Oktober 1942 entließ man ihn als „wehrunwürdigen Zigeuner“ und lieferte ihn in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg ein. Dort musste Rukeli Trollmann schwerste Zwangsarbeit leisten. Von den Wachmannschaften wurde er als ehemaliger erfolgreicher Boxer in Schaukämpfen mit SS-Männern gezielt gedemütigt. Anfang 1944 erschlug ein Kapo, der Trollmann zum Boxkampf herausgefordert und gegen ihn verloren hatte, ihn im Außenlager Wittenberge. Er war 36 Jahre alt. 2003 erhielt Johann Wilhelm Rukeli Trollmann posthum seinen Meistertitel aus dem Jahr 1933 zurück.
Erna Unku Lauenburger
Erna Unku Lauenburger kam am 4. März 1920 in Berlin-Reinickendorf zur Welt. Dort lernte sie Ende der 1920er-Jahre die Schriftstellerin Grete Weiskopf kennen. Unter dem Künstlernamen Alex Wedding veröffentlichte diese 1931 den Roman „Ede und Unku“, in dem sie Ereignisse aus Erna Lauenburgers Leben verarbeitete. Das Buch über die Freundschaft einer Sinteza mit einem Arbeiterjungen war damals und später in der DDR ein großer Erfolg. In den 1930er-Jahren zog die Familie Lauenburger nach Magdeburg. Dort machte der Pressefotograf Hanns Weltzel, der Romanès – die Sprache der Sinti – konnte, Aufnahmen ihres Alltags.
Erna Lauenburger heiratete Otto Schmidt aus Luckenwalde. Sie lebten – wie auch Ernas Mutter und Großmutter – zusammen im „Zigeunerlager“ Magdeburg-Holzweg. Schmidt wurde am 13. Juni 1938 während der „Aktion ›Arbeitsscheu Reich‹“ verhaftet, in das KZ Buchenwald deportiert und dort am 20. November 1942 getötet. Zuvor hatten Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts Fleckfieberversuche an ihm durchgeführt.
Am 25. August 1938 wurde beider Tochter Marie geboren. Am 12. April 1939 lud die Kriminalpolizei Erna Lauenburger vor, vernahm und registrierte sie erkennungsdienstlich. Mit Kriegsbeginn 1939 wurde Magdeburg-Holzweg ein Sonderlager der SS. Im Juli 1941 „untersuchte“ Robert Ritter von der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ in Berlin Erna Lauenburger und stufte sie in seiner „Gutachterlichen Äußerung“ als „Zigeuner-Mischling (+)“ ein. Im Februar 1943 kam er erneut, um seine Unterlagen über die Sinti im Lager für die bevorstehende Deportation zu ergänzen. Am 1. März 1943 wurde das „Zigeunerlager“ Magdeburg-Holzweg von Polizei und Gestapo aufgelöst, alle 160 Sinti – darunter 125 Kinder – in das „Zigeunerlagerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau verschleppt. Erna Lauenburger erhielt die Häftlingsnummer Z 633, ihre Tochter Marie die Z 635. Wenige Wochen später kam die 24-jährige Erna Lauenburger dort ums Leben.
Am 27. Januar 2011 wurde in Berlin-Friedrichshain ein Weg nach „Ede und Unku“ benannt.
Texte: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Podcast „Nach Berlin“
Per Podcast unterwegs in Berlin: Begleiten Sie Expert*innen, Reporter*innen und prominente Persönlichkeiten zu den Schauplätzen der letzten Kriegstage: Jede der sieben Podcastfolgen widmet sich einem konkreten Thema, das sich am historischen Geschehen festmacht und uns bis in die Gegenwart beschäftigt – von Antifaschismus bis Zivilcourage. Mehr oder weniger prominente Plätze liefern reichlich Diskussionsstoff: der Reichstag natürlich oder der Alexanderplatz, aber auch das Olympiastadion oder die Gedenkstätte des Nationalsozialistischen Zwangslagers für Sinti und Roma in Marzahn. Weitere Orte sind ein Tunnel im Tiergarten und der Kurfürstendamm.
Während der digitalen Themenwoche gibt es täglich eine neue Folge, moderiert von Katja Weber von Radio Eins und Deutschlandfunk-Reporter Markus Dichmann – auf Apple Podcasts, Spotify und auf dieser Seite.
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#06: Tunnel unter der Straße des 17. Juni & Siegessäule: Die Kapitulation
Protagonisten: Dietmar Arnold, Gründer und Vorsitzender des Berliner Unterwelten e.V. und Sascha Keil sowie Dr. Bjoern Weigel
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#05: Alexanderplatz: Antifaschismus damals und heute
Protagonist: Kaspar Nürnberg, Geschäftsführer des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand in Berlin
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#04: Zwangslager Marzahn: Diskriminierung damals und heute
Protagonistin: Annegret Ehmann, Historikerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte Zwangslager Berlin-Marzahn e.V.
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#03: Ku’damm & Gedächtniskirche: Mondänes Berlin als Zerr- und Vorbild
Protagonist*innen: Dr. Christoph Kreutzmüller, Historiker und Pädagoge, Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz & Kathrin Oxen, Theologin, Pfarrerin an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
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#02: Olympiastadion: Sport und Politik, Gewalt und Polizei
Protagonist: Dr. Ralf Schäfer, Historiker mit Schwerpunkt Sport und Antisemitismus
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Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst im Wandel der Zeit
Das Gebäude des heutigen Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst erlebte in den unterschiedlichsten Epochen der deutschen Geschichte eine wechselhafte Nutzung. Im Nationalsozialismus wurde hier als Teil der benachbarten Wehrmachtsschule für Pioniere das Unterhaltungsprogramm der Schule durchgeführt. Seine historische Bedeutung erlangte es jedoch am 8. Mai 1945, als hier die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterschrieben wurde.
Das Gebäude des heutigen Deutsch-Russisches Museums Berlin-Karlshorst am Tag der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945. Später wurde hier bis 1949 der Dienstsitz des Chefs der sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) eingerichtet und anschließend bis 1955 residierte die Sowjetische Kontrollkommission.
Foto: Timofej Melnik © Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Foto: Timofej Melnik © Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Eine Führung für sowjetische Offiziere in den Räumen des 1967 eröffneten Museums „historische Gedenkstätte – Das Museum der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“. Dieses Museum bestand bis zum Abzug der sowjetischen Streitkräfte 1990.
Foto: Ljudmila Petruchina © Museum Berlin-Karlshorst
Foto: Ljudmila Petruchina © Museum Berlin-Karlshorst
Während der sowjetischen Besatzung diente das Haus bis 1962 verschiedenen sowjetischen Einrichtungen als Residenz. 1967 wurde erstmals ein Museum eingerichtet – die „historische Gedenkstätte – Das Museum der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“. Es handelte sich dabei um eine rein sowjetische Einrichtung in der die Texte der Ausstellung zunächst nur auf Russisch waren. Das Museum zeigte den ruhmreichen Kampf der Roten Armee zur Niederschlagung des Nationalsozialismus. Dabei fanden die westlichen Alliierten keine Beachtung. Neben den sowjetischen Soldaten, die in der DDR stationiert waren, kamen auch organisierte Besuchergruppen aus der DDR.
1990 wurde in einer Geste der Versöhnung zwischen der Sowjetunion und dem widervereinigten Deutschland beschlossen, ein gemeinsames Museum zu gestalten. Anlässlich des 50. Jahrestag des Kriegsendes in Europa wurde am 10. Mai 1995 das Deutsch-Russische Museum eröffnet. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, einige Elemente der alten Ausstellung blieben erhalten. 1997 traten dem deutsch-russischen Verein die beiden großen Museen zur Geschichte des Großen Vaterländischen Krieg in Kiew und Minsk bei. Heute erinnern vier Nationen an die Verbrechen des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges. Es ist das einzige Museum in Deutschland, in dem die ehemaligen Kriegsgegner mit einer Dauerausstellung an den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion erinnern.
Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst heute.
Foto: Thomas Bruns © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Foto: Thomas Bruns © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Autor*in: Christoph Meißner / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Biographien
Holocaust
Einführungstext folgt
Ruth und Thea Fuss
Berlin, 1940/41, Aufnahme von Abraham Pisarek
© Bildarchiv Abraham Pisarek / akg images
© Bildarchiv Abraham Pisarek / akg images
Thea wurde am 16. Januar 1930 und Ruth am 4. September 1931 in Berlin geboren. Sie wuchsen im Prenzlauer Berg, in der Fehrbelliner Straße 83, auf. Ihr Vater, der Schneider Abraham Fuss, stammte aus Mosciska in Galizien, das seit 1918 zu Polen gehörte. Abraham Fuss wurde – wie 17.000 andere jüdische Kinder, Frauen und Männer aus dem Deutschen Reich – am 28. Oktober 1938 nach Polen abgeschoben. Er kehrte nach Berlin zurück und wurde nach Kriegsbeginn 1939 erneut verhaftet, in das KZ Sachsenhausen gebracht und dort am 28. Mai 1942 erschossen. Theas und Ruths Mutter konnte mit falschen Papieren nach Schweden ausreisen. Als ihre Versuche, die Töchter nachzuholen, vergeblich blieben, kamen die Schwestern in das jüdische Waisenheim Fehrbelliner Straße 92. Nach dessen Auflösung im Frühjahr 1942 gelangten sie in das Auerbach’sche Waisenhaus an der Schönhauser Allee 162. Über das jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26, das die Gestapo als Sammellager für die Deportationen missbrauchte, wurden Ruth und Thea Fuss am 19. Oktober 1942 – zusammen mit weiteren 957 jüdischen Kindern, Frauen und Männern – im 21. „Osttransport” nach Riga abtransportiert und dort drei Tage nach ihrer Ankunft in Wäldern erschossen. Ruth war elf, Thea zwölf Jahre alt.
Cora Berliner
Berlin, um 1920
© Leo Baeck Institute, New York, Cora Berliner Collection, AR 1578
© Leo Baeck Institute, New York, Cora Berliner Collection, AR 1578
Cora Berliner, geboren am 23. Januar 1890 in Hannover, wuchs in einem deutsch-bürgerlichen Milieu auf. Sie bewährte sich früh in männlich dominierten Berufsfeldern, wurde hohe Ministerialbeamtin und Hochschullehrerin. Die Nationalsozialisten versetzten sie 1933 in den Ruhestand. Fortan arbeitete sie für die Reichsvertretung der deutschen Juden (1939 in Reichsvereinigung umbenannt). Sie verhalf unter anderem Frauen und Mädchen zur Emigration, sah von der eigenen Auswanderung jedoch ab. Fortgesetzt verschleppten die nationalsozialistischen Behörden Juden Richtung Osten – auch Angestellte jüdischer Einrichtungen. Mittels dieser „Abtransporte” verfolgte die Gestapo die gewaltsame Senkung der Mitarbeiterzahl. Am Morgen des 19. Juni 1942 geriet Cora Berliner in eine Polizeifalle. Mit anderen Kollegen, die nicht bis Punkt 8.00 Uhr im Büro erschienen waren, wurde sie zur „überflüssigen” Mitarbeiterin erklärt und erhielt den Deportationsbefehl. Cora Berliner und fast 800 weitere Deportierte aus Berlin und Ostpreußen wurden am 26. Juni 1942 bei Minsk aus dem Zug getrieben. SS und Polizei erstickten die nicht Gehfähigen in sogenannten Gaswagen und erschossen die anderen an ausgehobenen Gruben im Wald von Blagowschtschina. Der Wald war Teil der Vernichtungsstätte Malyj Trostenez. Mindestens 50.000 Menschen fielen hier dem Massenmord zum Opfer. Die Adresse des Denkmals für die ermordeten Juden Europas trägt den Namen Cora Berliners. In der Nachkriegszeit versuchten nur enge Freunde ihr Andenken zu bewahren, die deutsche Nachkriegsgesellschaft zeigte kein Interesse. Die meisten Täter von Malyj Trostenez blieben straffrei.
Mendel Max Karp
Als österreich-ungarischer Soldat, 1914–1918
© Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr.: 2006/78/18
© Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr.: 2006/78/18
Mendel Max Karp kam am 17. Juli 1892 im damals österreichischen, seit 1918 polnischen Dorf Ruszelczyce zur Welt. Nach dem Ersten Weltkrieg zog er in die deutsche Hauptstadt, war als Vertreter tätig und wohnte nahe dem Alexanderplatz. Am 28. Oktober 1938 wurde Karp zusammen mit etwa 6.000 Juden aus Berlin nach Polen abgeschoben und in Bentschen interniert. Erst am 29. Juni 1939 erhielt Karp die Erlaubnis, nach Berlin zurückzukehren – mit der Auflage, Deutschland bis zum 24. August endgültig zu verlassen. Am 23. August hatte er alle notwendigen Papiere zusammen. Doch am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg, Karp saß in Berlin fest und wurde am 13. September in einer „Aktion” gegen 1.000 „polnische und staatenlose Juden” in das KZ Sachsenhausen deportiert und unter der Häftlingsnummer 009060 registriert. Er starb dort am 27. Januar 1940.
Leonore Tannenwald
Passfoto
© Yad Vashem, Hall of Names, Page of Testimony
© Yad Vashem, Hall of Names, Page of Testimony
Leonore Tannenwald, geborene Jessel, wurde am 17. Oktober 1870 in der pommerschen Haupt- und Hafenstadt Stettin geboren. Dort lernte sie ihren Mann Jacob kennen, der aus dem hessischen Rotenburg an der Fulda stammte. Das Paar hatte zwei Kinder: Alice und Gerda, die am 30. September 1893 und 12. Juni 1900 in Stettin das Licht der Welt erblickten. Mutmaßlich um 1933 zogen die Eheleute in die Reichshauptstadt Berlin. Am 5. November 1935 verstarb Jacob Tannenwald und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Ihren Kindern und Enkeln gelang die Auswanderung in die USA und nach Palästina. Leonore Tannenwald wohnte verwitwet in Berlin-Schöneberg, Innsbrucker Straße 39. Einen Tag nach ihrem 71. Geburtstag wurde sie abgeholt und am 18. Oktober 1941 mit dem ersten „Judentransport” aus Berlin vom Bahnhof Grunewald in das Ghetto Litzmannstadt, dem früheren Lodz, verschleppt. Ein halbes Jahr durchlitt Leonore Tannenwald die dortigen katastrophalen Bedingungen – zusammen mit anderen Deportierten in einem eigenen Wohnbezirk getrennt von den polnischen Juden. Am 8. Mai 1942 wurde sie von der SS in einem Gaswagen in Kulmhof (Chełmno) erstickt und in einem Massengrab verscharrt.
Margot Friedländer
Berlin, 1937: Mit ihrem Bruder Ralph (1925–1943) und der Cousine Anna Goldberger (1919–1943, ermordet in Auschwitz)
© Margot Friedländer
© Margot Friedländer
Margot Friedländer, geborene Bendheim, kam am 5. November 1921 in Berlin zur Welt. Beide Eltern waren Juden. Ihr Vater Arthur, der nach der Scheidung 1937 getrennt von der Familie lebte, floh nach der „Kristallnacht” im November 1938 am 17. Juni 1939 nach Frankreich. Von dort wurde er am 10. August 1942 über das Durchgangslager Drancy nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Margot wohnte mit ihrem vier Jahre jüngeren Bruder Ralph bei der Mutter Auguste Bendheim in Berlin-Kreuzberg. Sie versuchten mehrmals auszuwandern. Im Januar 1943 planten sie erneut ihre Flucht aus Deutschland, Ralph wurde aber von der Gestapo verhaftet. Die Mutter stellte sich der Polizei, um ihren Sohn nach Auschwitz zu begleiten. Der Transport verließ Berlin am 29. Januar 1943. Margot lebte fortan in verschiedenen Verstecken. Sie färbte sich die schwarzen Haare tizianrot, ersetzte den Judenstern durch eine Kette mit Kreuz und ließ ihre Nase operieren. Im Frühjahr 1944 geriet sie in eine Kontrolle von „Greifern” − Juden, die im Auftrag der SS andere Juden aufspürten und auslieferten sollten. Sie wurde in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort traf sie Adolf Friedländer wieder, den sie vom Jüdischen Kulturbund in Berlin kannte und der ebenfalls seine gesamte Familie verloren hatte. Nach Kriegsende heirateten sie, reisten 1946 per Schiff nach New York und nahmen die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Margot arbeitete dort unter anderem als Änderungsschneiderin und Reiseagentin. 1997 starb Adolf Friedländer. 2003 besuchte Margot erstmals wieder ihre Heimatstadt und entschied sich nach weiteren Aufenthalten, 2010 nach Berlin zurückzukehren. Sie erhielt die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Seitdem ist Margot Friedländer unermüdlich als Zeitzeugin vor allem in Schulen aktiv.
Texte: Stiftung Denkmal für die ermorderten Juden Europas
Unerwünscht, verdächtigt, verfolgt: Im Mai 1933 durchwühlen nationalsozialistische Studenten einen Haufen Bücher und Broschüren des Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld, einem prominenten Vertreter einer liberalen Haltung gegenüber Homosexualität. © ullstein bild – ullstein bild
Unerwünscht, verdächtigt, verfolgt: Im Mai 1933 durchwühlen nationalsozialistische Studenten einen Haufen Bücher und Broschüren des Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld, einem prominenten Vertreter einer liberalen Haltung gegenüber Homosexualität. © ullstein bild – ullstein bild
Biographien
Elsa Conrad
Im KZ Moringen, vermutlich bei der Einlieferung am 14. Januar 1937© Hauptstaatsarchiv Hannover
Elsa Rosenberg wurde am 9. Mai 1887 in Berlin geboren. Sie absolvierte eine kaufmännische Lehre und heiratete 1910 den Kellner Wilhelm Conrad; die Ehe wurde 1931 geschieden. Um 1927 eröffnete Elsa Conrad mit ihrer Freundin Amalie Rothaug in Berlin-Charlottenburg das Monbijou des Westens, einen mondänen, von Intellektuellen und Künstlerinnen vielbesuchten Club, der Ende der 1920er-Jahre als die „interessanteste Vereinigung lesbischer Frauen Berlins“ galt. Das Monbijou wurde Anfang März 1933, kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, aufgrund des Erlasses zur „Bekämpfung der Absteigequartiere und homosexuellen Lokale“ polizeilich geschlossen. Elsa Conrad wurde nach einer Denunziation am 5. Oktober 1935 verhaftet und wegen angeblicher Verleumdung von Partei und Staat zu einem Jahr und drei Monaten Haft in den Frauengefängnissen Barnim- und Kantstraße in Berlin verurteilt. Zehn Tage nach ihrer Entlassung wurde sie am 14. Januar 1937 unter anderem, weil sie „lesbisch veranlagt“ und mit einer gewissen Bertha Stenzel 14 Jahre lang liiert gewesen sei, in das Frauen-Konzentrationslager Moringen bei Göttingen verbracht. Im Februar 1938 wurde Elsa Conrad krank entlassen – verbunden mit der Auflage, noch im selben Jahr auszuwandern. Sie fuhr mit dem Schiff nach Tansania und lebte seit 1943 in Kenia. Schwer erkrankt und mittellos kehrte sie 1961 nach Westdeutschland zurück und starb am 19. Februar 1963 in Hanau.
Erwin Keferstein
In Berlin, Ende der 1920er Jahre
© privat
© privat
Erwin Keferstein wurde am 4. Juni 1915 in Stettin geboren. Mit 15 Jahren verließ er die Realschule und begann eine Lehre bei einem Damenschneider. Drei Jahre lang lernte er in den Modesalons Falk und Lobel das Schneiderhandwerk und schloss seine Ausbildung mit gut ab. Nachdem erste sexuelle Erfahrungen mit anderen Jungen von seinem Vater mit strengstem Hausarrest sanktioniert wurden, beschloss Erwin Keferstein, nach Berlin umzuziehen. Er verdiente sich seinen Unterhalt durch selbständige Arbeiten und fertigte unter anderem Modezeichnungen an.
Am 1. Dezember 1934 wurde er während einer der Razzien der Szenelokale in Berlin verhaftet und gab im anschließenden Verhör gegenüber der Gestapo die Namen der Männer preis, mit denen er sexuellen Kontakt hatte. Im Januar 1935 wurde er in das Konzentrationslager Lichtenburg bei Torgau und von dort in das Berliner Konzentrationslager Columbia-Haus am Tempelhofer Feld gebracht. Erst am 3. Februar 1937 wurde er wegen Vergehen gegen § 175 schuldig gesprochen. Da der Haftgrund mehr als zwei Jahre zurücklag, wurde seine Strafe als verbüßt angesehen und er kam frei.
1942 drohte Erwin Keferstein aus denselben Gründen erneut Anklage. Möglicherweise halfen ihm die Kontakte seines Vaters, so dass man ihn als Soldat an die Front schickte. Bei einem Angriff von Partisanen am 17. Dezember 1943 in der Nähe von Leningrad wurde er erschossen.
Texte: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
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From Liberation to Victory: Europäische Erinnerungen an das Kriegsende
Der italienische Anniversario della Liberazione am 25. April, der niederländische Bevrijdingsdag am 5. Mai oder die Fête de la victoire am 8. Mai in Frankreich sind nur einige Beispiele, wie unterschiedlich in Europa dem Ende des Zweiten Weltkrieges gedacht wird.
Auch wenn am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht europaweit der Krieg zu Ende war, so endete er in den einzelnen Ländern an unterschiedlichen Tagen und auf unterschiedliche Weise. Nicht für alle Länder bedeutete die Befreiung vom Nationalsozialismus auch wirklich Freiheit, da viele osteuropäische Länder unter sowjetischen Einfluss gerieten.
Wann, wo und wie an das Kriegsende erinnert wird, ist von den unterschiedlichen Kriegserfahrungen als auch von den jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nach 1945 abhängig.
Bevrijdingsdag in Amsterdam, 5. Mai 1955. Foto: Fotograaf Onbekend / Anefo Quelle: Nationaal Archief, CC0, gemeinfrei
Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands: Eine Familie am Mahnmal MOKOTOW KAEMPFT (poln.: Mokotow Walczy, Mokotow ist ein Warschauer Stadtteil) im Orlicz-Dreszera-Park, nach einer Gedenkfeier, Warschau 1. August 2004. © ullstein bild – CARO / Andreas Bastian
Viele osteuropäische Länder feierten bis zum Ende des Kalten Krieges in sowjetischer Tradition am 9. Mai den Tag des Sieges. In Polen steht dieses Datum heute für den Übergang von der deutschen in die sowjetische Diktatur. Bedeutender in der polnischen Gedenkkultur ist der Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer am 1. August 1944.
Während in vielen Ländern Europas zunächst Heldengeschichten über die eigene Rolle bei Befreiung und Sieg im Vordergrund standen, wird heute der Opfer gedacht. Dies könnte ein Weg für eine gemeinsame europäische Erinnerungskultur sein.
In Großbritannien wird mit dem VE-Day (Victory in Europe Day) am 8. Mai an den Sieg über das Deutsche Reich erinnert. In Frankreich ist die Fête de la victoire seit 1981 ein Feiertag. Andere Länder feiern mehr noch als den Sieg die Befreiung von der deutschen Besatzung. So erinnert Italien am 25. April mit volksnahen Festen an den Einmarsch der italienischen Partisanen in Mailand und damit an die Befreiung von der deutschen Besatzung. In den Niederlanden ist der 5. Mai seit 1990 ein offizieller Feiertag. In Erinnerung an die deutsche Kapitulation in den Niederlanden und die Befreiung des Landes finden Veranstaltungen und Umzüge statt.
Gedenkveranstaltung mit Militärparade zur Fête de la Victoire am 8. Mai 2015 auf den Champs Elysées in Paris. Gemeinfrei
Autor*in: Uta Birkemeyer / AlliiertenMuseum
Das Alliierten Museum
Seit 1994 zeigt das AlliiertenMuseum Weltgeschichte im Prisma Berlins. Die Ausstellung erläutert die Rolle der Westalliierten Großbritannien, Frankreich und USA für die Geschichte der Demokratie in Deutschland. Sie führt von den Schrecken des Nationalsozialismus über den Verlauf des Kalten Krieges bis hin zur Deutschen Einheit 1990.
Seit 1994 für den Besuch geöffnet: Das historische Outpost Theater am Grunewald. © AlliiertenMuseum/Chodan
Das Programm des AlliiertenMuseum spricht alle Generationen an.
© AlliiertenMuseum
Im denkmalgeschützten Outpost Theater der US Army in Berlin-Zehlendorf erwarten die Besucher*innen einzigartige Originalobjekte: Ein britischer Rosinenbomber und das Wachhäuschen des Checkpoint Charlie bringen Entwicklungen mit globaler Tragweite plastisch näher. Jährlich über 70.000 Besucher*innen tauchen so in die Geschichte der Berliner Luftbrücke und der deutschen Teilung ein. Im AlliiertenMuseum finden Sie zudem ein reichhaltiges Veranstaltungs- und Bildungsprogramm. In vielfältiger Form vermittelt es die Themen Individualbesucher*innen, Familien, Gruppen und Schulklassen.
Im neuen Jahrzehnt plant das Museum den Umzug in den ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof. Im Hangar 7 an der Südspitze entsteht mit dem Neuen AllliertenMuseum (NAM) ein Lernort auf Höhe der Zeit. Die gesammelten Schätze des Museums sowie neueste Medientechnik sorgen für ein einzigartiges Besuchserlebnis. Mittels Multiperspektivität, physischer und sozialer Barrierefreiheit sowie Inklusion spricht das NAM ein breites internationales Publikum und neue Generationen an. Mit der Neubetrachtung der Geschichte der deutschen Nachkriegsdemokratie unter den Bedingungen des Kalten Krieges lenkt das NAM den Blick auf die gemeinsame Geschichte, die Deutschland mit der Welt verbindet.
Im Hangar 7 des ehemaligen Flughafens Tempelhof entsteht mit dem Neuen AlliiertenMuseum ein einzigartiger Lern- und Erlebnisort für Demokratiegeschichte. © AlliiertenMuseum
www.alliiertenmuseum.de
Clayallee 135
14195 Berlin-Zehlendorf
U3 Oskar-Helene-Heim
115 Alliiertenmuseum
Eintritt frei
© ullstein bild – SPUTNIK / STF
»AKTION T4« UND »EUTHANASIE«
Nach dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 und der Eroberung des Nachbarlandes erließ Adolf Hitler im Oktober eine Anordnung zur Ausrottung »lebensunwerten Lebens« im Deutschen Reich. Sie wurde auf den Tag des Kriegsbeginns zurückdatiert. Im Schatten des Krieges nach außen erfolgte der Krieg nach innen – gegen Schwache und vermeintliche Feinde der »Volksgemeinschaft«. Die Ermordung zehntausender Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten sowie »rassisch« und sozial unerwünschter Menschen war
© ullstein bild – SPUTNIK / STF
Otto Hampel
Otto Hampel wurde 1895 im schlesischen Breslau geboren, besuchte die Volksschule und machte eine Ausbildung zum Schriftsetzer.
Otto Hampel wurde 1895 im schlesischen Breslau geboren, besuchte die Volksschule und machte eine Ausbildung zum Schriftsetzer.
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KZ Sachsenhausen: Häftlinge marschieren unter Bewachung durch das Lagertor, 1936/1944.
© ullstein bild – dpa
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Die Olympischen Spiele in Berlin. 1936.
© ullstein bild – adoc-photos
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Häftlinge im KZ Sachsenhausen zum Appell angetreten, 1942.
© ullstein bild – adoc-photos
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Luftbild vom Konzentrationslager Sachsenhausen, aufgenommen von der Royal Air Force, 20. Mai 1943.
National Collection of Aerial Photography, public domain.
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Häftlinge im KZ Sachsenhausen treten zum Appell an, 19. Dezember 1938.
© ullstein bild – Archiv Gerstenberg
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Jüdische Kinder, die Auschwitz überlebt haben, mit einer Krankenschwester hinter einem Stacheldrahtzaun, Februar 1945.
© picture alliance / Mary Evans Picture Library
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Blick in ein Krankenzimmer der Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar in Hessen. Im Rahmen des nationalsozialistischen “Euthanasie”-Programms wurden hier zahlreiche Menschen für Versuche missbraucht und in Gaskammern ermordet.
Foto: dpa © dpa – Bildarchiv
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Heinrich Himmler, Reichsführer SS (rechts) während eines Besuchs der Buna-Werke in Auschwitz III Monowitz, 17. Juli 1942.
© picture alliance / Mary Evans Picture Library
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Hitler auf der Fahrt zur Reichskanzlei vor jubelnder Menschenmenge in der Hedemannstrasse, Berlin 1938.
Foto: Herbert Hoffmann © picture alliance/ullstein bild
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Ansicht des zerstörten Reichstagsgebäudes nach Kriegsende, Berlin 1945.
© akg-images
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Blick auf das brennende Reichstagsgebäude, das in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar durch Brandstiftung größtenteils zerstört wird, Berlin 27. Februar 1933.
Foto: akg-images © picture alliance / akg
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Das Reichstagsgebäude am Morgen des 28. Februar 1933. Bei dieser Aufnahme handelt es sich um eine Montage: Flammen und Rauchwolken wurden hinein retuschiert.
© ullstein bild – ullstein bild
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Reichstagsbrandprozess vor dem Reichsgericht Leipzig: Urteilsverkündung am 23. Dezember 1933. Der Hauptangeklagte Marinus van der Lubbe (mit gesenktem Kopf) wird zum Tode verurteilt und Ernst Torgler freigesprochen, Leipzig 1933.
Foto: akg-images © picture alliance / akg
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Berlin, 27. Februar 1933: Reichstagsbrand. Sowjetische Karikatur auf den als Brandstifter verurteilten Marinus van der Lubbe als Handlanger der Nationalsozialisten.
Foto: akg-images © picture alliance / akg
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Blick aus erhöhter Sicht auf die Krolloper, im Vordergrund das Moltke-Denkmal, Berlin März 1933.
© ullstein bild – ullstein bild
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Während der Reichstagssitzung in der Kroll-Oper hält der Reichskanzler Adolf Hitler eine Rede zur Begründung des “Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich” (Ermächtigungsgesetz), Berlin 23. März 1933.
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
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Der SPD-Politiker Otto Wels gab am 23. März 1933 die Erklärung der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei gegen das Ermächtigungsgesetz Hitlers ab, ohne Datum.
Foto: dpa © dpa – Bildarchiv
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Ein Lautsprecherwagen vor der Krolloper überträgt die Rede Hitlers im Reichstag. Im Hintergrund die Krolloper und das Denkmal des preußischen Generals Helmut von Moltke, Berlin 21. Mai 1935.
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
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Wortlaut des “Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich” veröffentlicht im Reichsgesetzblatt vom 24.03.1933, Berlin 1933.
© ullstein bild – Archiv Gerstenberg
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Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz, Berlin 10. Mai 1933.
© picture alliance / AP Images
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Sofort nach der sogenannten Machtergreifung begannen die SA-Stürme mit der Errichtung “wilder” KZ-Lager, in denen sie Gegner der Nationalsozialisten, die sie nach den jahrelangen Auseinandersetzungen genau kannten, einsperrten und teilweise schwer folterten. Eingang zum Konzentrationslager der SA-Standarte 208 in Oranienburg, 1933.
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
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SA-Mitglieder stehen mit Schildern auf denen steht “Deutsche, verteidigt euch gegen die jüdische Greuelpropaganda, kauft nur bei Deutschen!” vor einem jüdischen Geschäft, Berlin April 1933.
© picture alliance/Mary Evans Picture Library
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Politische Gegner der Nationalsozialisten nach ihrer Verhaftung im Keller eines SA-Sturmlokals, mit erhobenen und gefesselten Händen an einer Mauer stehend, Berlin 1933.
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
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Menschenmenge auf dem Wilhelmplatz in Erwartung der Rückkehr Adolf Hitlers zur Reichskanzlei nach der Rede vor dem Reichstag in der Kroll-Oper anlässlich des Einmarsches der deutschen Wehrmacht in Polen, Berlin September 1939.
© ullstein bild – ullstein bild
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Hans und Sophie Scholl, Gründer und Mitglieder der Widerstandsgruppe “Weiße Rose” an der Münchner Universität (undatierte Fotos). Das Geschwisterpaar wurde nach einer Flugblattaktion gegen die Herrschaft des NS-Regimes am 18. Februar 1943 verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 22. Februar 1943 in München-Stadelheim hingerichtet.
Foto: ADN Zentralbild © dpa – Fotoreport
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Englisches Flugblatt mit dem Text des Manifestes der Widerstandsgruppe “Weiße Rose “. Das Flugblatt wurde in Millionen von Exemplaren über Deutschland abgeworfen.
Foto: ullstein bild © picture alliance/ullstein bild
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Ankunft sowjetischer Kriegsgefangener im Deutschen Reich unter Aufsicht deutscher Wehrmachtssoldaten für den Einsatz bei Schwerstarbeiten im Bergbau und in der Rüstungsindustrie, November 1941.
Foto: Bildarchiv der Eisenbahnstiftung / RVM © dpa
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Deutsche Soldaten inspizieren Tote im Warschauer Ghetto., Polen 1943.
Foto: Glasshouse Images © picture alliance/Glasshouse Images
Bild 1
Der sowjetische Soldat Meliton Kantarija hisst die Rote Fahne auf dem Berliner Reichstagsgebäude, 2. Mai 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – Voller Ernst / Jewgeni Chaldej
Bild 2
Der sowjetische Soldat Meliton Kantarija hisst die Rote Fahne auf dem Berliner Reichstagsgebäude, 2. Mai 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – Voller Ernst / Jewgeni Chaldej
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Der sowjetische Soldat Meliton Kantarija hisst die Rote Fahne auf dem Berliner Reichstagsgebäude, 2. Mai 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – ullstein bild
Bild 4
Die russischen Soldaten Jegorow und Kantarija hissen die sowjetische Flagge auf dem zerstörten Reichstagsgebäude, 2. Mai 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – ullstein bild
Bild 5
Der sowjetische Kriegsfotograf Jewgeni Chaldej vor dem Reichstag in Berlin im Mai 1945. Viele seiner Fotos vom Zweiten Weltkrieg und aus der UdSSR sind in dem 2008 erschienenen Bildband “Der bedeutende Augenblick” veröffentlicht.
Foto: Jewgeni Chaldej/Agentur Voller Ernst © dpa
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Schlacht um den Reichstag, Berlin April 1945.
© ullstein bild – SPUTNIK / Shagin
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Deutsche Soldaten werden nach Ende der Kämpfe um Berlin entwaffnet und gehen in Gefangenschaft, Berlin 1. Mai 1945.
© ullstein bild – SPUTNIK
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Die Beräumung von Trümmerschutt mittels Loren war schon während des Krieges üblich. Dies zeigen die improvisierten Schienen, an denen vorbei sowjetische Panzer Anfang Mai durch die Ebertstraße rollen.
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
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Deutsch-sowjetisches Handelsabkommen und Nichtangriffspakt, Geheimabkommen über Polen. Josef Stalin und Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop (links), August 1938.
Foto: akg-images © picture-alliance / akg
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Deutscher Angriff auf die Sowjetunion: Panzergrenadiere gehen im Schutz von Schützenpanzern gegen ein Dorf vor, Juli 1941.
© ullstein bild – ullstein bild
Bild 4
Russlandfeldzug der Wehrmacht mit ungarischer Beteiligung: ungarische Infanterie im Kampf um eine Ortschaft in der Ukraine, sowjetische Soldaten ergeben sich, Juni 1942.
© ullstein bild – ullstein bild
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Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion: Panzer eines SS-Polizeiregiments dringen in eine Stadt ein, 21. März 1944.
© ullstein bild – ullstein bild
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Schlacht um Stalingrad: Gefangene deutsche Soldaten werden aus Stalingrad ins Hinterland gebracht, Januar 1943.
Foto: ullstein bild © picture alliance / ullstein bild
Bild 7
Leningrad nach der endgültigen Entsetzung durch eine Großoffensive der Roten Armee: Eine Frau umarmt einen Rotarmisten, 27. Januar 1944.
Foto: akg-images picture © alliance/akg-images
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Überlebende verlassen das KZ Auschwitz. Das Foto wurde von einem sowjetischen Fotografen im Rahmen eines Films über die Befreiung des Lagers aufgenommen, Februar 1945.
© picture alliance/Mary Evans Picture Library
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Vormarsch der Roten Armee mit Geschütz in den Straßen von Berlin, hier in einem Berliner Vorort, April 1945.
Foto: Berliner Verlag / Archiv © dpa
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Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, unterzeichnet die zweite, ratifizierende Kapitulationsurkunde am 8./9. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst.
Foto: Lt. Moore (US Army), National Archives, National Archives Identifier: 531290, public domain
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Blick auf das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Berliner Hotel Adlon, 1945.
© dpa Bildarchiv
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Kinder unterhalten sich mit Soldaten der British Army, als die Stadt nach dem Kriegsende besetzt wurde, Juli 1945.
© ullstein bild – mirrorpix
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Fahrzeuge der 7. Panzerdivision, die als erste britische Truppen am Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin einmarschierten, fahren an ihrem Kommandeur General L O Lyne vorbei, Juli 1945.
© ullstein bild – mirrorpix
Bild 3
Deutsche Invasion in Polen, September 1939.
© picture alliance / Photo12
Bild 4
London in Trümmern nach dem Luftangriff der deutschen Luftwaffe: Die hohe Kuppel der St. Pauls Kathedrale ist inmitten der Zerstörung im oberen Teil des Fotos zu sehen, Juli 1940.
© picture alliance / Photo12
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Der britische Premierminister Winston Churchill (1874-1965) macht das Victory-Zeichen, 1940.
© picture alliance/Mary Evans Picture Library
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Tagesangriff der alliierten Luftstreitkräfte auf Berlin: der brennende Französische Dom auf dem Gendarmenmarkt, 24. Mai 1944.
Foto: akg-images © picture alliance / akg-images
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Tanzende Menschen in einer Londoner Straße am VE-Day, 8. Mai 1945.
© ullstein bild – mirrorpix
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Tanzender Soldat und Aushilfssoldatin in einer Londoner Straße am VE-Day, 8. Mai 1945.
© ullstein bild – mirrorpix
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Die Tauentzienstrasse mit der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, 1945.
Foto: Fritz Eschen © ullstein bild – Fritz Eschen
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Zwei sowjetische Soldaten unterhalten sich mit US-amerikanischen Soldaten kurz nachdem die ersten amerikanischen Panzer durch die Straßen von Berlin rollen, Juli 1945.
© ullstein bild – mirrorpix
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Truppen der US-Armee und der Sowjetischen Armee bei einer Feier vor der Kaserne der Leibstandarte Adolf Hitler. Die Feier war zu Ehren des Einmarsches der amerikanischen Truppen in die am 02. Mai 1945 von den Sowjets eroberte Stadt. Auf dem Gebäude wehen die Fahnen der USA und der Sowjetunion, Berlin 4. Juli 1945.
Foto: dpa © picture alliance
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Japanischer Angriff auf Pearl Harbor, 7. Dezember 1941.
© picture alliance / Photo12
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Beginn der alliierten Landung in der Normandie unter Oberbefehl von Gen. Montgomery: US-Truppen beim Verlassen eines Landungsbootes, im Hintergrund bereits angelandete Panzer und Militärfahrzeuge, 6. Juni 1944.
Foto: akg-images © picture alliance / akg-images
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US-Soldaten der 9. Armee rücken in Mönchengladbach – Rheydt ein, März 1945.
Foto: Archiv Gerstenberg © picture alliance/ullstein bild
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US-Soldaten hissen am 23. Februar die Flagge der USA auf dem Berg (Vulkan) Suribachi, dem höchsten Berg der Insel Iwojima, 23. Februar 1945.
Foto: Joe Rosenthal © ullstein bild – ullstein bild
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Titelseite: Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht im Hauptquartier von Gen. Eisenhower in Reims, unterzeichnet von Jodl, Friedeburg u. Oxenius, Reims 7. Mai 1945.
Foto: akg-images © picture alliance / akg-images
Bild 8
Atompilze über Hiroshima (links) und Nagasaki, 6. und 9. August 1945.
Fotos: George R. Caron/Charles Ley, United States Department of Energy, public domain
Bild 9
Frauen, die Trümmer in der Berliner Tauentzienstraße aufräumen, im Hintergrund die Ruinen der Kaiser-Wilhelm-Kirche. Die Schilder auf der linken Seite markieren die Grenze zwischen dem von Großbritannien besetzten Sektor und dem US-amerikanischen Sektor.
© picture alliance / AP Images
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Sowjetisches Ehrenmal im Treptower Park: Skulptur “Der Befreier” von Jewgeni Wutschetitsch – Statue eines Rotarmisten mit gerettetem Kind, gesenktem Schwert und zerbrochenem Hakenkreuz.
Foto: Jochen Blume © picture alliance/ullstein bild
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Angehörige der Roten Armee bei der Einweihungsfeier des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park in Berlin am 08. Mai 1949.
Foto: zbarchiv © dpa
Bild 3
Parade der sowjetischen Besatzungstruppen anlässlich des 31. Jahrestages der Gründung der Roten Armee. Kranzniederlegung am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Tiergarten: Abordnung der Sowjetarmee mit dem Kranz vor dem Ehrenmal, 23. Februar 1949.
Foto: Hilbich © picture-alliance / akg
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Sammelstelle toter Soldaten der Roten Armee während der Kämpfe am Ilmensee, Ushin (Sowjetunion), Februar 1943.
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
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Ein sowjetischer Soldat (aus Jakutien) mit Maschinenpistole in Berlin gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, Mai 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – Voller Ernst / Jewgeni Chaldej
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Ein asiatisch aussehender sowjetischer Soldat der Roten Armee mit umgehängter Maschinenpistole vor einem zerstörten historischen Gebäude in Wien, April 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej/Agentur Voller Ernst © dpa
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Ein Sowjetsoldat bei dem Versuch einer jungen Frau ihr Fahrrad wegzunehmen, Mai/Juni 1945.
© ullstein bild – ullstein bild
Bild 8
Sowjetische Soldaten mit Kameraausrüstung und Stadtplan lassen sich zur Erinnerung vor einem angeschossenen Ortsschild von Berlin fotografieren, Berlin 1945.
Foto: Berliner Verlag / Archiv © dpa
Bild 9
Der Aufstand am 17. Juni in Ost-Berlin am Potsdamer Platz: Demonstranten werfen mit Steinen nach sowjetischen Panzern, Berlin 1953.
Foto: akg-images © picture alliance / akg-images
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Erste Absperrungsmaßnahmen am Brandenburger Tor durch Stacheldrahtverhau, Berlin 14./15. August 1961.
Foto: akg-images / Gert Schuetz © picture-alliance / akg
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In den frühen Nachmittagsstunden des 14.August 1961 haben Ost-Berliner Behörden den Sektorenübergang am Brandenburger Tor abgeriegelt: Rechts Volksarmee mit Karabinern, in der Mitte Wasserwerfer und links Panzerspähwagen, Berlin 1961.
Foto: Konrad Giehr © picture alliance/dpa
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Enthusiastische Studenten tragen während der Weltfestspiele der Jugend und Studenten ein riesiges Portrait von Stalin, Prag 1947.
Foto: Iljic Holoubek © picture alliance/CTK
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Das Brandenburger Tor nach der Kapitulation, Berlin 1945.
© picture alliance / AP Images
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Auf dem Pariser Platz in Berlin vor den zerstörten Gebäuden am Brandenburger Tor spricht der russische Dichter Jewgeni Dolmatowski (Mitte, auf dem Panzer) zu Soldaten der Roten Armee, 2. Mai 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej/Agentur Voller Ernst © dpa
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Der Innenstadtbereich um die St. Pauls Kathedrale in London ist von deutschen Bomben zerstört. Links und rechts der Straße, die auf die Kirche zuläuft, liegen die Gebäude in Schutt und Asche. St. Pauls (im Hintergrund) ragt nahezu unversehrt mit seiner Kuppel in den Himmel.
© ullstein bild – Pressefoto Kindermann
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Blick über das zerstörte Zentrum Warschaus, 1945.
© ullstein bild – dpa
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Nach den Luftangriffen auf Coventry laufen Menschen durch die zerstörten Straßen, November 1940.
© ullstein bild – mirrorpix
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Ausgebrannte Straßenzüge in der weißrussischen Stadt Minsk, Juli 1941.
© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
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Elektrischer Stacheldrahtzaun mit Stoppschild im KZ Auschwitz, 22. Februar 1945.
Foto: Vladimir © picture alliance/Vladimir//dpa
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Parade der 3.Garde-Kavallerie vor dem sowjetischen Generalleutnant Oslikowsky und US-amerikanischen Militärs auf der Ehrentribüne am Ufer der Elbe, 25. April 1945. Bei Torgau an der Elbe treffen im April 1945 vorgeschobene Teile der 1.US-Armee und der 5. Sowjet-Garde-Armee zusammen.
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Konferenzen in Casablanca: Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt (links) und der britische Premierminister Winston Churchill vor der abschließenden Pressekonferenz. Im Hintergrund Mitglieder der militärischen Stäbe, von links: Henry H. Arnold, Ernest J. King, George C. Marshall, Sir Alfred Dudley Pound, Lord Alan Brooke (Viscount Alanbrooke), Sir Charles Portal, 24. Januar 1943.
Foto: Heinrich Hoffmann © picture alliance / ullstein bild
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Olympische Spiele 1936 in Berlin: “Großes Wecken” am Eröffnungstag mit einem Aufzug des Berliner Wachregiments durch das Brandenburger Tor auf den Pariser Platz, 1. August 1936.
Foto: Herbert Hoffmann © picture alliance / ullstein bild
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Die jubelnde Menge feiert den Victory in Europe Day in London, 8. Mai 1945.
© ullstein bild – TopFoto
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Demonstranten schwenken eine Karikatur von Hitler, um den Sieg zu feiern, Paris am 8. Mai 1945.
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Der amerikanische Schriftsteller William R. Wilson und sein Bruder, Corporal Jack Wilson, am Tag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, Frankreich, Verdun am 8. Mai 1945.
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Jubel nach dem Ende des Mai-Aufstands: Sowjetische Soldaten jubeln zusammen mit Prager Barrikadenkämpfern auf einem Panzer in den Straßen von Prag, 1945.
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Straßenszene in Paris: Verkauf einer Ausgabe der Zeitung “Libé Soir” mit Meldungen zur deutschen Kapitulation, 8. Mai 1945.
Foto: akg-images / Paul Almasy © picture alliance / akg
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Siegesparade der Sowjetarmee am 20. Mai 1945: Marschall Schukow (Mitte), Befehlshaber der sowjetischen Besatzungstruppen in Berlin, in Begleitung von Field Marshal Montgomery (2. v. r.), Befehlshaber der britischen Streitkräfte in Deutschland.
Foto: akg-images © picture alliance/akg-images
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Ein Handschlag als Symbol für das Versprechen zwischen zwei großen Verbündeten – der USA und Russland. Der amerikanische Sergeant Anthony Gioia und ein Soldat der Roten Armee geben sich die Hand, 1944.
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Deutsche Infanterie verfolgt sowjetische Streitkräfte durch ein brennendes Dorf, Russland Ende 1941.
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Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor wird ein Seemann mit einem kleinen Boot von der brennenden USS West Virginia geborgen, Hawaii 7. Dezember 1914.
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Die Konferenz von Jalta: Die Alliierten beraten über die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und Reparationsleistungen. Gruppenbild vorne v.l.n.r. Churchill, Roosevelt und Stalin vor dem Palast in Livadia, Februar 1945.
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Konferenz von Teheran: Zusammenkunft der “Großen Drei” der Anti-Hitler-Koalition und Einigung über die künftige Aufteilung Deutschlands und die neuen Grenzen Polens. V.l.n.r. Josef Stalin (Sowjetunion), Franklin D. Roosevelt (USA) und Winston Churchill (Grossbritannien), Ende 1943.
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Amerikanische und russische Soldaten treffen sich an der Elbbrücke in Torgau, April 1945.
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Bei Torgau an der Elbe treffen vorgeschobene Teile der 1. US- Armee und der 5. Sowjet-Garde-Armee zusammen. Rotarmisten und US-Soldaten begrüßen sich, 25. April 1945.
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Die “Großen Drei”: Winston Churchill (Großbritannien), Harry S. Truman (USA) und Josef Stalin (Sowjetunion) bei der Potsdamer Konferenz, 27. Juli 1945.
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Die Potsdamer Konferenz auf Schloß Cecilienhof bei Potsdam, Schluss-Sitzung am 2. August 1945: Harry S. Truman (USA), Winston Churchill (Großbritannien) sowie ihre Berater am Konferenztisch.
Foto: akg-images © picture alliance / akg-images
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Ein britischer Panzerspähwagen steht vor dem Brandenburger Tor in West-Berlin. Nachdem zuvor in der Nähe der Sektorengrenze in Ostberlin Panzer aufgefahren waren, verstärkten die britischen Truppen ihre Präsenz entlang der Grenze auf westberliner Seite, 30. Oktober 1961.
© ullstein bild – SPUTNIK
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Flüchtlingskolonnen im Sommer 1945 in Berlin.
Foto: akg-images © picture alliance / akg-images
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Über eine provisorisch errichtete Brücke sind Flüchtlinge aus Berlin mit Hand-, Kinderwagen und Koffern aus der Stadt heraus in Richtung Brandenburg unterwegs. Viele der Zivilist*innen tragen weiße Armbinden, Sommer 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej / Agentur Voller Ernst © dpa
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Mit letzter Kraft: Flüchtlinge schleppen ihre letzte Habe durch die Straßen Berlins, vermutlich Mai 1945.
Foto: Iwan Schagin © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Iwan Schagin
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In Prag internierte Sudetendeutsche, darunter ein Mann, dessen Mantel mit einem weißen Hakenkreuz bemalt wurde, warten auf einem öffentlichen Platz auf ihre Deportation nach Deutschland, 20. Juli 1945.
Foto: CTK © dpa – Bildarchiv
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Drei entlassene Kriegsgefangene in Berlin Spandau, Lerschpfad, Juli 1945.
© ullstein bild – ullstein bild
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Notunterkünfte für Ausgebombte, Flüchtlinge und Vertriebene, sog. Nissenhütten (Wellblechhütten mit halbrundem Dach) an der Halenseestraße in Berlin-Wilmersdorf, um 1950.
Foto: akg-images / Hans Schaller © picture alliance / akg
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Flüchtlinge auf dem Lehrter Bahnhof, Mai 1945.
Foto: akg-images © picture alliance / akg-images
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Berliner räumen unter der Aufsicht sowjetischer Soldaten die Charlottenburger Chaussee (heute: Straße des 17. Juni) von zerstörtem Kriegsgerät frei, Anfang Mai 1945.
Foto: Iwan Schagin © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Iwan Schagin
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Parade der Sowjetarmee zur Verabschiedung des Siegesbanners nach Moskau: Paradierende Truppen mit dem Siegesbanner vor dem Brandenburger Tor, Berlin 20. Mai 1945.
Foto: W. Kinelowski/akg-images © picture alliance/akg-image
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Verkehrspolizist, Berlin Juni 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – Voller Ernst / Chaldej
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Sowjetische Soldaten verteilen Suppe an die hungernde Bevölkerung, Berlin Mai 1945.
Foto: Berliner Verlag / Archiv © dpa
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Titelbild der Begleitbroschüre der “Großen Anti-Bolschewistischen Ausstellung” anlässlich der NSDAP-Kundgebung, Nürnberg 1937.
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Deutsche Soldaten nach der Kapitulation auf dem Weg in die sowjetische Kriegsgefangenschaft, Berlin Mai 1945.
Foto: akg-images © picture alliance / akg-images
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Begegnung von sowjetischen Soldaten mit russischen, aus deutschen Konzentrationslagern befreiten, Gefangenen, Mai 1945.
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Panorama des Alexanderplatzes kurz nach Beendigung der Kämpfe, Anfang Mai 1945.
© akg-images / Sputnik
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Luftaufnahme vom zerstörten Berlin im Mai 1945.
© ullstein bild – SPUTNIK
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Gedenktafel vor dem Rathaus Steglitz für einen von den Nationalsozialisten in den letzten Kriegstagen erhängten deutschen Soldaten, Berlin 1945.
© ullstein bild – ullstein bild
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Vier Generationen: Ob diese Frauen und Mädchen Flüchtlinge aus den Ostgebieten sind oder Berlinerinnen, die wieder in die Stadt zurückkehren, wissen wir nicht. Umherziehende wie sie waren jedoch im Frühling und Sommer 1945 allgegenwärtig, Berlin 1945.
Foto: Abraham Pisarek © Stiftung Stadtmuseum Berlin
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Sowjetische Panzer in einem Berliner Außenbezirk. An der Mauer von einem Geschäft steht eine Durchhalteparole “Berlin bleibt deutsch!”, Ende April 1945.
© ullstein bild – AKG
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Bewohnt trotz schwerer Schäden: Wohnungen in Berlin im August 1945.
© ullstein bild – Heritage Images / Keystone Archives
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Besiegte: Ein scheinbar endloser Zug von deutschen Kriegsgefangenen marschiert auf der Frankfurter Allee in Richtung Osten aus der Stadt hinaus – unter den Augen zahlreicher Zivilisten.
Foto: Timofej Melnik, Anfang Mai 1945. © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
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Überlebt: Deutsche Soldaten stehen vor dem Rathaus Spandau – ob sie Kriegsgefangene sind oder aus einem Lager befreit wurden, ist unbekannt.
Foto: Eva Kemlein, Mai 1945 © Stiftung Stadtmuseum Berlin
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Der sowjetische Stadtkommandant der Roten Armee der UdSSR in Berlin, Nikolai E. Bersarin, spricht mit Trümmerfrauen, die die Kriegsfolgen in Berlin beseitigen, 1945.
Foto: Jewgeni Chaldej / Agentur Voller Ernst © dpa
Podcast Cover „Nach Berlin“
Foto: © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Sammlung Timofej Podcast
Foto: © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Sammlung Timofej Podcast
Podcast Cover „Nach Berlin“
Foto: © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Sammlung Timofej Podcast
Foto: © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Sammlung Timofej Podcast
Podcast
Per Podcast unterwegs in Berlin: Begleiten Sie Expert*innen, Reporter*innen und prominente Persönlichkeiten zu den Schauplätzen der letzten Kriegstage: Jede der sieben Podcastfolgen widmet sich einem konkreten Thema, das sich am historischen Geschehen festmacht und uns bis in die Gegenwart beschäftigt – von Antifaschismus bis Zivilcourage. Mehr oder weniger prominente Plätze liefern reichlich Diskussionsstoff: der Reichstag natürlich oder der Alexanderplatz, aber auch das Olympiastadion oder die Gedenkstätte des Nationalsozialistischen Zwangslagers für Sinti und Roma in Marzahn. Weitere Orte sind ein Tunnel im Tiergarten und der Kurfürstendamm.
Während der digitalen Themenwoche gibt es täglich eine neue Folge, moderiert von Katja Weber von Radio Eins und Deutschlandfunk-Reporter Markus Dichmann – auf Apple Podcasts, Spotify und auf dieser Seite.
# 1 – Brandenburger Tor & Reichstag
Ende April 1945 rollten die Panzer der Roten Armee von beiden Seiten auf das Brandenburger Tor zu. Am späten Abend des 30. April wehte auf dem zerbombten Reichstag eine Rote Fahne – nur Stunden nach Hitlers Selbstmord im Führerbunker. Bis heute stehen das Brandenburger Tor und der Reichstag symbolisch für die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. Hier startet „Nach Berlin“ – der Podcast. Am Brandenburger Tor trifft Reporter Markus Dichmann den Historiker Bjoern Weigel, der die virtuelle Ausstellung „Nach Berlin“ der Kulturprojekte Berlin betreut. In einem Spaziergang zum Reichstag sprechen sie über die letzten Kriegstage, wie an solchen Orten Geschichte geschrieben und Symbole geschaffen werden, und wie eigentlich das berühmte Foto von den sowjetischen Soldaten entstanden ist, die die Rote Fahne auf dem Reichstag hissten. Außerdem hören wir von Kultursenator Klaus Lederer, was der 8. Mai für ihn bedeutet.
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Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma
Das nationale Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas erinnert an bis zu eine halbe Million Menschen, die in den Jahren 1939 bis 1945 als „Zigeuner” umgebracht wurden.
Denkmal für die ermordeten Sinti und Romas Europas. Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Auch im Deutschland der Nachkriegszeit erfuhren Sinti und Roma erhebliche rechtliche und gesellschaftliche Ausgrenzung. Eine Entschädigung als Überlebende einer Verfolgung aus rassistischen Gründen wurde ihnen lange verwehrt. Für die Betroffenen bedeutete es die Verweigerung finanzieller Unterstützung und erforderte einen jahrzehntelangen, schmerzlichen und zermürbenden Kampf um Anerkennung. Grundlage der Ablehnungen waren oftmals personenbezogene Akten aus der Zeit des Dritten Reiches. Nach einem jahrelangen bürgerrechtlichen Kampf engagierter Sinti und Roma erfolgte 1982 die offizielle Anerkennung der Verbrechen als Völkermord. Im Zuge der Debatten um ein nationales Denkmal für die ermordeten Juden Europas in den 1990er-Jahren wurde auch ein Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma gefordert – vor allem von Angehörigen der Minderheit selbst. 1992 äußerte die Bundesregierung erstmals die Absicht, einen solchen Gedenkort zu schaffen. Der Berliner Senat schlug 1994 den Standort am Rande des Tiergartens neben dem Reichstag vor. Am 20. Dezember 2007 sprach sich der Bundesrat für die Umsetzung des Denkmals nach dem Entwurf des israelischen Künstlers Dani Karavan aus. 2008 wurde mit seinem Bau begonnen. Eröffnet wurde das Denkmal schließlich am 24. Oktober 2012.
Es besteht aus einer Wasserfläche mit einer Blume, die täglich erneuert wird. Den Rand des Beckens fasst das Gedicht „Auschwitz” des italienischen Rom Santino Spinelli ein. Auf Steinplatten rings um das Wasser sind Namen von Orten des Völkermordes zu lesen. Das Denkmal wird durch einen Geigenton, dem Stück „Mare Manuschenge” von Romeo Franz, umrahmt und durch eine Chronologie ergänzt. Das Denkmal wird von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut.
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Antiziganismus bekämpfen!
Roma lebten bereits vor über tausend Jahren in Europa. Ihre je nach Herkunftsstaaten und Regionen in vielen Varianten gesprochene Sprache heißt Romanès. Als Sinti bezeichnen sich die seit über 600 Jahren im deutschen Sprachraum Beheimateten, als Roma viele im Osten Europas. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Selbstbezeichnungen wie Manouche, Lalleri, Ashkali oder Lovari. Zusammen bilden sie die größte europäische Minderheit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Frieda_Zeller-Plinzner#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-R34946,_Berlin-Wei%C3%9Fensee,_Lager_von_Sinti_und_Roma.jpg
Ihre Lebenswelten sind sehr vielfältig. Seit Generationen Bürger ihrer jeweiligen Heimatländer, sprechen sie die dortigen Nationalsprachen und gehören meist den Mehrheitsreligionen an. In ihrer Jahrhunderte währenden Geschichte beeinflussten die Roma und Sinti ihrerseits Kultur und Wirtschaft. Landerwerb und Zugang zu vielen Berufszweigen blieben ihnen lange verwehrt. Viele Sinti und Roma reagierten darauf indem sie in Tätigkeitsfelder wie Handel oder Unterhaltung auswichen. Sie besetzten diese wirtschaftlichen Nischen teils mit großem Erfolg. Als deutsche Staatsbürger kämpften Sinti in beiden Weltkriegen für Deutschland. Im Ersten Weltkrieg erhielten sie teils hohe Auszeichnungen, im Zweiten Weltkrieg wurden sie schließlich aus „rassepolitischen Gründen” aus der Wehrmacht entlassen.
Nach dem von den Nationalsozialisten und ihren Verbündeten verübten Völkermord erleben Sinti und Roma in ganz Europa bis heute Vorurteile, Ausgrenzung und Benachteiligung. Der Rassismus gegen Sinti und Roma wird zumeist unter dem Begriff Antiziganismus gefasst. Er greift auf Jahrhunderte alte Denkmuster zurück, die europaweit verbreitet sind und sich stetig verändern. Diejenigen, die diese eigene Form des Rassismus trifft, haben selten Möglichkeiten, diese Feindbilder aufzubrechen. Die Folgen für den einzelnen sind erheblich. Viele Sinti und Roma verschweigen aus diesem Grund ihre Herkunft. Der Rassismus gegen Sinti und Roma ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Ein Bewusstsein hierüber ist kaum vorhanden. In den vergangenen Jahren hat er auf dem gesamten Kontinent eine neue Dimension erreicht – bis hin zu gewalttätigen Übergriffen und rassistischem Mord. Auch in Deutschland sind die seit vielen Generationen hier beheimateten Sinti, die in den letzten Jahrzehnten zugewanderten und die derzeit asylsuchenden Roma Rassismus in allen Lebensbereichen ausgesetzt. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe roma- und sintifeindliches Denken und Handeln zu benennen, zu verurteilen und die Betroffenen zu schützen und zu stärken. Aufgrund der historischen Verantwortung Deutschlands muss der Kampf gegen Antiziganismus Richtschnur politischen und gesellschaftlichen Handelns sein!
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Das Holocaust-Mahnmal
Seit Mai 2005 prägt das Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden Europas – neben dem Reichstagsgebäude und dem Brandenburger Tor – das Zentrum der deutschen Hauptstadt. Sein etwa 19.000 Quadratmeter großes Gelände gehörte bis 1945 zu den Ministergärten. Die Gärten wurden mit dem Bau der Mauer durch die DDR im Jahre 1961 Teil des „Todesstreifens”.
Das Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.
Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Das Gedenkstättenportal ist Teil der Ausstellung im Ort der Information unter dem Stelenfeld. Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Den Anstoß für dieses Denkmal gab 1988 eine Gruppe von engagierten Bürgern um den Historiker Eberhard Jäckel und die Publizistin Lea Rosh im damaligen West-Berlin. Noch während heftiger Diskussionen um das Ob, das Wie und die Widmung eines solchen nationalen Denkmals fanden in den 1990er-Jahren zwei Architekturwettbewerbe statt. Am 25. Juni 1999 beschloss der Deutsche Bundestag in einer seiner letzten Sitzungen in der alten Bundeshauptstadt Bonn – nach lebhafter Debatte, mehrheitlich und fraktionsübergreifend – die Errichtung des sogenannten Holocaust-Mahnmals nach dem Entwurf des New Yorker Architekten Peter Eisenman, ergänzt durch einen Ort der Information, und die Gründung einer zuständigen Bundesstiftung. Mit dem Denkmal will die Bundesrepublik Deutschland „die ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an ein unvorstellbares Geschehen der deutschen Geschichte wach halten und alle künftigen Generationen mahnen, die Menschenrechte nie wieder anzutasten, stets den demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen, die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz zu wahren und jeder Diktatur und Gewaltherrschaft zu widerstehen.”
Am 10. Mai 2005 konnte Deutschlands zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust der Öffentlichkeit übergeben werden. Seitdem ist das Stelenfeld eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten und der Ort der Information eine der meistbesuchten Ausstellungen Berlins. Sie werden von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut.
Raum der Dimensionen. Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Bilder vom Holocaust aus Berlin
Berlin war das internationale Schaufenster des „Dritten Reichs“. In der Stadt hatten alle wichtigen Nachrichten- und Bildagenturen ihren Sitz. Aus keiner anderen Stadt – mit Ausnahme vielleicht von Nürnberg oder München – sind ähnlich viele Fotos in internationalen Zeitungen überliefert, wie aus der Reichshauptstadt.
Die Nationalsozialisten – allen voran der Berliner Gauleiter und neu ernannte Reichminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels – beschimpften zwar die „Lügenpresse“. Gleichzeitig versuchten sie die internationalen Zeitungen aber zu instrumentalisieren und inszenierten den so genannten Boykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien am 1. April 1933 in Berlin für die Weltöffentlichkeit. In der Leipziger Straße und am Kurfürstendamm setzten die SA-Männer ein Lächeln auf und klebten deutsch-englische Poster!
Als das wenig fruchtete, verbot Goebbels das Fotografieren von Maßnahmen gegen Juden zwar nicht offiziell, doch sehr effektiv. Selbst Botschaftsangehörigen wurden die Kameras aus der Hand gerissen, wenn sie versuchten, Gewalt gegen Jüdinnen und Juden zu fotografieren. Zu groß war die Angst, dass Bilder sich allzu rasch über die Nachrichtendienste und Bildagenturen der Welt verbreiten würden. Von den Ausschreitungen des Sommers 1935 gibt es fast keine bildliche Überlieferung. Die zwei Dutzend Fotos vom Pogrom im November 1938 blenden jegliche Gewalt aus, zeigen nur zerstörte Schaufenster, aber nicht die SA-Männer mit Eisenstangen und nicht die Erschlagenen und zu Tode gehetzten Jüdinnen und Juden. Zwar sind Fotos der Deportationen aus einigen kleineren Städten bekannt. Doch gibt es kein einziges vergleichbares Foto aus Berlin, obwohl in 184 Transporten über 50.000 Menschen vor aller Augen verschleppt wurden!
Autor*in: Christoph Kreutzmüller / Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Im Zusammenhang mit der Diskussion um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas begannen 1992 erste Kampagnen zugunsten eines nationalen Gedenkorts für die verfolgten Homosexuellen.
Am 3. Mai 2001 starteten die Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken” sowie der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) einen gemeinsamen Aufruf. Am 12. Dezember 2003 beschloss der Deutsche Bundestag den Bau des Denkmals. Mit diesem Gedenkort, so das Parlament, „wollen wir:
– die verfolgten und ermordeten Opfer ehren,
– die Erinnerung an das Unrecht wachhalten,
– ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.”
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen.
Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Den künstlerischen Wettbewerb gewannen Michael Elmgreen (Dänemark) und Ingar Dragset (Norwegen). Das Denkmal wurde am 27. Mai 2008 der Öffentlichkeit übergeben. Es besteht aus einer Betonstele, in der ein Film mit einer gleichgeschlechtlichen Kussszene läuft. Der seit 2018 gezeigte Film stammt von der israelischen Künstlerin Yael Bartana. Es wird von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut.
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Verfolgung und fehlendes Gedenken
1935 ordneten die Nationalsozialisten die umfassende Kriminalisierung männlicher Homosexualität an. Dazu wurden die schon seit 1872 im § 175 des Strafgesetzbuches vorgesehenen Bestimmungen verschärft und ausgeweitet. Bis 1945 gab es über 50.000 Verurteilungen.
Mehrere tausend Schwule wurden in Konzentrationslager verschleppt. Dort mussten sie zur Kennzeichnung einen rosafarbenen Winkel an der Häftlingskleidung tragen. Ein großer Teil von ihnen starb aufgrund von Hunger oder Krankheiten, durch Misshandlungen oder gezielte Mordaktionen. Die Nationalsozialisten zerschlugen die Lebenswelten von Schwulen und Lesben.
Lange Zeit blieben die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus aus der Gedenkkultur beider deutscher Nachkriegsstaaten ausgeschlossen. Hier wie dort wurden Schwule noch jahrzehntelang strafrechtlich verfolgt. In der Bundesrepublik blieb der § 175 in seiner nationalsozialistischen Fassung noch bis 1969 in Kraft. Erst am 17. Mai 2002 beschloss der Deutsche Bundestag die gesetzliche Rehabilitierung der homosexuellen NS-Opfer. In vielen Teilen der Welt ist homosexuelle Liebe noch immer strafbar.
Gedenktafel für die homosexuellen Opfer
des Nationalsozialismus am
Bahnhofsgebäude, Berlin 1998.
© ullstein bild – Straub
© ullstein bild – Straub
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Massenerschießungen
Mit dem Angriff der Wehrmacht auf das Nachbarland Polen am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Bereits in den ersten Wochen des Feldzuges erschossen Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Wehrmachts- und andere Einheiten Zehntausende Geiseln, Angehörige der polnischen Intelligenz und Pflegebedürftige, Juden und gefangene Soldaten.
Am 22. Juni 1941 überfielen die Wehrmacht und ihre Verbündeten in einem erklärten Vernichtungskrieg die Sowjetunion. Vom ersten Tag an folgten der kämpfenden Truppe Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiensts (SD) der SS. Unterstützt durch deutsche Polizei und Waffen-SS sowie einheimische Helfer erschossen diese zunächst Tausende kommunistische Funktionsträger und jüdische Männer. Politkommissare und jüdische Soldaten unter den zu Hunderttausenden gefangenen Rotarmisten wurden „ausgesondert” und ermordet.
Ab Ende Juli 1941 weiteten die Besatzer diese Verbrechen auf jüdische Frauen und Kinder aus. Bis Ende 1944 starben insgesamt über zwei Millionen jüdische Kinder, Frauen und Männer auf sowjetischem Boden bei Erschießungen oder in sogenannten Gaswagen – mehr als ein Drittel aller Holocaustopfer. Auf gleiche Weise verloren auch etwa 30.000 Roma und 17.000 Patienten psychiatrischer Anstalten ihr Leben. Im besetzten Serbien erschossen Wehrmachtseinheiten im Herbst 1941 binnen weniger Wochen nahezu alle jüdischen Männer und Tausende männliche Roma im Rahmen sogenannter Vergeltungsmaßnahmen gegen vermeintliche oder tatsächliche Widerstandsakte.
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Mord durch Giftgas
Am 15. Oktober 1939 wurden erstmals Patienten im Fort VII in Posen im eroberten Polen durch Giftgas ermordet. Von Januar 1940 bis August 1941 töteten Ärzte über 70.000 Menschen in sechs eigens dafür eingerichteten Gasmordanstalten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches (Aktion „T4″), unter ihnen in einer „Sonderaktion” gezielt Juden. Aufgrund öffentlicher Proteste brach das nationalsozialistische Regime das „Euthanasie”-Programm mit Gas ab und verlegte das „geschulte” Personal in das besetzte Polen.
Im November 1941 richtete das Sonderkommando Lange in der Nähe des Ortes Kulmhof (Chełmno) eine Mordstätte ein und tötete zwischen Dezember 1941 und Ende 1944 mindestens 152.000 Juden – darunter 2.600 aus Berlin – sowie 4.300 Sinti und Roma in Gaswagen – umgebauten Lastkraftwagen, in deren luftdichten Aufbauten Menschen durch eingeleitete Abgase vergiftet wurden. Unter dem Decknamen „Aktion Reinhardt” erbaute die SS ab Anfang 1942 drei Vernichtungsstätten in abgelegenen Gebieten mit Gleisanschluss: Belzec, Sobibor und Treblinka. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurden die Verschleppten in Gaskammern mit Abgasen aus erbeuteten sowjetischen Panzermotoren vergiftet. Bis Mitte 1943 starben hier zwischen 1,6 und 1,9 Millionen Juden vor allem aus Polen, aber auch anderen europäischen Ländern unter deutscher Besatzung, wie auch Zehntausende Sinti und Roma.
Ab Oktober 1941 errichtete die SS das Vernichtungslager Auschwitz II-Birkenau. Nach der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 begannen ab Frühjahr 1942 die Transporte aus ganz Europa dorthin. 1942/43 baute die SS weitere Gaskammern. Zugleich dehnte die deutsche Führung ihr Deportations- und Mordprogramm auf die Juden aus dem Westen, aus Südeuropa und ab Frühjahr 1944 aus Ungarn aus. In Auschwitz wurden bis 1945 etwa 960.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer, bis zu 75.000 polnische politische Häftlinge, 21.000 Sinti und Roma, 15.000 sowjetische Kriegsgefangene und mindestens 10.000 Häftlinge anderer Nationalitäten ermordet. Über die Hälfte der sechs Millionen ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer wurden durch Giftgas getötet.
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Die Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der deutschen Juden
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Juden in Deutschland. Antisemitismus war erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates. Juden wurden zu Fremden gemacht, die Verfolgung schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der nationalsozialistischen Presse ineinander.
Die rechtliche Gleichstellung der Juden wurde schrittweise aufgehoben. Die sogenannte „Kristallnacht” 1938 markierte einen Scheitelpunkt: Im gesamten Deutschen Reich wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November und im Laufe des folgenden Tages Synagogen zerstört, Altersheime, Waisen- und Krankenhäuser in Brand gesetzt sowie Geschäfte jüdischer Kaufleute geplündert. Nationalsozialisten und ihre Sympathisanten überfielen jüdische Familien, verwüsteten ihre Wohnungen und ermordeten mindestens 100 Menschen. Widerstand und Proteste gab es kaum.
Bis zu 30.000 Juden hielt man über mehrere Wochen in Konzentrationslagern wie Sachsenhausen fest. Ihre Auswanderung sollte erzwungen werden. Zehntausende deutscher und österreichischer Juden entschlossen sich zur Flucht. Nach der Eroberung Polens im September 1939 und den Feldzügen im Norden wie im Westen 1940 verschärfte das Regime seine Politik gegen Juden auch im Deutschen Reich. 1940 fanden die ersten Deportationen aus Deutschland statt.
Nach dem Ausreiseverbot für deutsche Juden im Herbst 1941 begannen die systematischen Verschleppungen in den Osten – zunächst in Ghettos, ab Frühjahr 1942 in die Gaskammern von Auschwitz und andere Vernichtungsstätten. Selbst als der Krieg an seinen Ausgangspunkt, nach Deutschland, zurückkehrte und deutsche Städte in Schutt und Asche fielen, hatte die Vernichtung der Juden weiterhin Vorrang. Der letzte Transport kam am 15. April 1945 im Lager Theresienstadt an. Drei Wochen später kapitulierte die deutsche Wehrmacht. Von den 500.000 jüdischen Kindern, Frauen und Männern, die vor 1933 in Deutschland gelebt hatten, fielen bis zu 165.000 dem Holocaust zum Opfer, darunter etwa 55.000 aus Berlin.
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Erinnern und Gedenken
Nur wenige Täter und Mittäter der nationalsozialistischen „Euthanasie”-Morde wurden zur Rechenschaft gezogen. Viele der an den Verbrechen beteiligten Ärzte waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiterhin in ihrem Beruf tätig. Den Opfern verweigerten beide deutschen Staaten ihre Anerkennung. Erst ab den 1980er-Jahren entstanden in den früheren Tötungsanstalten und an anderen Tatorten Gedenkstätten und Erinnerungszeichen.
Freiluftausstellung zum Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie”-Morde. Foto: Marko Priske
© Stiftung Denkmal
© Stiftung Denkmal
Die Freiluftausstellung informiert über die Geschichte der nationalsozialistischen „Euthanasie”-Morde mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein. Foto: Marko Priske © Stiftung Denkmal
Am Ort der Planungszentrale in der Tiergartenstraße 4 gibt es seit 1989 eine Gedenkplatte. 2007 gründete sich ein Runder Tisch „Überlegungen zur Umgestaltung des ›T4‹-Gedenkorts”. Auf seine Initiative wurde 2008 das temporäre Denkmal der grauen Busse von Horst Hoheisel und Andreas Knitz vor der Philharmonie aufgestellt. Im November 2011 beschloss der Deutsche Bundestag, einen Gedenkort für die Opfer der NS-„Euthanasie”-Morde am historischen Ort der Planungszentrale zu errichten. Der Siegerentwurf stammt von der Architektin Ursula Wilms sowie dem Künstler Nikolaus Koliusis und dem Landschaftsarchitekten Heinz W. Hallmann. Der Erinnerungsort wurde am 2. September 2014 der Öffentlichkeit übergeben. Er wird von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut.
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
„Aktion T4“ und „Euthanasie“
Nach dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 und der Eroberung des Nachbarlandes erließ Adolf Hitler im Oktober eine Anordnung zur Ausrottung „lebensunwerten Lebens” im Deutschen Reich. Sie wurde auf den Tag des Kriegsbeginns zurückdatiert. Im Schatten des Krieges nach außen erfolgte der Krieg nach innen – gegen Schwache und vermeintliche Feinde der „Volksgemeinschaft”. Die Ermordung zehntausender Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten sowie „rassisch” und sozial unerwünschter Menschen war das erste systematische Massenverbrechen des nationalsozialistischen Regimes. Sie gilt als Vorstufe zur Vernichtung der europäischen Juden.
Blick in ein Krankenzimmer der Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar in Hessen. Im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms in den ersten Jahren des 2. Weltkriegs wurden hier zahlreiche Menschen für Versuche mißbraucht und in Gaskammern ermordet.
Foto: dpa © dpa – Bildarchiv
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Das „Euthanasie”-Mordprogramm wurde von einer Dienststelle der „Kanzlei des Führers” mit mehr als 60 Mitarbeitern entwickelt. Seine Planungs- und Verwaltungszentrale befand sich zunächst im Columbus-Haus unmittelbar am Potsdamer Platz, ab April 1940 dann in der Tiergartenstraße 4, wovon sich der Tarnname „Aktion T 4″ ableitete. Hier organisierten Ärzte und Verwaltungspersonal die Erfassung und Selektion von Patienten sowie deren Abtransport in sechs eigens dafür eingerichtete Gasmordanstalten im Deutschen Reich. Bis August 1941 töteten Ärzte über 70.000 Menschen, bis 1945 wurden weitere 90.000 durch Nahrungsentzug, Vernachlässigung und Medikamente umgebracht. Die Gesamtzahl der Opfer im deutsch besetzten Europa liegt bei etwa 300.000.
Auf dem Baugrund der Villa Tiergartenstraße 4 und der Nachbarhäuser steht heute die 1963 eingeweihte Philharmonie, erbaut von Hans Scharoun (1893–1972).
Autor*in: Uwe Neumärker / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
KZ Sachsenhausen
Im August 1936 wurde das Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen gebaut. Die Anlage orientierte sich an einem „Idealplan“: Dreiecksgrundriss, symmetrischer Aufbau, fächerförmig um den Appellplatz gruppierte Baracken und rundum verteilte Sonderbereiche waren unmittelbarer Ausdruck absoluter Kontrolle. Aufgrund der Nähe zu Berlin und seiner Funktion als Modell- und Schulungslager der SS nahm Sachsenhausen eine Sonderstellung ein. Im April 1938 wurde sogar die „Inspektion der Konzentrationslager“, die Verwaltungszentrale für alle KZ im deutschen Machtbereich, nach Oranienburg verlegt.
Gefangene des KZ Sachsenhausen treten zum Appell an. Die Täter halten die Szene fotografisch fest, um 1942.
© ullstein bild – adoc-photos
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Sowjetische Kriegsgefangene in einem nur für sie bestimmten Sonderlager des KZ Sachsenhausen, um 1943.
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Die ersten Inhaftierten waren politische Gegner des NS-Regimes. Später folgten Homosexuelle, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas und Kriminelle. Im Zuge der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ des Reichskriminalpolizeiamts vom März und Juni 1938 lieferte die SS rund 6.000 als „asozial“ eingestufte Menschen in das Lager ein. Nach den Novemberpogromen 1938 wurden rund 6.000 Juden nach Sachsenhausen verschleppt. Ab Frühjahr 1939 und mit Beginn des Zweiten Weltkriegs füllte sich das Lager zunehmend mit Häftlingen aus den besetzten Ländern Europas.
Die Lebensbedingungen verschlechterten sich derweil rapide. Tausende starben an Unterernährung, Krankheit, Erschöpfung und Misshandlungen oder wurden von der SS ermordet. Ab Oktober 1941 begannen Massenerschießungen von über 12.000 sowjetischen Kriegsgefangenen in einer eigens dafür errichteten Genickschussanlage.
Der „Vernichtung durch Arbeit“ fielen unzählige Häftlinge zum Opfer. Zehntausende wurden zur Zwangsarbeit in den SS-eigenen Betrieben sowie in den über 100 Außenlagern des KZ herangezogen. Mit der stärkeren Einbeziehung in die Kriegsproduktion ab 1942 profitierten große Rüstungsbetriebe von der Häftlingsarbeit.
Als sich die Rote Armee im Vormarsch auf das Lager befand, wurden am 20. April 1945 über 33.000 Häftlinge in Richtung Ostsee getrieben. Dieser „Todesmarsch“ forderte rund 6.000 Menschenleben. Die Überlebenden trafen Anfang Mai bei Schwerin auf amerikanische und sowjetische Truppen. Etwa 3.000 im Lager zurückgebliebene kranke Häftlinge wurden am 22. April 1945 von polnischen und sowjetischen Einheiten befreit. Zwischen 1936 und 1945 waren mehr als 200.000 Menschen aus über 40 Nationen im KZ Sachsenhausen inhaftiert, von denen mehrere Zehntausend die Lagerhaft nicht überlebten.
Häftlinge des KZ Sachsenhausen bei der Zwangsarbeit im Klinkerwerk, 1939.
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Todesmärsche und Befreiung der Lager
Im Juli 1944 erreichte die Rote Armee mit Lublin-Majdanek das erste nationalsozialistische Lager auf polnischem Boden. Leichenberge und Gaskammern waren Zeugnisse des Massenmordes, über die die internationale Presse breit berichtete. Die Gesamtzahl der getöteten und umgekommenen Opfer von Majdanek liegt bei ungefähr 78.000 – darunter waren 58.000 bis 60.000 Juden, aber auch nichtjüdische polnische Zivilisten, sowjetische Kriegsgefangene, Internierte verschiedener Nationalitäten sowie Sinti und Roma.
Überall im Osten begann die SS ab Sommer 1944, frontnahe Lager zu räumen und Zehntausende Häftlinge in andere Lager zu verlegen. Die Transporte erfolgten in überfüllten Viehwaggons, offenen Güterwagen oder zu Fuß. Sie dauerten teilweise mehrere Wochen. Mindestens 140.000 Menschen kamen bis Kriegsende aufgrund von Kälte, Hunger oder Entkräftung während dieser Todesmärsche um. Häftlinge, die nicht mehr marschfähig waren oder flüchteten, erschoss die SS. Einzelne Todesmärsche endeten in Massakern wie im ostpreußischen Palmnicken oder im brandenburgischen Jamlitz. In anderen Lagern wie in Dachau, Sachsenhausen oder Sonnenburg erschossen SS-Angehörige vor ihrem Abzug Tausende Häftlinge.
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee Auschwitz. In immer kürzeren Abständen erreichten die Alliierten die geräumten Lager: Überall – in Bergen-Belsen, Ravensbrück oder Buchenwald – boten sich ihnen schockierende Bilder von „lebenden Leichnamen”. Epidemien breiteten sich aus. Viele Häftlinge starben während der ersten Tage und Wochen in Freiheit an Krankheiten und Unterernährung oder weil sie nach Jahren des Hungerns die plötzliche Nahrungsaufnahme nicht vertrugen. Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8./9. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst endete der Krieg. Für die Überlebenden endete das Leiden mit ihrer Befreiung nicht – die Traumata aufgrund jahrelanger Angst und Gefangenschaft, Zwangsarbeit und des Verlustes ihrer Angehörigen begleiteten sie fortan.
Überlebende verlassen das KZ Auschwitz. Das Foto wurde von einem sowjetischen Fotografen im Rahmen eines Films über die Befreiung des Lagers aufgenommen. Februar 1945.
© picture alliance/Mary Evans Picture Library
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Text: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Machtübernahme – Ende der Demokratie
Lange hatte Reichspräsident Hindenburg gezögert, bevor er Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte. Von einer „Machtergreifung“, wie es die nationalsozialistische Propaganda darstellte, konnte keine Rede sein. Wäre Deutschland eine funktionierende Demokratie gewesen, in der die stärkste Kraft mit der Regierungsbildung beauftragt wird und eine parlamentarische Mehrheit braucht, hätte Hitler schon im Sommer 1932 Reichskanzler sein können – oder er hätte es nie geschafft, solange sich niemand bereit fand, mit der NSDAP zu koalieren.
Nach seiner Vereidigung zum Reichskanzler verlässt Adolf Hitler die Reichskanzlei in der Wilhelmstraße, 30. Januar 1933.
Foto: Alfred Gross © ullstein bild – Alfred Gross
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Hitler grüßt seine Anhänger am Wilhelmplatz. Der Fackelzug von SA-Männern durch das Brandenburger Tor wurde dank des bereits 1932 verstaatlichten Rundfunks zum Großereignis stilisiert und bei späteren Jahrestagen nachgestellt.
© ullstein bild – ullstein bild
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Hitler brauchte die Konservativen als Partner und diese wiederum brauchten Hitler. Denn während sie selbst die letzten zwei Regierungen gestellt und kläglich versagt hatten, vereinte Hitler eine Massenbewegung hinter sich. Doch ohne die Konservativen hätte er noch so viele Wahlerfolge erringen können: Hindenburg hätte ihn nie zum Kanzler gemacht. Also akzeptierte er die konservative Übermacht im Kabinett. Die NSDAP stellte nur einen einzigen Fachminister sowie einen ohne Geschäftsbereich. Und während die Konservativen in maßloser Selbstüberschätzung glaubten, nach zwei Monaten habe man „Hitler in die Ecke gedrückt, daß er quietscht“, wie es Vizekanzler Franz von Papen ausdrückte, brauchte Hitler nicht einmal drei, um sie zu machtlosen Marionetten zu machen.
Das allein wäre nun nicht das Ende der Demokratie gewesen. Doch die Lethargie der ehemals staatstragenden Parteien, die unfassbare Brutalität, mit der das neue Regime gegen alles und jeden vorging, der nicht auf seiner Seite stand oder stehen konnte, der Ansturm der Opportunisten in die NSDAP, die aufgestaute Gewalt der SA, die Errichtung erster Konzentrationslager – all dies machte planvolles Handeln gegen das NS-Regime schwierig. Man kann nicht sagen, wohin die erste deutsche Demokratie ohne die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gesteuert wäre. Eine Chance hat sie jedoch immer gehabt und einzig der demokratische Parlamentarismus – so fadenscheinig er auch geworden war – hätte das Ermächtigungsgesetz, das am 24. März 1933 die eigentliche Diktatur begründete, verhindern können.
Autor*in: Bjoern Weigel
Kriegsopfer der Sowjetunion
Im „Großen Vaterländischen Krieg“, wie der Zweite Weltkrieg auch heute noch in den postsowjetischen Ländern genannt wird, hatte angeblich jede Familie der Sowjetunion ein Opfer zu beklagen. Die Kämpfe zwischen der Roten Armee und der Wehrmacht tobten zwischen 1941 und 1945 in Teilen Mitteleuropas und in ganz Osteuropa – vom Kaukasus bis nach Berlin. 27 Millionen – so lautet die immense Gesamtzahl der Opfer, welche die Sowjetunion in diesem Krieg zu beklagen hatte. Die Mehrzahl davon, rund 15 Millionen, fielen aber nicht den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Armeen zum Opfer, sondern waren Zivilist*innen. Das nationalsozialistische Deutschland führte in der Sowjetunion einen brutalen Vernichtungskrieg, bei dem es um die „Ausrottung der slawischen Bevölkerung“ ging.
Sowjetisches Kriegsgrab, Nordwestfront, 1942.
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Brennende Holzhäuser in einem Dorf, Weißrussland, 1944.
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
In Belarus wurden im Rahmen der nationalsozialistischen Politik der „verbrannten Erde“ rund 600 Dörfer mit ihren Bewohner*innen vernichtet. Die Stadt Leningrad wurde fast zweieinhalb Jahre von der deutschen Wehrmacht belagert und mit schweren Geschützen beschossen. Sie war weitgehend abgeschnitten und konnte nur über den zugefrorenen Ladogasee versorgt werden. Dabei verhungerten rund eine Million Menschen. Aber auch der Holocaust, die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, begann unter dem Deckmantel des deutschen Vernichtungskriegs im Osten – unter anderem mit Massenerschießungen in der Ukraine.
Insgesamt wurden durch die Wehrmacht, die SA und SS auf dem Gebiet der Sowjetunion rund 2,4 Millionen Jüdinnen und Juden ermordet. In den Kampfhandlungen zwischen 1941 und 1945, die zur Niederschlagung des nationalsozialistischen Regimes notwendig waren, fanden rund 11,5 Millionen Rotarmist*innen den Tod. Darunter befanden sich rund drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, die entweder sofort bei Gefangennahme erschossen wurden oder unter menschenunwürdigen Bedingungen in deutschen Kriegsgefangenenlagern starben. Der Krieg gegen die Sowjetunion war kein gewöhnlicher Krieg. Er war gekennzeichnet von Kriegsverbrechen und Massenmorden. Als Vernichtungskrieg geplant, zielte er vor allem auf die Zivilbevölkerung, darunter viele Frauen und Kinder.
Transport eines Toten über den Prospekt, Leningrad, 1941/43.
Foto: Nikolaj Chandogin © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Nikolaj Chandogin
Foto: Nikolaj Chandogin © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Nikolaj Chandogin
Autor*in: Christoph Meißner / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Die Rote Armee als Vielvölkerarmee
Bereits einen Tag nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde dort der „Große Vaterländische Krieg“ ausgerufen. In diesem kämpften neben den Soldat*innen der Roten Armee auch viele Freiwillige und Reservisten. Insgesamt, so heißt es in den Quellen, kämpften 34,5 Millionen Menschen aus 171 Völkern der Sowjetunion für die Verteidigung des Heimatlandes und die Befreiung Europas vom Regime des nationalsozialistischen Deutschlands. Darunter waren rund sechzig Prozent Soldat*innen der Russischen Sowjetrepublik. Bei ihrer Gründung 1922 bestand die Sowjetunion aus sechs Unionsrepubliken. Durch Umstrukturierungen und Besetzungen umfasste sie bei Kriegsbeginn 1941 sechzehn Sowjetrepubliken, in denen es mehrere hundert Völker und Ethnien gab.
Belarussische Partisanen im Gebiet Moser-Kalinkowitschi, November 1943. Foto: Timofej Melnik @ Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Partisanengruppe „Für das Vaterland”, Ukraine, 1943. Foto: Iwan Schagin © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Iwan Schagin
Gerade in den ersten Monaten des Krieges meldeten sich viele Freiwillige. So ist belegt, dass sich in der Ukraine über 2,5 Millionen Menschen zur Verteidigung der Sowjetunion meldeten. In vielen Sowjetrepubliken, etwa in Belarus, ging darüber hinaus die Bevölkerung im Laufe des Krieges zum Partisanenkampf über: Paramilitärische Einheiten versteckten sich in den Wäldern und kämpften als Milizen gegen die deutschen Soldaten.
Es kam allerdings auch zur Zusammenarbeit mit den Deutschen: Im Baltikum und in der Ukraine etwa bildeten sich Einheiten heraus, die durch eine Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht versuchten, den Krieg gegen die Sowjetunion zu nutzen, um unabhängige Staaten zu formen.
Die Sowjetunion als Vielvölkerstaat wurde auch in der Zusammensetzung der verschiedenen Einheiten der Roten Armee sichtbar. Vor allem die Einheiten der Freiwilligen wurden so zusammengestellt, dass zumeist Soldat*innen eines Volkes zusammen kämpften. So legte eine Einheit aus Astrachan im Süden Russlands den Weg nach Berlin mit Kamelen zurück, da in ihrer Kultur die Nutzung von Pferden wenig verbreitet war.
Die Soldat*innen der verschiedenen Völker der Sowjetunion kämpften zusammen und starben zusammen auf den Schlachtfeldern des Krieges. Schaut man heute auf die unzähligen Gräber der sowjetischen Soldat*innen, so zeigen sich diese als ein Abbild der Vielfältigkeit der ethnischen und geografischen Zusammensetzung der Roten Armee, welche die Sowjetunion im „Großen Vaterländischen Krieg“ zum Sieg geführt hat.
Gräber gefallener Rotarmisten auf dem sowjetischen Garnisonsfriedhof in Dresden. Sie fielen zumeist bei der Einnahme Dresdens am 8. Mai 1945 oder starben aufgrund ihrer Verletzungen aus vorangegangenen Kampfhandlungen. © Christoph Meißner
Autor*in: Christoph Meißner / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Erinnerung an den „Großen Vaterländischen Krieg“
Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau, öffentliches Gedenken am Grabmal des unbekannten Soldaten und stilles, persönliches Gedenken an den Gräbern der Kriegsopfer. Der „Große Vaterländische Krieg“, wie der Zweite Weltkrieg von 1941–1945 in der Sowjetunion genannt wurde, hat in der Politik der postsowjetischen Staaten und den privaten Erinnerungen der Menschen einen hohen Stellenwert.
Moskauer Bürger*innen legen am Grabmal des unbekannten Soldaten in Moskau Blumen nieder, 9. Mai 2014.
© Christoph Meißner
© Christoph Meißner
Der Gedenkkomplex der Mutter Heimat in Wolgograd erinnert an die gefallenen Rotarmist*innen in der Schlacht um Stalingrad. Die Anlage wurde am 15. Oktober 1967 eröffnet. Sie bildet zusammen mit den Memorialen in Magnitogorsk und im Treptower Park in Berlin ein Triptychon. In Magnitogorsk wurde das Schwert geschmiedet, in Wolgograd erhob es sich und in Berlin wurde es wieder gesenkt, Wolgograd 30. August 2015.
© Christoph Meißner
© Christoph Meißner
Bereits am 8. Mai 1945 hatte Stalin den Tag des Sieges, den 9. Mai, als Feiertag bekanntgegeben. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde der Sieg vor allem dem Führer der Sowjetunion Josef Stalin zugeschrieben. Er habe mit seinen Entscheidungen den Sieg erst möglich gemacht. Der Personenkult um Stalin wurde offiziell nach 1956, drei Jahre nach dem Tod Stalins, beendet. Dabei wurde vor allem die terroristische Verfolgung der sowjetischen Gesellschaft aufgearbeitet. Doch bis heute ist er in Teilen der Gesellschaft weiterhin als Kriegsheld anerkannt. In der Sowjetunion waren es zunächst vor allem die Friedhöfe auf denen die persönlichen Erinnerungsrituale begangen wurden. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurden jedoch vermehrt gigantische Gedenkkomplexe errichtet, wie zum Beispiel 1967 die Statue der Mutter Heimat im 1961 in Wolgograd umbenannten Stalingrad.
Der Tag des Sieges wurde in der Sowjetunion zunehmend durch die Herausstellung der Helden erinnert. Für die zivilen Opfer des Krieges und Rotarmist*innen blieb da wenig Raum. Die Erinnerung an sie vollzog sich eher im Privaten. Mit der Perestroika unter Michael Gorbatschow ab Mitte 1985 öffnete sich das Heldengedenken und bezog alle Kriegsopfer ein. 1996 kam mit dem 22. Juni ein weiterer Gedenktag hinzu, der als Tag der Erinnerung und Trauer im Kalender verankert wurde. Damit wurde versucht die Erinnerung an den Sieg und an den Krieg zu trennen. Mit dem Sterben der letzten Zeitzeug*innen wird diese Trennung aber zunehmend aufgeweicht. Vor allem in Russland ist dabei in den letzten Jahren das Gedenken an die Leiden und Opfer des Kriegs vermehrt durch ein Gedenken an den heroischen Sieg ersetzt worden. Der Sieg wird dabei hauptsächlich der Sowjetunion zugeschrieben und die anderen drei Alliierten der Anti-Hitler-Koalition, die USA, Großbritannien und Frankreich, werden meist vergessen. Paraden und Kranzniederlegungen gehören weiterhin zum jährlichen Gedenkritual.
Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal im Berliner Tiergarten auf Einladung der russischen Botschaft am 9. Mai 2019.
© Margot Blank / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
© Margot Blank / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Autor*in: Christoph Meißner / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Die Potsdamer Konferenz
Zwei Monate nach dem Kriegsende in Europa kamen die „Großen Drei“, die Staatenlenker der siegreichen Anti-Hitler-Koalition, zu einem Gipfeltreffen zusammen. Nach Teheran 1943 und Jalta im Februar 1945 war als Tagungsort ihres dritten Gipfels Berlin vorgesehen. Wegen der Zerstörungen fiel die Wahl aber auf Potsdam. Gastgeber war der sowjetische Führer Josef Stalin. US-Präsident Harry Truman, dessen Vorgänger Roosevelt im April verstorben war, war in diesem Kreis ebenso neu wie Clement Attlee, der als britischer Premier im Laufe der Konferenz Winston Churchill ablöste.
Winston Churchill, Harry S. Truman und Josef Stalin im Garten von Schloss Caecilienhof vor der Potsdamer Konferenz, Potsdam 1945.
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 198958, public domain
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 198958, public domain
Amerikanische und Russische Stabschefs bei der Potsdamer Konferenz, November 1945.
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 198955, public domain
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 198955, public domain
Der Gipfel war unter dem Codenamen „Terminal“, Endstation, vorbereitet worden und dauerte vom 17. Juli bis zum 2. August 1945. Die Verständigung darüber, was die Endstation, also das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs sein sollte, war genau das Problem. In vielen Teilen der Welt waren Tatsachen geschaffen, die von den „Großen Drei“ anders verabredet worden waren. Die Eroberung fast ganz Ost- und Südosteuropas durch die Rote Armee und die dort eingeleitete Sowjetisierung war eine dieser Realitäten. Im Pazifikraum war der Krieg dagegen noch nicht entschieden. Von Potsdam aus erging an Japan ein letztes amerikanisches Ultimatum – und schließlich Trumans Befehl zum Einsatz der Atombombe.
Das gegenseitige Misstrauen war in Potsdam groß. Erhoffte sich Moskau vom Eintritt in den Krieg gegen Japan an der Seite der USA eine Vormachtstellung auch in Asien? Das letztlich erzielte Abkommen wirkte unfertig und bei der „deutschen Frage“ – das besiegte Land in Zonen aufzuteilen, aber dennoch als wirtschaftliche Einheit zu behandeln – kaum zukunftsfähig. Bestätigt wurden dagegen Gebietsgewinne der Sowjetunion, vor allem auf Kosten Polens, dessen Territorium nach Westen bis an die Oder und Neiße verschoben wurde. Die mittelbaren Folgen: die Vertreibung von Millionen Deutschen und ein „Eiserner Vorhang“ mitten durch Europa. 1989/90 war die Potsdamer Konferenz wieder in aller Munde. Die Überwindung der deutschen Teilung, der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums, sogar die Beendigung des Kalten Krieges wurden als späte Korrektur der Folgen von Potsdam verstanden.
Truman gibt Stalin die Hand. Dritter Tag der Potsdamer Konferenz im Schloss Caecilienhof.
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 198806, public domain
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 198806, public domain
Truman und Stalin bei der Potsdamer Konferenz.
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 7865578, public domain
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 7865578, public domain
Autor*in: Florian Weiß / AlliiertenMuseum
Kriegsende, Besatzung und Kalter Krieg
Mit dem Kriegsende in Europa im Mai 1945 begann in Deutschland die Besatzungszeit durch die vier Siegermächte Sowjetunion, USA, Frankreich und Großbritannien. Mit der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 übernahmen sie auch formell die oberste Regierungsgewalt in Deutschland. Nachdem die Rote Armee im Frühjahr 1945 Berlin erobert und für rund zwei Monate allein verwaltet hatte, übernahmen am 4. Juli die drei westlichen Besatzungsmächte ihre Sektoren. Die Stadt war geografisch und politisch unter den vier Siegermächten aufgeteilt, die in den ersten Monaten die Geschicke der Stadt lenkten. Dies geschah sowohl in den jeweiligen Sektoren aber auch gemeinsam durch die vier Stadtkommandanten in der Alliierten Kommandantur. Der Alliierte Kontrollrat war ihnen übergeordnet und entschied über Deutschland als Ganzes.
Karte der alliierten Besatzungszonen in Deutschland.
Quelle: Earl F. Ziemke, The U.S. Army in the Occupation of Germany, 1975. Library of Congress, Catalog Card Number 75-619027, public domain
Quelle: Earl F. Ziemke, The U.S. Army in the Occupation of Germany, 1975. Library of Congress, Catalog Card Number 75-619027, public domain
Konflikte zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion führten 1948/1949 zur Abriegelung der Hauptstadt durch die sowjetische Besatzungsmacht. Während der Berlin-Blockade werden die westlichen Sektoren der Stadt aus der Luft versorgt: Berliner*innen beobachten die Landung einer amerikanischen C-54 auf dem Flughafen Tempelhof. Quelle: United States Air Force Historical Research Agency via Cees Steijger, USAF photo 070119-F-0000R-101, public domain
In beiden Gremien wurde die unterschiedliche Auffassung der Besatzungsmächte über die Zukunft Deutschlands schnell deutlich. Die drei Westmächte hatten andere Vorstellungen von der „Demokratisierung“ Deutschlands als die sowjetische Seite. Zum deutlichen Bruch kam es bei der Währungsreform 1948 und der daraus resultierenden Blockade West-Berlins durch die Sowjetunion. Die Blockade der Stadt und die darauffolgende Luftbrücke war die erste Konfrontation der beiden neu entstandenen Machtblöcke im Kalten Krieg.
Im Mai 1949 wurde die Blockade Berlins aufgehoben und danach formierten sich auch die beiden Teile Deutschlands zu eigenen Staaten. Die Bunderepublik Deutschland wurde im Mai 1949 gegründet und fortan stark in westeuropäische und transatlantische Strukturen eingebunden, insbesondere im Hinblick auf die Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Die Deutsche Demokratische Republik, im Oktober 1949 gegründet, war ihrerseits wichtiger Bestandteil sowjetischer Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Die beiden deutschen Staaten traten wenige Jahre später unterschiedlichen und sich gegenüberstehenden Militärbündnissen bei: die Bundesrepublik 1955 der NATO und die DDR im selben Jahr dem Warschauer Pakt.
„So muss er ja gedeihen”: Karikatur von Fritz Meinhard, in: Meinhard, Fritz. Mit spitzer Feder, Karikaturen aus der Stuttgarter Zeitung. 1 éd. Stuttgart: Turmhaus Druckerei GmbH, 1950. © Fritz Meinhard
Autor*in: Bernd von Kostka / AlliiertenMuseum Berlin
„Achsenmächte“ gegen die „Anti-Hitler-Koalition“
Die Zusammenarbeit zwischen dem NS-Staat und dem faschistischen Italien unter der Führung von Benito Mussolini ging auf einen Freundschaftsvertrag aus dem Jahr 1936 zurück und wurde im Mai 1939 durch einen förmlichen Freundschafts- und Bündnispakt verstärkt. Danach hieß es in der Propaganda beider Länder „Achse Berlin-Rom“. Hitler schloss im September 1940 mit Italien und Japan den Dreimächtepakt und fortan sprach man von der „Achse Berlin-Rom-Tokyo.“ Durch diesen Pakt bekräftigten die drei Nationen ihre Ansprüche im osteuropäischen Raum, im Mittelmeer und in Südostasien. Um diese drei Achsenmächte formierten sich weitere Länder: Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Jugoslawien und Kroatien in Südost-Europa und im Norden Europas Finnland. Auch Albanien, Thailand sowie Teile Chinas, die von Japan besetzt und kontrolliert wurden, werden zu den Achsenmächten gezählt.
Die Flaggen der Achsenmächte Japan, Deutschland und Italien auf dem Gebäude der führenden Zeitung Japans “Tokio Yomiuri” 3. Dezember 1937. © picture-alliance / Imagno
Die Staatschefs von Großbritannien, den USA und der Sowjetunion (v.l.n.r. Winston Churchill, Harry S. Truman, Josef Stalin) auf der Potsdamer Konferenz 1945. © picture alliance/Photo12
Diesen Achsenmächten stand die „Anti-Hitler-Koalition“ im Zweiten Weltkrieg gegenüber, die auch als Alliierte bezeichnet werden. Diese Koalition formte sich erst mit dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 und festigte sich mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941. Die amerikanische Unterstützung für Großbritannien bestand jedoch schon vorher – auch weil beide Nationen gleiche Ideen für eine Nachkriegsordnung hatten. Mit dem Kriegspartner Sowjetunion wurde aus der Anti-Hitler-Koalition ein Zweckbündnis, dessen einziges gemeinsames Ziel der Sieg über das nationalsozialistische Deutschland war.
Auch diese Koalition wurde von einer Reihe weiterer Staaten unterstützt, insgesamt 26, die im Januar 1942 eine „Deklaration der Vereinten Nationen“ gegen den Dreimächtepakt formulierten.
Fehlende Gemeinsamkeiten und daraus resultierende Vereinbarungen der Anti-Hitler-Koalition führten bereits 1944, vor dem Ende des Krieges, zu Misstrauen und kamen offen zum Vorschein, als der gemeinsame Gegner im Frühjahr 1945 endlich besiegt war.
Poster des United States Office of War Information, 1943. Quelle: United States Office of War Information, public domain
Autor*in: Bernd von Kostka / AlliiertenMuseum Berlin
Hitler-Stalin-Pakt
Der so genannte Hitler-Stalin-Pakt bezeichnet den Nichtangriffsvertrag, den das Deutsche Reich und die Sowjetunion am 23. August 1939 geschlossen hatten. Eine Woche später überfiel die Wehrmacht Polen. Sie konnte sich sicher sein, dass die Rote Armee sie nicht daran hindern würde. Auch Großbritannien und Frankreich, die Polen zuvor vertraglich militärische Hilfe zugesichert hatten, griffen nicht aktiv ein. Aber sie erklärten Deutschland den Krieg. Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen.
Der Pakt stand in einer langen Reihe von Verträgen verschiedener europäischer Staaten untereinander, von denen jeder seinen eigenen Vorteil zu sichern versuchte. Hintergrund waren der Friedensvertrag von Versailles sowie der polnisch-russische Vertrag von Riga, die es beide nicht vermocht hatten, für sichere Grenzen in Europa zu sorgen. Nachhaltige politische Bedeutung erhielt der Pakt durch ein geheimes Zusatzprotokoll. Darin steckten die Sowjetunion und das Deutsche Reich einvernehmlich ihre Interessensphären ab.
Der deutsche Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop während der Unterzeichnung des Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag als geheime Ergänzung zum Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. Stehend v.r. Josef Stalin, der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare Wjatscheslaw. M. Molotow, der sowjetische Botschafter in Berlin Aleksej Schkwarzew und der sowjetische Generalstabschef Boris M. Schaposchnikow, Moskau 1939
© ullstein bild – adoc-photos
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Die Teilung Polens in deutsch und sowjetisch besetzte Gebiete, eingezeichnet per Hand auf eine Karte “nach dem Stand vom 28. Sept. 1939”. Foto: akg-images © picture alliance / akg
Gemäß dieser Absprache besetzte die Rote Armee am 17. September das östliche polnische Staatsgebiet. Ein deutsch-sowjetischer Grenzvertrag regelte noch vor dem Ende des Polenfeldzuges die neue deutsch-sowjetische Grenze. Nachfolgend annektierte die Sowjetunion die heute westlichen Teile von Belarus und der Ukraine. Von Rumänien trennte sie die heutige Republik Moldau ab. Die damals souveränen baltischen Staaten wurden Sowjetrepubliken. Finnland wehrte sich im Winterkrieg 1939/40 und konnte sich der sowjetischen Eroberung entziehen.
Im Frühjahr 1940 erschoss das sowjetische NKWD – die Geheimpolizei des Innenministeriums der Sowjetunion – rund 14.000 polnische Offiziere, um damit die Elite des ehemaligen polnischen Staates zu beseitigen. Enge wirtschaftliche Verbindungen mit dem Deutschen Reich ließen Stalin vergessen machen, dass Hitler nach wie vor einen ideologisch begründeten Krieg gegen die Sowjetunion plante. Der deutsche Überfall am 22. Juni 1941 traf das Land unvorbereitet.Nach dem Krieg leugnete die sowjetische Führung bis 1989 die mit den Nationalsozialisten getroffenen Vereinbarungen. Die Veröffentlichung des geheimen Zusatzprotokolls beförderte in der Zeit der Perestrojka die Unabhängigkeitsbewegungen im Baltikum. Seit den Beitritten Polens und der baltischen Staaten zur Europäischen Union setzten diese Länder sich stark für eine Erinnerung an die Folgen des Hitler-Stalin-Pakts ein. Seit 2009 ist der 23. August ein europäischer Gedenktag.
Deutsch-sowjetische Parade bei der Übergabe der Stadt Brest-Litowsk im heutigen Belarus. Auf dem Podest nehmen der Wehrmachtdsgeneral Heinz Guderian und der General der Roten Armee Semjon Moissejewitsch Kriwoschein die Parade ab.
Foto: ullstein bild© picture alliance/ullstein bild
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Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Sowjetunion im „Großen Vaterländischen Krieg“
„Achtung, hier spricht Moskau!“ – so begannen die täglichen Lageberichte über die Front im Radio der Sowjetunion – auch am 22. Juni 1941. Die deutsche Wehrmacht überfiel am frühen Morgen mit dem Angriffsplan „Unternehmen Barbarossa“ die Sowjetunion.
Zerstörungen und Straßenkämpfe in Stalingrad, Herbst 1942. Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Für das Land und seinen Führer Stalin, der alle Hinweise auf einen Überfall ignoriert hatte, war das ein großer Schock. Dieser hatte alle Hinweise auf einen Überfall ignoriert. Die deutschen Truppen überrannten die unzureichend vorbereitete Rote Armee und konnten im Winter 1941 erst wenige Kilometer vor Moskau zum Stehen gebracht werden. Diesen ersten Erfolg bezahlte die Rote Armee mit einer hohen Zahl von Opfern. Dennoch konnte die Wehrmacht im Süden in großen militärischen Operationen bis in den Kaukasus vordringen.
Vor allem in den ersten beiden Kriegsjahren wurden eine ganze Reihe von überlebenswichtigen Industrien der Sowjetunion in das Hinterland evakuiert. Damit konnte die Produktion von kriegswichtigen Gütern sichergestellt werden. Daran beteiligt waren neben Arbeiter*innen auch Häftlinge aus dem sowjetischen Lagersystem des GULags. Einen weiteren wichtigen Beitrag leisteten die Lieferungen von militärischem Gerät und Nahrungsmitteln durch die Vereinigten Staaten im Rahmen des so genannten Lend-Lease-Abkommens.
Leningrader versorgen sich mit Wasser aus der zugefrorenen Newa, Leningrad, 1942. Foto: Nikolaj Chandogin © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Nikolaj Chandogin
Kiews Hauptboulevard Kreschtschatik nach der Befreiung, vermutlich 1945. Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Eine entscheidende, vor allem moralische, Wende brachte die Schlacht von Stalingrad. Im Februar 1943 konnte die Rote Armee die Stadt aus der Belagerung befreien und zum Gegenangriff übergehen. Es folgte die Panzerschlacht bei Kursk im Juli 1943, welche jedoch, entgegen der sowjetischen Propaganda, keine vernichtende Niederlage der Wehrmacht war. Dennoch verlagerte sich die Front ab Sommer 1943 immer schneller nach Westen. Mit der Befreiung von Kiew und Minsk bis zum Sommer 1944 war die Sowjetunion von der deutschen Besatzung befreit. Die Rote Armee rückte nun weiter in Richtung Deutsches Reich vor und konnte im Januar 1945 Warschau befreien. Der weitere Vormarsch in Richtung Westen ging schnell voran und so konnte die Rote Armee bereits im April zur großangelegten Schlacht um Berlin ansetzen. Auch dieser Angriff wurde vom bekannten sowjetischen Radioreporter Juri Leviathan mit den Worten „Achtung, hier spricht Moskau!“ bekannt gegeben.
Autor*in: Christoph Meißner / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Großbritannien im Zweiten Weltkrieg
Nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler 1933 brach Deutschland mehrfach den Versailler Vertrag von 1919. Darauf mussten die damaligen europäischen Großmächte Frankreich und Großbritannien reagieren, wobei die Haltung Großbritanniens damals durch die Appeasement-Politik (Beschwichtigungspolitik) gekennzeichnet war. Um nicht erneut in eine militärische Konfrontation zu geraten, unterzeichnete der britische Premier Neville Chamberlain im September 1938 das Münchner Abkommen und überlies damit Deutschland das zur Tschechoslowakei gehörende Sudetenland.
Ziviler Flugzeugbeobachter auf dem Dach eines Hauses in London während der Luftschlacht um England. Im Hintergrund ist die St. Paul’s Cathedral zu sehen.
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 541899, public domain
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 541899, public domain
Die deutsche Wehrmacht überfällt Polen, September 1939. Alle Hoffnungen, das nationalsozialistische Deutschland von einem offenen Krieg abhalten zu können, sind damit zerstört.
© picture alliance/Photo12
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Doch die Hoffnung, mit dem Abkommen den Frieden in Europa zu sichern, erwies sich spätesten mit dem deutschen Angriff auf Polen im September 1939 als Illusion. Frankreich und Großbritannien erklärten Deutschland daraufhin den Krieg.
Im engen Verbund mit Großbritannien erklärten die Commonwealth-Staaten Australien, Indien, Kanada, Neuseeland und Südafrika Deutschland ebenfalls im September 1939 den Krieg.
Im Kriegsverlauf war die Luftschlacht um England zwischen Juli und Oktober 1940 der größte Luftangriff des Zweiten Weltkrieges und auch die erste empfindliche Niederlage der deutschen Luftwaffe. Neben den ursprünglichen Zielen – die britische Infrastruktur und die militärischen Einrichtungen – kam es auch zu Bombenabwürfen über London. Dies beantwortete die britische Royal Air Force mit einem Luftangriff auf Berlin. Fortan waren auch Städte und die Zivilbevölkerung im Fokus von Luftangriffen. Trotz einer zahlenmäßigen Überlegenheit an Flugzeugen und Piloten konnte die deutsche Luftwaffe keine Lufthoheit über Großbritannien erlangen – der Angriff war nach rund drei Monaten gescheitert.
Im weiteren Kriegsverlauf konnten britische Truppen vor allem in Nordafrika unter General Montgomery Erfolge erzielen, danach auch in Sizilien und Italien. Bei der D-Day-Invasion in der Normandie spielte Großbritannien eine zentrale Rolle als Brückenkopf, von dem aus die alliierten Truppen Frankreich erreichten und die westeuropäischen Staaten befreiten.
Der Londoner Innenstadtbereich um die St. Pauls Kathedrale ist von deutschen Bomben zerstört. Links und rechts der Straße, die auf die Kirche zuläuft, liegen die Gebäude in Schutt und Asche, ohne Datum.
© ullstein bild – Pressefoto Kindermann
© ullstein bild – Pressefoto Kindermann
Autor*in: Bernd von Kostka / AlliertenMuseum Berlin
Laurel Coleman Steinhice (geb. 1936 in Chattanooga, gest. 2011 in Nashville) über Erfahrungen ihrer Mutter im Luftschutzkeller in London. 1:20 Min.
© AlliiertenMuseum/Filmhaus Berlin GmbH 2009
Laurel Coleman Steinhice (geb. 1936 in Chattanooga, gest. 2011 in Nashville) über ihr Kinoerlebnis von den Siegesfeiern zum Kriegsende in London. 2:40 Min. © AlliiertenMuseum/Filmhaus Berlin GmbH 2009
Frankreich: die „verspätete“ Siegermacht
Vier Jahre lang war Frankreich von deutschen Truppen besetzt. Kollaboration und Widerstand hinterließen eine tief gespaltene französische Gesellschaft. Doch zum Kriegsende wurde Frankreich in den Kreis der alliierten Sieger- und Besatzungsmächte aufgenommen. Im Juni 1940, nach sechswöchigen Gefechten, errichtete die Wehrmacht in Nordfrankreich und an der Atlantikküste ein Besatzungsregime. Der Süden des Landes blieb zunächst unbesetzt. Er unterstand der in Vichy ansässigen autoritären Regierung von Philippe Pétain. Das Vichy-Regime kollaborierte eng mit den Besatzern und half bei der Deportation von 76.000 Juden. Im November 1942 marschierte die Wehrmacht dann auch in die Südzone ein.
Frankreich während der deutschen Besatzung: Wehrmachtsoldaten vor dem Triumphbogen in Paris, Juli/August 1940.
© picture alliance/ullstein bild
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Die französische Stadt Caen in der Normandie ist nach ihrer Befreiung am 19. Juli 1944 völlig zerstört.
Foto: Captain E.G. Malindine, No 5 Army Film & Photographic Unit, public domain
Foto: Captain E.G. Malindine, No 5 Army Film & Photographic Unit, public domain
Sowohl in Frankreich als auch im Exil organisierten sich französische Widerstandsbewegungen gegen die Besatzungsmacht. Die von ihnen verübten Anschläge wurden mit brutalen Vergeltungsaktionen beantwortet.
Im Juni 1944 begann mit der Landung der Alliierten an der Küste der Normandie die Befreiung Frankreichs. Wenige Tage zuvor hatte sich unter der Führung von Charles de Gaulle die „Provisorische Regierung der französischen Republik“ gebildet. Dadurch sollte eine alliierte Militärregierung für Frankreich verhindert werden. Der Vormarsch der alliierten Streitkräfte wurde durch französische Widerstandskämpfer und Soldaten unterstützt. Von 1940 bis 1945 kamen etwa 230.000 Soldaten und 350.000 Zivilisten durch Kampfhandlungen sowie bei alliierten und deutschen Bombenangriffen ums Leben.
Große symbolische Bedeutung hatte die Befreiung von Paris im August 1944. Doch erst im Februar 1945 war das gesamte französische Territorium befreit. Der Jubel über das Ende der deutschen Besatzung wich schnell dem Druck gewaltiger politischer Probleme. Dazu gehörten der wirtschaftliche Wiederaufbau, die politische Neugestaltung des Landes und die Aussöhnung der gespaltenen Gesellschaft. Viele französische Soldaten blieben mobilisiert, nachdem Frankreich schließlich mit amerikanischer und britischer Unterstützung an der Besatzung Deutschlands beteiligt worden war.
Die französische Bevölkerung säumt die Champs Élysées und bejubelt nach der Befreiung von Paris einziehende französische Soldaten, 26. August 1944.
Foto: Jack Downey, U.S. Office of War Information, United States Library of Congress’s Prints and Photographs ID fsac.1a55001, public domain
Foto: Jack Downey, U.S. Office of War Information, United States Library of Congress’s Prints and Photographs ID fsac.1a55001, public domain
Autor*in: Uta Birkemeyer / AlliiertenMuseum
Entgrenzter Krieg im Pazifik
Das japanische Kaiserreich sah im NS-Krieg in Europa die Chance, seinem eigenen Vormachtstreben neuen Schub zu verleihen. Versuche seit Anfang der 1930er-Jahre stagnierten trotz brutaler Besetzung weiter Teile Chinas.
Im Anschluss an die deutsche Besetzung der Niederlande und Frankreichs 1940 eroberte Japan deren Kolonien in Südostasien. Das heutige Indonesien und Vietnam lieferten dringend benötigte Rohstoffe, zugleich sollte ein rascher Sieg über die USA und Großbritannien die Expansion sichern. Am 7. Dezember 1941 nahm Japan in Pearl Harbor die amerikanische Flotte ins Visier.
Der Krieg machte China bereits vor Europa zum Schlachtfeld. Hier zu sehen: eine chinesische Flugabwehrstellung, 1942-43.
Quelle: U.S. Army Signal Corps photograph, OWI 607-ZB. Office of War Information Photograph, public domain
Quelle: U.S. Army Signal Corps photograph, OWI 607-ZB. Office of War Information Photograph, public domain
US-Marines hissen im Februar 1945 das Sternbanner während der blutigen Schlacht um Iwojima.
Foto: Joe Rosenthal, National Archives, National Archives Identifier: 520748, public domain
Foto: Joe Rosenthal, National Archives, National Archives Identifier: 520748, public domain
Nach der japanischen Besetzung Malaysias, Singapurs und der Philippinen führten die Alliierten ihre materielle Überlegenheit ins Felde und stoppten im Juni 1942 den japanischen Vormarsch. Trägergestützte Flugzeuge verbanden eine erhebliche Reichweite mit ebensolcher Zerstörungskraft. Die amerikanische Kriegswirtschaft baute weitere Flugzeugträger mit Hochdruck. Diese zerstörten im Sommer 1944 in der Philippinensee die japanische Flotte und eroberten die Marianen. Damit rückte das japanische Kernland in die Reichweite der US-Luftwaffe. B-29-Langstreckenbomber trafen die japanische Produktion und verwüsteten zugleich seine Metropolen. Die Einnahme von Inseln wie Iwojima und Okinawa forderte jedoch weiterhin einen enormen Blutzoll. Angesichts der prognostizierten Verluste bei einer Invasion Japans suchten US-Planungsstäbe nach Alternativen.
Auf der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 planten Großbritannien, die Sowjetunion und die USA nicht nur eine europäische Nachkriegsordnung, sondern auch die Niederwerfung Japans. Bestrebt, den Krieg schnell zu gewinnen und den sowjetischen Einfluss auf die Nachkriegsordnung im Pazifik zu minimieren, setzte Präsident Harry S. Truman eine zuvor unbekannte Waffe ein: Am 6. August 1945 löschte eine Atombombe Hiroshima aus; drei Tage später eine weitere Nagasaki. Am gleichen Tag trat die Sowjetunion in den Krieg ein und vertrieb die japanischen Truppen aus dem Norden Chinas und Koreas. Binnen eines Monats kapitulierte Japan, womitdem Zweiten Weltkrieg auf allen Erdteilen ein Ende gesetzt war.
Atompilz über Nagasaki, 9. August 1945.
Foto: Charles Levy Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 535795, public domain
Foto: Charles Levy Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 535795, public domain
Autor*in: Scott H. Krause / AlliiertenMuseum Berlin
Die Rolle der USA im Zweiten Weltkrieg
Die USA waren in den ersten beiden Kriegsjahren keine kriegführende Macht, rangen aber im Innern mit ihrer politischen Neutralität. Mit dem Leih- und Pacht-Gesetz setzte Präsident Franklin D. Roosevelt 1941 Waffenlieferungen für den Kampf gegen NS-Deutschland durch. Mit der Einführung der Wehrpflicht, dem Atomwaffenprogramm und der militärischen Sicherung des Atlantiks rüsteten die USA sich für den Ernstfall und warben mit der Idee der – 1945 schließlich gegründeten – Vereinten Nationen für eine neue Weltordnung nach Hitler.
Am 7. Dezember 1941 griff Japan die USA an und „Pearl Harbor“ wurde zum nationalen Trauma. Der darauf folgende amerikanische Kriegseintritt machte aus dem Krieg in Europa einen „Weltkrieg“. Die USA mussten ihn über zwei Ozeane hinweg an ungleichen Fronten führen.
Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor wird ein Seemann mit einem kleinen Boot von der brennenden USS West Virginia geborgen, Hawaii 7. Dezember 1941 © picture alliance / AP Photo
Soldaten der Dritten US-Armee rennen durch die verrauchten Straßen von Wernberg, Deutschland im April 1945.
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 195342, public domain
Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 195342, public domain
Die patriotische, siegesgewisse Nation mobilisierte gewaltige Ressourcen: mit insgesamt etwa 16 Millionen Amerikanern in den Streitkräften und einer sich verdreifachenden Industrieproduktion. Die USA wurden zum größten Waffenarsenal der Welt und ließen ihren britischen Verbündeten massiv und in einem gigantischen Ausmaß auch die Sowjetunion davon profitieren. Diese Militärhilfe zusammen mit dem gemeinsamen Ziel, Deutschland niederzuwerfen, hielt das Zweckbündnis der Anti-Hitler-Koalition zusammen.
Über die Landungen in Nordafrika, Italien und Frankreich zwischen 1942 und 1944 gelang die Eroberung des Deutschen Reiches von Westen her. Der Bombenkrieg gegen die deutsche Industrie, Infrastruktur und Bevölkerung unterstützte die zu Wasser und zu Lande geführten militärischen Unternehmungen.
Gegen Japan bewirkte die Strategie des See- und Luftkrieges den Rückzug des Gegners aus besetzten Gebieten, wobei die Kämpfe für die US-Truppen verlustreicher waren als in Europa. Um eigene Opferzahlen gering zu halten, hielt Roosevelts Nachfolger Harry Truman den Einsatz der Atombombe für gerechtfertigt. Hiroshima und Nagasaki galten aber auch als Warnung an die Sowjetunion, den USA, die aus dem Zeiten Weltkrieg als global präsente „Supermacht“ hervorgehen sollte, diesen neuen Rang nicht streitig zu machen.
Atompilz über Nagasaki, 9. August 1945.
Foto: Charles Levy Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 535795, public domain
Foto: Charles Levy Quelle: National Archives, National Archives Identifier: 535795, public domain
Autor*in: Florian Weiß / AlliertenMuseum Berlin
Laurel Coleman Steinhice (geb. 1936 in Chattanooga, gest. 2011 in Nashville) über die Tätigkeit ihrer Mutter in der Kriegsberichterstattung beim „Office of War Information“ in London. 1:29 Min. © AlliiertenMuseum/Filmhaus Berlin GmbH 2009
Svetoslao N. Hlopoff, Sohn russischer Eltern, wurde in Italien geboren und wuchs in Frankreich und den USA auf. Im Dezember 1944 wurde er als junger amerikanischer Soldat nach Nancy (Frankreich) verlegt und einige Wochen später beim Besuch einer Orthodoxen Kirche in Paris von einer US-Einheit rekrutiert, die Personal für Berlin suchte. 3:18 Min. © AlliiertenMuseum/Filmhaus Berlin GmbH 2009
Svetoslao N. Hlopoff, Sohn russischer Eltern, wurde in Italien geboren und wuchs in Frankreich und den USA auf. Hlopoff, der als Dolmetscher für die Amerikaner in der Berliner Kommandantur arbeiten sollte, erzählt von der Fahrt des US-Convoi von Halle nach Berlin Anfang Juli 1945. 4:01 Min. © AlliiertenMuseum/Filmhaus Berlin GmbH 2009
Laurel Coleman Steinhice (geb. 1936 in Chattanooga, gest. 2011 in Nashville) über die Rolle ihrer Mutter bei der Verbreitung von Fotodokumenten über NS-Konzentrationslager. 1:59 Min. © AlliiertenMuseum/Filmhaus Berlin GmbH 2009
Schlacht um Berlin
Am 16. April 1945 begann die Rote Armee den Angriff auf Berlin. Nach Überwindung der Seelower Höhen an der Oder überschritt sie am 21. April im damaligen Bezirk Weißensee die Stadtgrenze; am 26. April stand sie am S-Bahn-Ring. In den nun folgenden schweren Straßenkämpfen kämpften sich die Soldaten weiter vor bis in das Stadtzentrum. Parallel dazu schloss am 25. April die Rote Armee den Belagerungsring um Berlin. Für Deutschland war der Krieg schon lange verloren, doch auf Befehl Adolf Hitlers gingen die Kämpfe weiter. In Halbe, südlich von Berlin, tobte bis zum 28. April eine Kesselschlacht mit tausenden Toten. Bis zum 29. April versuchte die Wehrmacht, die Belagerung Berlins zu durchbrechen.
Sowjetische Selbstfahrlafette SU 152 in der Oranienburger Straße, Berlin-Mitte, Ende April/Anfang Mai 1945. Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Eine sowjetischer Granatwerfer-Bedienung im Gefecht am U-Bahnhof Bülowstraße, Berlin-Schöneberg, Ende April 1945. Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Erst nach Hitlers Suizid am 30. April zeigte die deutsche Seite Verhandlungsbereitschaft. Doch auch Propagandaminister Joseph Goebbels und der Generalstabschef des Heeres Hans Krebs konnten sich nicht zu der bedingungslosen Kapitulation durchringen, die die Rote Armee forderte. Beide begingen am 1. Mai Selbstmord. Am frühen Morgen des 2. Mai begab sich General Helmuth Weidling, der so genannte Kampfkommandant von Berlin, in das sowjetische Hauptquartier in Berlin-Tempelhof. In einer Wohnung im Schulenburgring 2 verfasste er den Befehl zur Einstellung der Kämpfe.
Die Schlacht um Berlin war Teil einer Großoffensive der Roten Armee auf der gesamten Länge zwischen der Ostsee und Görlitz. Den etwa zwei Millionen Rotarmist*innen standen eine Million deutsche Verteidiger gegenüber, von denen ein Viertel jugendliche Flakhelfer, ältere Männer als so genannter Volkssturm und Reservisten der Wehrmacht waren.
Berlin, das zudem mit rund 370 Angriffen die am stärksten bombardierte deutsche Stadt war, lag bei Kriegsende in Trümmern. 70 Prozent des Stadtzentrums waren zerstört.
Kämpfe in der Frankfurter Allee, Berlin-Friedrichshain, 28. April 1945.
Foto: Iwan Schagin
© Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Iwan Schagin
Foto: Iwan Schagin
© Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Iwan Schagin
Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Wettlauf nach Berlin
Bereits zwei Jahre vor Kriegsende war die Wehrmacht in der Defensive. Nach der Schlacht von Stalingrad Anfang 1943 wurden die Siege der Roten Armee immer häufiger. Im Juli 1944 hatte sie ihr Land von der deutschen Besetzung befreit. Nahezu zeitgleich, am 6. Juni 1944, gelang den westalliierten Truppen mit der Landung in Nordfrankreich die Eröffnung der so genannten Zweiten Front. Ebenso entscheidend war die Landung amerikanischer Truppen an der Südspitze Italiens bereits im Sommer 1943.
Soldaten an einem Unterstand im Schlamm, Stalingrad 1942/43. © picture alliance/arkivi
Ein junger SS-Mann ergibt sich mit erhobenen Armen. Er geriet während der Ardennenoffensive im Dezember 1944 in amerikanische Gefangenschaft. Foto: dpa © dpa – Bildarchiv
Aus militärischer Sicht hatte es damit viele Momente gegeben, die eine Kapitulation erfordert hätten. Wie sich spätestens nach dem Scheitern der Ardennen-Offensive 1944 gezeigt hatte, brauchte Adolf Hitler nicht einmal Erfolge der Wehrmacht, um den Widerstand bis zum Letzten einzufordern. Es war der NS-Fanatismus, verkörpert vor allem durch Hitler, der völlig entkoppelt von jeder rationalen militärischen Bewertung der Lage, den Kampf bis zur Selbstopferung als einzigen Weg pries. Mit der Ausrufung des „Totalen Krieges“ und ganz zum Schluss seinem so genannten Nerobefehl vom 19. März 1945 verlangte er von allen Deutschen, den Kampf ohne Rücksicht auf Verluste so lange wie möglich weiterzuführen. Der Anti-Hitler-Koalition war damit klar, dass der Beschluss von Casablanca 1943, das Kriegsende nur durch einen vollständigen militärischen Sieg herbeiführen zu können, der einzige gangbare Weg war. Berlin, wo sich Adolf Hitler seit Mitte Januar 1945 verschanzt hatte, musste erobert werden.
Die Eroberung der deutschen Hauptstadt hatte vor allem Stalin seinen Soldat*innen vor Augen gehalten, um deren Kampfgeist nicht erlahmen zu lassen. „Nach Berlin“ war ein von der sowjetischen Propaganda sorgsam in Szene gesetzter Schlachtruf. Aber es gab auch die politische Dimension: Vor allem der britische Regierungschef Winston Churchill wollte mit Blick auf die Nachkriegszeit den sowjetischen Einfluss in Ostmitteleuropa eindämmen. Er drängte den US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, die Reichshauptstadt nicht allein der Roten Armee zu überlassen. Dieser aber ließ sich von militärischen Überlegungen leiten. Das schloss auch die Vermeidung der zweifelsohne großen Verluste ein, die die Einnahme Berlins fordern würde. Amerikanische und britische Truppen blieben an der Elbe stehen. Am 25. April gab es in Torgau das propagandistisch wirkungsvoll in Szene gesetzte „Treffen an der Elbe“. Erstmals begegneten sich amerikanischen und sowjetischen Truppen auf deutschem Gebiet.
Auf der zerstörten Elbbrücke in Torgau begrüßten sich am 25. April 1945 drei amerikanische und drei sowjetische Soldaten. Dieses Treffen ging als “Treffen an der Elbe” in die Geschichtsbücher ein.
© picture alliance / Photo12
© picture alliance / Photo12
Reiterstandbild zu Ehren Marschall Georgi Schukows vor dem Staatlichen Historischen Museum in Moskau, 22. Juni 2017. © Christoph Meißner
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Rote Armee bereits Berlin eingekreist. Eilig kämpften sich die sowjetischen Soldat*innen bis zum Stadtzentrum vor. Ganz bewusst hatte Stalin die Oberkommandierenden der beiden angreifenden Heeresgruppen in einen Wettlauf um den Sieg geschickt. Rücksichtslos trieben sie ihre Truppen voran. Am Ende war es eine Marschall Georgi Schukow unterstehende Einheit, die als Symbol des Sieges die rote Fahne auf dem Reichstag hisste. Schukow ernannte Nikolaj Bersarin zum ersten Stadtkommandanten von Berlin und ging in die sowjetische Geschichtsschreibung als der Sieger im „Großen Vaterländischen Krieg“ ein.
Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
„Topographie des Terrors“ – Zerstörung, Abriss, Wiederentdeckung
Das Areal zwischen Prinz-Albrecht-Straße (heute: Niederkirchnerstraße) und Wilhelmstraße war Sitz der Zentralen von Geheimer Staatspolizei (Gestapo), Reichsführung der SS, Sicherheitsdienst (SD) und Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Hier wurden die meisten Massenverbrechen und Terrormaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes geplant und organisiert.
Die Berliner Mauer am nördlichen Rand des Areals der früheren Zentralen von Gestapo und SS, Mai 1977.
Das Foto zeigt die Mauer von Westen her gesehen entlang der Niederkirchnerstraße (früher: Prinz-Albrecht-Straße). Im Hintergrund links die Ruine des Kunstgewerbemuseums (heute: Martin-Gropius-Bau), jenseits der Mauer im Vordergrund das ehemalige Reichsluftfahrtministerium (heute: Bundesfinanzministerium) und im Hintergrund das ehemalige Preußische Abgeordnetenhaus (heute: Abgeordnetenhaus von Berlin).
© Landesarchiv Berlin
Das Foto zeigt die Mauer von Westen her gesehen entlang der Niederkirchnerstraße (früher: Prinz-Albrecht-Straße). Im Hintergrund links die Ruine des Kunstgewerbemuseums (heute: Martin-Gropius-Bau), jenseits der Mauer im Vordergrund das ehemalige Reichsluftfahrtministerium (heute: Bundesfinanzministerium) und im Hintergrund das ehemalige Preußische Abgeordnetenhaus (heute: Abgeordnetenhaus von Berlin).
© Landesarchiv Berlin
Das Gelände der früheren Zentralen von Gestapo und SS, 1981.
Das Foto wurde in der Zeit der Nutzung des Geländes durch eine Bauschuttverwertungsfirma aufgenommen. Es gibt den Blick vom Martin-Gropius-Bau in Richtung Wilhelmstraße wieder.
Foto: Gerhard Ullmann © Stiftung Topographie des Terrors
Das Foto wurde in der Zeit der Nutzung des Geländes durch eine Bauschuttverwertungsfirma aufgenommen. Es gibt den Blick vom Martin-Gropius-Bau in Richtung Wilhelmstraße wieder.
Foto: Gerhard Ullmann © Stiftung Topographie des Terrors
Nach Kriegsende waren die von Gestapo und SS genutzten Gebäude teils stark beschädigt. Sie fanden kaum Beachtung und wurden bis Mitte der 1950er-Jahre abgerissen. Dies entsprach auch dem Bedürfnis der meisten Deutschen nach Verdrängung der jüngsten Vergangenheit. Die NS-Verbrechen wurden über Jahrzehnte hinweg tabuisiert, relativiert oder geleugnet. Viele Tatverantwortliche blieben von Strafverfolgung verschont. Sie tauchten ab oder integrierten sich in die Nachkriegsgesellschaften beider deutscher Staaten. Der größte Teil der Täter der oberen und mittleren Ebene lebte in Westdeutschland.
Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 rückte das ehemalige Gelände von Gestapo und SS endgültig ins Abseits: an die Grenze zwischen amerikanischem und sowjetischem Sektor. Auf dem Gelände siedelte sich unter anderem eine Bauschuttverwertungsfirma an. Seit Beginn der 1980er-Jahre wurde der „Ort der Täter“ allmählich wiederentdeckt. Schrittweise und nicht ohne Konflikte wurde er im historischen Gedächtnis Berlins und der Bundesrepublik Deutschland verankert.
Das 2010 eröffnete Dokumentationszentrum Topographie des Terrors vermittelt die besondere Geschichte dieses historischen Ortes im Zentrum Berlins. Neben der kritischen Aufarbeitung der Rolle der Täter wird auch an die Leiden ihrer Opfer erinnert. Die „Topographie des Terrors“ an der Niederkirchner- und Wilhelmstraße stellt sich dieser Aufgabe in Zusammenarbeit mit den zahlreichen anderen Erinnerungsorten in Berlin und in Brandenburg.
Blick auf das Gelände des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors, 2010.
Foto: Stefan Müller © Stiftung Topographie des Terrors
Foto: Stefan Müller © Stiftung Topographie des Terrors
Freigelegte Überreste des ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamtes, September 1986.
1986 wurden im Zuge der Aktivitäten zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin entlang der Westseite der Berliner Mauer (hinter den Bäumen) Fundament- und Kellerreste des Nordflügels des ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamtes in der Niederkirchnerstraße freigelegt. Dort befindet sich heute der sogenannte Ausstellungsgraben des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors.
© Landesarchiv Berlin
1986 wurden im Zuge der Aktivitäten zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin entlang der Westseite der Berliner Mauer (hinter den Bäumen) Fundament- und Kellerreste des Nordflügels des ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamtes in der Niederkirchnerstraße freigelegt. Dort befindet sich heute der sogenannte Ausstellungsgraben des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors.
© Landesarchiv Berlin
Autor*in: Andrea Riedle / Topographie des Terrors
Kriegsende 1945: Der Zerfall des „SS-Staats“
Mit dem Untergang des NS-Regimes zerfiel auch der Terrorapparat von SS und Polizei. Die Führungsstäbe von SS und Geheimer Staatspolizei (Gestapo), Kriminal- und Ordnungspolizei setzten sich bis Ende April 1945 vor den herannahenden sowjetischen Truppen aus Berlin ab. Wie das Personal der übrigen zentralen Dienststellen und der Reichsministerien zogen sie sich in von den Alliierten noch unbesetzte Gebiete im Süden oder Norden des Deutschen Reichs zurück.
Das ehemalige Geheime Staatspolizeiamt in der Prinz-Albrecht-Straße 8 (heute: Niederkirchnerstraße), Ende April 1945.
Kurz vor Kriegsende wurde das Gebäude Teil des Verteidigungsrings um das Regierungsviertel und der Reichskanzlei.
Foto: Jewgeni Chaldej / Agentur Voller Ernst © dpa
Kurz vor Kriegsende wurde das Gebäude Teil des Verteidigungsrings um das Regierungsviertel und der Reichskanzlei.
Foto: Jewgeni Chaldej / Agentur Voller Ernst © dpa
Zellentrakt im ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamt, 1948. In dem Gebäude befand sich unter anderem ein Untersuchungsgefängnis der Gestapo. Zwischen 1933 und 1945 waren hier tausende Menschen inhaftiert, um verhört zu werden. Kurz vor Kriegsende ermordete die Gestapo die meisten der hier verbliebenen Häftlinge. Einige wenige Gefangene befanden sich noch in den Zellen, als sowjetische Soldaten das Gebäude besetzen. Foto: Norbert Leonard © SZ Photo
Heinrich Himmler, „Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei“ und Reichsinnenminister, floh mit einem Teil seines Gefolges nach Flensburg. Dort residierte Großadmiral Karl Dönitz, der seit dem Suizid Adolf Hitlers am 30. April 1945 dessen Nachfolger war. Er entließ Himmler aus seinen Ämtern, um mit den Westalliierten leichter Verhandlungen über Teilkapitulationen führen zu können. Himmler tauchte unter falscher Identität unter. Am 23. Mai 1945 vergiftete er sich in britischer Gefangenschaft.
Ernst Kaltenbrunner, der als „Chef der Sicherheitspolizei und des SD“ Leiter des Reichssicherheitshauptamtes war, hatte sich mit seinem Stab in den Süden des Reiches abgesetzt. Am 12. Mai 1945 wurde er in seinem Versteck bei Altaussee (Steiermark) von der US-Armee festgenommen.
Gestapo-Chef Heinrich Müller blieb als Stellvertreter Kaltenbrunners in Berlin. Er kam vermutlich am 2. Mai 1945 bei Kampfhandlungen oder durch Suizid ums Leben. In den Wochen zuvor befahl er die Liquidierung zahlreicher prominenter politischer Gegner des NS-Regimes in den Konzentrationslagern. Auf Müllers Befehl erschossen Sonderkommandos der Gestapo zwischen dem 22. und 24. April 1945 auch die meisten der in Berliner Gestapo-Gefängnissen eingesperrten Häftlinge.
Auch im übrigen Reichsgebiet nahmen Gestapo und Kriminalpolizei kurz vor Kriegsende Dutzende Einzel- und Massenerschießungen von politischen Gegner*innen, Zwangsarbeiter*innen und anderen Gefangenen vor. Die SS verübte außerdem während der Auflösung der Konzentrationslager zahlreiche Massaker an Häftlingen. In den letzten Kriegswochen fielen so noch zehntausende Menschen dem NS-Terror zum Opfer.
Sowjetische Soldaten im ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamt, 2./3. Mai 1945.
Nach der Besetzung des Gebäudes fanden die Soldaten von der Gestapo genutzte Handfesseln und Knebelketten vor.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – Voller Ernst / Chaldej
Nach der Besetzung des Gebäudes fanden die Soldaten von der Gestapo genutzte Handfesseln und Knebelketten vor.
Foto: Jewgeni Chaldej © ullstein bild – Voller Ernst / Chaldej
Autor*in: Andrea Riedle / Topographie des Terrors
Berlin – Sitz der Zentralen des NS-Terrors
Berlin war bis kurz vor Kriegsende das politische, militärische und administrative Machtzentrum des NS-Staates. Adolf Hitler und die NS-Führungseliten unterhielten hier ihre Hauptquartiere, auch wenn es weitere jenseits der Reichshauptstadt gab.In Berlin hatten auch die zentralen Institutionen von SS und Polizei ihre Dienstsitze. Darunter waren das Geheime Staatspolizeiamt, der persönliche Stab des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, das Hauptamt des Sicherheitsdienstes der SS (SD) und das Reichskriminalpolizeiamt. Die Dienststellen der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), der Kriminalpolizei (Kripo) und des SD hatten über dreißig Standorte in Berlin und weitere im Umland.
Das Geheime Staatspolizeiamt befand sich seit 1933 in einer ehemaligen Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht-Straße (heute: Niederkirchnerstraße). Es war die Schaltzentrale für die Aktivitäten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im Reichsgebiet und in den besetzten europäischen Ländern.
© Bundesarchiv, Bild 183-R97512
© Bundesarchiv, Bild 183-R97512
Luftaufnahme des ehemaligen Geheimen Staatspolizeiamts, 1945/46. Das Geheime Staatspolizeiamt befand sich seit 1933 in einer ehemaligen Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht-Straße (heute: Niederkirchnerstraße). Es war die Schaltzentrale für die Aktivitäten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im Reichsgebiet und in den besetzten europäischen Ländern. © picture-alliance / akg-images
Am ehemaligen Ort der Zentralen des „SS-Staates“ im Regierungsviertel liegt heute das Dokumentationszentrum Topographie des Terrors. Zwischen 1933 und 1945 wurde von dort aus ein verzweigtes Netz von Dienststellen der Gestapo, Kripo und des SD im Reichsgebiet und in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten Europas gesteuert. Diese Schaltzentralen des „SS-Staates“ organisierten zusammen mit anderen Institutionen den Völkermord an den Jüdinnen und Juden Europas und an den Sinti*zze und Roma*nja. Ebenso waren sie für die Kontrolle und Terrorisierung politischer Gegner*innen des NS-Regimes, weiterer Verfolgtengruppen und von Millionen ausländischen Zwangsarbeiter*innen verantwortlich.
Bis in die letzten Wochen des Krieges wurde dieser Terror maßgeblich von Berlin aus initiiert, koordiniert und verwaltet – ebenso wie die Ausplünderung der Opfer. Bis kurz vor Kriegsende ergingen aus der Reichszentrale der Gestapo Mordbefehle. Daneben ermächtigte sie die noch bestehenden Gestapostellen außerhalb Berlins, in eigener Verantwortung gnadenlos zu morden. Kurz vor Kriegsende flohen die meisten hohen NS-Funktionäre aus der Reichshauptstadt. Ein großer Teil der Berliner Dienstsitze von SS und Gestapo wurde während des Krieges beschädigt oder zerstört.
Die Führungsspitzen von SS und Polizei bei einem Treffen in München, 9. November 1939. In der Bildmitte Heinrich Himmler, „Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei“, rechts neben ihm Reinhard Heydrich, „Chef der Sicherheitspolizei und des SD“ und Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, sowie Heinrich Müller, Chef des Geheimen Staatspolizeiamtes. Links von Himmler Arthur Nebe, Chef des Reichskriminalpolizeiamtes. © Bundesarchiv, Bild 183-R98680
Autor*in: Andrea Riedle / Topographie des Terrors
Die Kapitulationen – Von Berlin nach Berlin
Am frühen Morgen des 2. Mai 1945, nach zwölf Tagen Straßenkampf, gab Wehrmachtgeneral Helmuth Weidling seinen Soldaten den längst überfälligen Befehl zur Einstellung des Kampfes in Berlin. Zwei Tage zuvor hatte die Wehrmacht in vollkommen aussichtsloser Situation noch versucht zu verhandeln. Am Ende zwang sie die militärische Übermacht der Roten Armee zur Kapitulation. Dieses Muster wiederholte sich vielfach bis zum Ende des Weltkrieges in Europa am 8. Mai in Berlin-Karlshorst. Adolf Hitler entzog sich am 30. April durch Selbstmord jeglicher Verantwortung. Sein Nachfolger Großadmiral Karl Dönitz ließ, ganz im Sinne Hitlers, an allen Fronten unvermindert weiterkämpfen. Erst als britische Truppen seinen Regierungssitz bei Flensburg einzunehmen drohten, begann er zu verhandeln. Mit dem britischen General Bernard Montgomery kam er in Lüneburg überein, ab dem 5. Mai die Kämpfe in Nordwestdeutschland einzustellen.
Major Wilhelm Oxenius, Generaloberst Alfred Jodl und Hans-Georg von Friedeburg (v. l. n. r.) bei der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht in Reims am 7. Mai 1945. Foto: dpa © dpa – Bildarchiv
Luftmarschall Arthur Tedder und Marschall Georgi Schukow nehmen die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht entgegen, Berlin-Karlshorst, 8./9. Mai 1945.
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Diese Teilkapitulation war ein diplomatisches Problem. Die Anti-Hitler-Koalition hatte sich 1943 auf das gemeinsame Kriegsziel der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches geeinigt. Solange es militärisch noch sinnvoll war, weigerte sich die Wehrmachtsführung allerdings. Und als es zu spät war, versuchte sie nur vor den westalliierten Truppen zu kapitulieren, nicht aber vor der Roten Armee. Tagelang verhandelte sie in Reims im Hauptquartier der westalliierten Truppen. Am frühen Morgen des 7. Mai erzwang deren Oberkommandierender, General Dwight Eisenhower, die deutsche Einwilligung in eine Gesamtkapitulation. Er forderte zudem, dass diese Kapitulation im sowjetischen Hauptquartier zu wiederholen sei. So kam es zu einem zweiten Akt in Berlin-Karlshorst, wo sich der sowjetische Oberkommandierende Georgi Schukow eingerichtet hatte.
Zahlreiche Historiker*innen halten das für einen Gefallen Josef Stalin zuliebe. Aber es war deutlich mehr. In Karlshorst wurde in diplomatischer Feinabstimmung das Schlussdokument des Zweiten Weltkriegs in Europa aufgesetzt und unterzeichnet. Es regelte bewusst nur die militärischen Belange der Waffenruhe. Aber da die folgende Konferenz der alliierten Siegermächte in Potsdam im Sommer 1945 nicht zum Abschluss eines Friedensvertrags führte, blieb es bis 1990 das einzige verbindliche Dokument über das Kriegsende.
Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel während der Unterzeichnung der Kapitulation, Berlin-Karlshorst, 8./9. Mai 1945.
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
„Rotes Berlin“? NSDAP und SA vor 1933
Berlin war 1933 noch eine „junge“ Stadt. Erst 1920 waren sieben Städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke hinzugekommen und hatten die Einwohnerschaft Berlins nahezu verdoppelt – es entstand die dritt-bevölkerungsreichste Stadt der Welt. Groß-Berlin wurde in 20 Bezirke aufgeteilt, die alle ganz unterschiedliche politische Kulturen und historische Prägungen aufwiesen. Auch in politischer Hinsicht war Berlin eine Stadt der Vielfalt und sollte dies bis in die NS-Zeit hinein bleiben.
Gleichwohl wurde die NSDAP und allen voran ihr Berliner Gauleiter Joseph Goebbels nicht müde, den Mythos vom „roten Berlin“ zu pflegen, das SA und NSDAP gemeinsam kämpfend erobern müssten. Damit sollten die andauernden Spannungen kaschiert werden, die Partei und Parteiarmee mehrmals an den Rand der Spaltung brachten. Der gemeinsame Kampf gegen die vermeintlich von Linken beherrschte Stadt diente bis 1945 als integrierendes Moment.
Propaganda-Marsch der SA im Zentrum des Bezirks Spandau, 1932.
© Bundesarchiv, B 145 Bild-P049500/CC-BY-SA
© Bundesarchiv, B 145 Bild-P049500/CC-BY-SA
Treffen der Bundesführung des „Deutschbanners Schwarz Weiß Rot – Front der Kaiserlichen“ im Kriegervereinshaus in der Berliner Chausseestraße im Jahr 1931. Der rechtsextreme Wehrverband gehörte zum antidemokratischen Spektrum der Weimarer Republik.
© bpk
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Wie „rot“ war Berlin eigentlich? Was hatte ein Arbeiter im Wedding mit einem Steglitzer Offizier zu tun? Was verband eine Charlottenburger Schauspielerin mit einem Lichtenberger Straßenbahnschaffner? Und wo hätten sich ein Köpenicker Villenbesitzer und eine Telefonistin aus der Spandauer Siemensstadt politisch treffen sollen? Das „rote Berlin“ war kaum mehr als ein Mythos. NSDAP und SA konnten sich im bürgerlichen Westen und Südwesten auf ein breites Spektrum völkischer Kreise stützen, die es nur zu mobilisieren galt. In Steglitz und Zehlendorf war die konservative und antidemokratische Deutschnationale Volkspartei (DNVP) aus den Kommunalwahlen 1925 und 1929 mit weitem Abstand als Siegerin hervorgegangen, in Steglitz kam die NSDAP bereits 1929 auf über 10 Prozent der Stimmen. Dagegen waren Spandau und Neukölln sozialdemokratische Hochburgen, im Wedding hatten die Kommunisten die Nase vorn. Die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung konnte die SPD seit 1921 zwar stets für sich entscheiden, doch nie mit überragenden Ergebnissen: KPD und DNVP waren ihr stets dicht auf den Fersen.
Zum „Kampftag der Arbeiterbewegung“ am 1. Mai 1929 demonstrierte die KPD unter dem Banner „Straße frei! Der rote Wedding kommt!“
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Berlin war bei weitem nicht so einheitlich „rot“, wie es die NS-Propaganda darstellte. Es war aber auch bei weitem nicht so „braun“, wie sie es sich wünschte. Zwar wurde die NSDAP bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 auch in Berlin stärkste Partei, jedoch mit fast 10 Prozent weniger Stimmen als im Reichsdurchschnitt.
Bjoern Weigel
Blick in die Kreuzberger Hedemannstraße: Links das Gebäude der Gaugeschäftsstelle der NSDAP Berlin, vorne rechts die Redaktionsräume des Angriff, des Kampfblattes von Joseph Goebbels
Foto: Willy Römer © bpk/Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer
Foto: Willy Römer © bpk/Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer
Von der Befreiung zur Besatzung
Die Anti-Hitler-Koalition legte im Februar 1945 auf der Konferenz von Jalta die vollständige Besetzung des Deutschen Reiches fest. Jede Siegermacht – Frankreich wurde wenig später neben Großbritannien, der Sowjetunion und den USA die vierte – erhielt eine Besatzungszone. Die Reichshauptstadt Berlin sollte gemeinsam verwaltet werden. Aber in der Aufteilung in vier Besatzungssektoren und den zu unterschiedlichen Vorstellungen der Siegermächte war die spätere Teilung der Stadt bereits angelegt.
Am 14. August 1961 sperren Ostberliner Behörden den Sektorenübergang am Brandenburger Tor. Am Tag zuvor wurde unter Aufsicht von bewaffneten Streitkräften der DDR mit der Errichtung von Straßensperren aus Stacheldraht und dem Bau einer Mauer begonnen, um den Ostteil Berlins vom Westteil abzusperren. Foto: Konrad Giehr © picture alliance/dpa
Sitzung des alliierten Kontrollrats in Berlin in der Potsdamer Straße, 1948. Sowjetische Delegation (v), französische Delegation (l), US-amerikanische Delegation (r), britische Delegation (h). © ullstein bild – ullstein bild
Durch den Selbstmord Adolf Hitlers amtierte bei Kriegsende lediglich eine „geschäftsführende Reichsregierung“. Sie gab dem Oberkommando der Wehrmacht die Vollmacht zur Kapitulation. Den Alliierten fiel durch ihren militärischen Sieg die Regierungsgewalt quasi von selbst zu. Und so bestimmten überall Militärkommandanten das öffentliche Leben. Ein alliierter Kontrollrat sollte die grundlegenden politischen Fragen gemeinsam festlegen. Aber das funktionierte nur bis zum März 1948, als der sowjetische Vertreter den Rat verließ.
Zu diesem Zeitpunkt hatten sich in den meisten Besatzungszonen bereits schrittweise demokratische Verhältnisse etabliert. Nur die Sowjetisch Besetzte Zone (SBZ) schlug den Weg in eine neue Diktatur ein. Ideologische Vorgaben bestimmten die Politik, die Meinungsfreiheit war weitestgehend aufgehoben, demokratische Wahlen abgeschafft und die sowjetische Geheimpolizei griff ungehemmt in alle ihr wichtig erscheinenden Lebensbereiche ein.
Die SBZ litt bereits stark unter den sowjetischen Demontagen, denn die Sowjetunion nahm sich aus der Wirtschaft alles, was sie für den Aufbau ihres zerstörten Landes benötigte. Hinzu kamen immer mehr Bevormundungen und Unterdrückungsmaßnahmen bis hin zu Verhaftungen und Todesurteilen. Sowjetische Militärtribunale verurteilten rund 35.000 Deutsche. Rund 150.000 Deutsche, darunter auch viele kleine NS-Funktionäre, waren in so genannten Speziallagern der sowjetischen Besatzungsmacht gefangen. Noch vor Gründung der DDR verließen viele Menschen die SBZ. Die DDR übernahm mit ihrer Gründung 1949 die Methoden der politischen Unterdrückung. Die Massenflucht ihrer Bürger konnte sie erst 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer stoppen.
Abtransport von Maschinen und Fabrikeinrichtungen, die von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt wurden, 1951. © ullstein bild – ullstein bild
Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Nikolaj Bersarin – Berlins erster Stadtkommandant
General Nikolaj Bersarin wurde am 24. April 1945 zum sowjetischen Stadtkommandanten von Berlin ernannt. Die Kämpfe in der Stadt waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet. Marschall Schukow, der sich als der Eroberer der Reichshauptstadt fühlte, setzte mit dieser Ernennung ein Zeichen. Obwohl klar war, dass die Stadt ab Juli von den vier Siegermächten gemeinsam verwaltet werden würde, war sie nun erst einmal allein in sowjetischer Hand.
Generaloberst Nikolaj E. Bersarin, der erste Berliner Stadtkommandant, mit den Kriegsberichterstattern Wischnewski und Besymenski vor dem Reichstag, Mai 1945. Foto: Iwan Schagin © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Iwan Schagin
Essensausgabe an einer sowjetischen Feldküche für die Bevölkerung im Zentrum Berlins. Bersarin ließ damals viele Suppenküchen für die Bevölkerung eröffnen, Anfang Mai 1945. Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Sofort brachte der Stadtkommandant die Bezirksverwaltungen wieder in Gang. Hilfe erhielt er dabei von deutschen Antifaschisten, die am 1. Mai, angeführt von Walter Ulbricht, aus Moskau eintrafen. Unter der Leitung Bersarins gab es in der Stadt sehr schnell wieder eine funktionierende Verwaltung. Wasser, Strom, Gas, die Verkehrsbetriebe – alles Lebensnotwendige ließ der Stadtkommandant bereitstellen. Mitunter halfen Suppenküchen der Roten Armee, dem allgegenwärtigen Mangel zu begegnen. Auch das kulturelle Leben erwachte bereits Mitte Mai wieder in Berlin.Bersarins Engagement war ehrlich, selbstlos aber war es nicht. Die sowjetische Besatzungsmacht nutzte die kurze Zeitspanne, die bis zum Eintreffen der westalliierten Stadtkommandanten blieb, für eine bestmögliche Selbstdarstellung. Denn es gab auch Schattenseiten: Überall in der Stadt plünderten und vergewaltigten sowjetische Soldaten, und die sowjetische Geheimpolizei nahm zahlreiche Verhaftungen von NS- und Kriegsverbrechern vor. Das war das Recht des Siegers. Und so war der Frühling in Berlin nicht frei von Ängsten unter der Berliner Bevölkerung.
Bersarin starb am 16. Juni 1945 bei einem selbstverschuldeten Verkehrsunfall. Er musste den Übergang zu einer Viermächteverwaltung der Stadt also nicht selbst moderieren. Seinen vorbehaltlosen Einsatz für das Wiedererwachen des städtischen Lebens nach dem Krieg dankte ihm Berlin 30 Jahre später mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde. Nach der deutschen Einheit erkannte der Senat von Berlin ihm diese 1992 ab. Nach einer hitzigen Diskussion ist Nikolaj Bersarin seit 2003 wieder Ehrenbürger Berlins.
Bersarin im Gespräch spricht mit Trümmerfrauen, die die Kriegsfolgen in Berlin beseitigen. Foto: Jewgeni Chaldej/Agentur Voller Ernst © dpa
Autor*in: Jörg Morré / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst
Zwangsarbeit in Berlin 1938–1945
Rund 3.000 Sammelunterkünfte gab es in Berlin. Aber nicht nur in Barackenlagern, auch in Schulen, Kinos, Theatern und Ausflugslokalen waren Zwangsarbeiter*innen untergebracht. Fast an jeder Ecke Berlins befand sich ein Lager – unübersehbar für die Bevölkerung.
Schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges hatten die NS-Behörden verschiedene Berliner Bevölkerungsgruppen zur Zwangsarbeit eingesetzt: Jüdinnen und Juden, Sinti*zze, Roma*nja sowie als „asozial“ Diskriminierte. Zwangsarbeit war hier ein Mittel der Verfolgung und nur eine Vorstufe bis zur Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager.
Verpflegung sowjetischer Zwangsarbeiterinnen im Durchgangslager Berlin-Wilhelmshagen, 12. Dezember 1942.
Foto: Gerhard Gronefeld © Deutsches Historisches Museum
Foto: Gerhard Gronefeld © Deutsches Historisches Museum
Zeichnung des polnischen Zwangsarbeiters Jerzy Bukowiecki: Flucht aus einem brennenden Splitterschutzgraben in Berlin-Köpenick, 1944.
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit/Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit/Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
Im Verlauf des Krieges sind immer mehr Menschen aus dem besetzten Europa zur Zwangsarbeit nach Berlin verschleppt worden. Rund 500.000 Männer, Frauen und Kinder mussten Zwangsarbeit leisten: in der Rüstungsindustrie, in kleineren und mittleren Betrieben, für die Kirchen, den Magistrat und die Bezirke, in Privathaushalten.
Besonders schlecht behandelt wurden die osteuropäischen Zwangsarbeitskräfte, die in der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus als besonders „minderwertig“ angesehen wurden. Für sie galten strenge Regeln; beim geringsten Abweichen wurden polnische und sowjetische Zwangsarbeiter*innen durch die Gestapo drakonisch bestraft. Kinder von Frauen aus Osteuropa starben oft an Unterernährung, Schwangere wurden zur Abtreibung gezwungen.
Westeuropäische Zwangsarbeiter*innen hatten grundsätzlich mehr Bewegungsfreiheit und waren weniger harten Bestimmungen unterworfen. Trotzdem sind viele von ihnen im Verlauf des Krieges wegen geringfügiger Delikte in Gestapo-Straflager eingewiesen oder auch von den Berliner Gerichten zum Tod verurteilt worden.
Erst im Jahr 2000 sind Zwangsarbeiter*innen offiziell als NS-Opfer anerkannt worden und erhielten somit – unter gewissen Umständen – Anspruch auf finanzielle Entschädigungen.
Viele Orte der Zwangsarbeit sind in Berlin nicht mehr sichtbar. In den letzten Jahren gerieten im Rahmen von Bauvorhaben jedoch wichtige Lager- und Arbeitseinsatzorte wieder in den Blick. Seitdem wird diskutiert, wie die Berliner Geschichte der NS-Zwangsarbeit stärker sichtbar gemacht werden kann.
Das Gelände des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit.
Foto: A. Schoelzel © Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Foto: A. Schoelzel © Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Galina Ippolitowna Wertaschonok
„Zu jener Zeit war Berlin mit Holzbaracken nur so überzogen … In jeder noch so kleinen Lücke der Riesenstadt hatten sich Fluchten brauner, teerpappegedeckter Fichtenholzquader eingenistet. Groß-Berlin, das heißt Berlin mit seinen Außenbezirken, bildet ein einziges Lager, ein meilenweites Lager, das sich zwischen den festen Bauten, den Denkmälern, den Bürohäusern, den Bahnhöfen, den Fabriken hinkrümelt.“ (François Cavanna) –
Brief der ehemaligen Zwangsarbeiterin Galina Ippolitowna Wertaschonok an die Berliner Geschichtswerkstatt vom 28. August 1997. Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Sammlung Berliner Geschichtswerkstatt.
Autor*in: Christine Glauning / Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Befreiung der NS-Zwangslager
Als am 2. Mai 1945 die Stadt Berlin vor der Roten Armee kapitulierte, befanden sich rund 370.000 Zwangsarbeiter*innen im ganzen Stadtgebiet. Tausende nutzten das Chaos bei Kriegsende zur Flucht aus den Lagern oder vom Arbeitsplatz. Verstöße gegen die Anordnungen der NS-Führung, Fluchtversuche oder Diebstahl wurden jedoch bis zuletzt hart bestraft. Aus Angst vor Widerstand oder Rache kam es noch in den letzten Kriegstagen zu gezielten Mordaktionen an ausländischen Zwangsarbeitskräften in Berlin und im Umland.
Sowjetische Soldaten vor einer Baracke im befreiten „GBI-Lager 75/76“ (heute Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit), Berlin-Schöneweide, Juli 1945.
© Privatbesitz
© Privatbesitz
Befreite „Ostarbeiterinnen“ am Brandenburger Tor, vermutlich mit einem Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte, Berlin Mai 1945.
Foto: Gerhard Gronefeld © Deutsches Historisches Museum
Foto: Gerhard Gronefeld © Deutsches Historisches Museum
Andere Befreite versuchten, sich der Rückführung zu widersetzen. In einigen Ländern standen die Rückehrenden unter dem Verdacht des Verrats und der Kollaboration mit den Deutschen. So wurden unzählige ehemalige „Ostarbeiter*innen“ sowie Kriegsgefangene in so genannten „Prüf- und Filtrationslagern“ des sowjetischen Geheimdienstes umfangreichen Verhören unterzogen. Nicht wenige wurden in Straflager verschleppt. Andere wiederum rekrutierte die Rote Armee noch vor Ort in die eigenen Reihen.
Displaced Persons
Bei Kriegsende befanden sich die meisten der zur Zwangsarbeit verschleppten Frauen und Männer nach wie vor an ihren Einsatzorten. Viele von ihnen erlebten den Mai 1945 als Befreiung. Für andere hingegen begann mit dem Ende des Krieges eine Zeit der Ungewissheit und des Wartens. Die große Zahl so genannter Displaced Persons – Menschen, die in die Heimat zurückkehren wollten oder durch den Krieg heimatlos geworden waren – stellte die alliierten Militäradministrationen vor enorme Herausforderungen.
Die meisten Deutschen wollten „die Ausländer“ möglichst schnell loswerden. Geprägt durch Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und den Nachhall der NS-Propaganda befürchteten sie Übergriffe und Plünderungen. Die Angst vor Rache- und Vergeltungsaktionen durch befreite Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge war weit verbreitet.
Viele ehemalige „Zivilarbeiter*innen“ aus West- und Südeuropa konnten noch im Sommer 1945 alleine oder mithilfe der Rückführungstransporte der Alliierten in ihre Heimatländer zurückkehren.
„Am 20./21. April 1945 begann sich der Feuerschein über Köpenick zu vergrößern. Wir saßen in einem Bunker unter der Fabrik, über den Kopf donnerten Geschosse, und plötzlich hörten wir eine akzentfreie russische Stimme: „Russen rauskommen!“ Wir hatten erst einmal Angst (…), dachten, es seien die Deutschen und sie wollten uns vernichten. [Doch] es waren unsere russischen Soldaten. Wir weinten vor Freude, küssten und umarmten sie.“
(Galina Ippolitowna Wertaschonok)
Brief der ehemaligen Zwangsarbeiterin Galina Ippolitowna Wertaschonok an die Berliner Geschichtswerkstatt vom 28. August 1997. Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Sammlung Berliner
Die Geschichte der Befreiung der NS-Zwangslager in Berlin ist bis heute nicht umfassend aufgearbeitet. Aktuell widmet sich das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit dem Thema in einem Rechercheprojekt. Auf der Website „Zu Ende, aber nicht vorbei. NS-Zwangslager in Berlin 1945“ und in den Sozialen Medien werden mehrmals die Woche Tagebuchauszüge, Erinnerungsberichte und Dokumente aus dem Frühjahr 1945 vorgestellt: www.zwangslager-berlin-1945.de
#zwangslager1945
Autor*in: Niels Hölmer / Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Symbole des Sieges
Ein Soldat steht auf dem Dach eines zerstörten Gebäudes über Berlin und befestigt eine im Wind wehende sowjetische Fahne. Dieses Bild, vom sowjetischen Kriegsreporter Jewgeni Chaldej am 2. Mai 1945 auf dem Berliner Reichstag inszeniert, ist eine Ikone für das Kriegsende und den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland.
Ein sowjetischer Soldat hisst die Rote Fahne auf dem Berliner Reichstagsgebäude, 2. Mai 1945. Foto: Jewgenij Chaldej © ullstein bild – Voller Ernst / Jewgeni Chaldej
Sowjetische Soldaten dokumentieren ihren Sieg an den Wänden des Reichstagsgebäudes, Berlin 2. Mai 1945.
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Foto: Timofej Melnik © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Sammlung Timofej Melnik
Der Reichstag galt als das Symbol des nationalsozialistischen Regimes und alle Rotarmist*innen wussten, wenn die Rote Fahne auf diesem Gebäude weht, dann ist der Sieg unser und der Krieg zu Ende. Mit dem militärischen Erfolg entwickelte sich der durch die Kämpfe in Berlin stark zerstörte Reichstag zu einer Pilgerstätte der siegreichen Rotarmist*innen. Davon zeugen heute noch viele kyrillische Graffitis an den Wänden im Inneren des wiederaufgebauten Gebäudes.
Die auf dem Dach gehisste Rote Fahne wurde schließlich am 20. Mai 1945 im Rahmen einer kleinen Parade vom Gebäude geholt und wird heute in Moskau als „Banner des Sieges“ ausgestellt. Doch Symbole unterliegen einer steten Wandlung und ab 1949 tauchte mit dem sowjetischen Ehrenmal im Ostberliner Treptower Park ein neues Wahrzeichen des Sieges im Berliner Stadtraum auf.
Der Gedenkkomplex hat den Charakter einer typischen sowjetischen Gedenkstätte. Mit seinen über 7.000 in Massengräbern bestatteten Rotarmist*innen ist er ein Ort der Trauer. Im Zentrum der Anlage steht ein sowjetischer Soldat, mit einem deutschen Kind auf dem Arm, der mit seinem Schwert das Symbol des Nationalsozialismus – das Hakenkreuz – zertrümmert: ein Abbild der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus durch die Rote Armee. Im Laufe der Zeit wurde die Statue zu einem populären Sinnbild, welches zu den großen Jahrestagen des Kriegsendes wiederholt auf Briefmarken, Münzen und anderen Devotionalien abgebildet wurde und wird. Auch heute gehen Tourist*innen aus den postsowjetischen Ländern, die sich in Berlin an den Krieg erinnern möchten, als erstes an diesen Ort. Jährlich findet rund um das Ehrenmal am 9. Mai ein vielfältiges Fest mit diversen Gedenkritualen statt.
Feierlichkeiten zum 70. Jahrestages des Kriegsendes im sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park am 9. Mai 2015.
© Cordula Gdaniec
Autor*in: Christoph Meißner / Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst